Ave Maria. Gisela Sachs
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Zeit ‚Auf Wiedersehen’ zu sagen. Orte, die ich nie mit dir gesehen und besucht habe. Jetzt, ja werde ich dort leben mit dir, werde ich abreisen auf Schiffen und Meere. Ich weiß. Nein, nein ich existiere nicht mehr. Es ist Zeit ‚Auf Wiedersehen’ zu sagen.
Scheiß Müsli!
Am Ausgang der Aussegnungshalle wartet Papa auf mich. Er schaut mich fragend an, will mich umarmen. Ich schleudere seine tastende Hand von mir weg und renne aus dem Friedhof.
In unserem Haus schwebt mir eine Wolke von Mamas Parfüm entgegen. Der Duft von All about Eve ist nachhaltig, Mamas Kleider an der Garderobe verbreiten diesen fruchtig frischen Duft durch das ganze Haus.
»Du riechst wie ein Apfel Mom.«
»Beiß nicht in mich hinein.«
Danach rennt sie spielerisch um den Wohnzimmertisch herum.
»Pass auf die Glasvase auf Mom!«
»Klar doch. Bin doch nicht von gestern.«
Wir spielen Fangen durch das ganze Haus und kichern dabei wie Grundschulkinder.
Die Küche sieht aus, wie vor meiner Matheklausur. Mein Frühstücksgedeck steht noch so auf dem Tisch, wie Mom es für mich hingestellt hatte. Ich will es abräumen, und entdecke einen zusammengefalteten Zettel unter dem Teller mit dem Obst für mein Müsli. Obenauf ein Lippenstiftküsschen von Mum.
‚Hot Paprika’ – von Lorèal. Den Lippenstift hatte sie sich zum Geburtstag gewünscht.
Ich drücke dir die Daumen, Davie, und denke ganz fest an dich. Deine Matheklausur wird schon hinhauen. Halte einfach deine sieben Sinne zusammen. Wenn du heimkommst, wartet eine Überraschung auf dich.
Hdl. Mama.
Es ist so, als ob Mom direkt neben mir spricht, ich kann sie förmlich spüren. Eine Überraschung hat sie für mich.
»Was hast du dir jetzt schon wieder einfallen lassen Mom? Wo soll ich denn die Überraschung dieses Mal suchen?«
Grinsend schaue ich auf die Küchenuhr. Es dauert noch ein Weilchen, bis Mom von der Arbeit heimkommt.
Mama ist tot. Die Erkenntnis trifft mich wie ein eiskalter Guss Wasser. Ich lasse die Rollos herunter und verkrieche mich in meinem Bett. Das Telefon läutet, ich reiße das Kabel aus der Steckdose. Es klingelt, ich stelle die Haustürglocke ab. Im Wohnzimmer fällt mein Blick auf die vielen bunten Sofakissen auf der Couch. Die sind, wie immer, fein säuberlich nach Farben und Größen aufgereiht. Grün, gelb, orange, blau, violett. Mit perfektem Schlitz in der Mitte. Mama hat da immer mit der flachen Hand hinein gehauen.
‚My home is my Castle’ hatte Mama immer gesagt, wenn ich sie dieser Pedanterie wegen ausgelacht habe.
»Was ist heute eigentlich für ein Tag Mom?«
»Wann muss ich den Orchideen ein Schnapsglas voll Wasser geben?«
»Wir machen das immer sonntags, dann vergessen wir es auch nicht mein Kleiner«, hatte Mama vor vielen Jahren mir den Orchideengießauftrag übergeben. Das war an dem Tag, als Papa uns wegen einer anderen Frau verlassen hatte.
Nach dem Blumengießen wollten wir Eis essen gehen. Zu ‚Dellarte’ – unserem Lieblings-Eiscafé.
»Die haben das beste Joghurt-Eis der Stadt, Davide.«
»Von der ganzen Welt, Mami!«
Das scheinen viele andere Leute auch zu wissen, das Café ist hoffnungslos überfüllt. An einem der Tische entdecke ich meine Patentante Hanna, Mamas beste Freundin. Ich freue mich sie zu sehen und winke ihr wild zu.
»Tante Hanna«, schreie ich aufgeregt und will an ihren Tisch laufen.
»Bleib hier«, sagt Mama, packt mich an meinem Arm und zieht mich aus dem Café hinaus auf die Straße. Mama schnauft ganz laut und zittert.
»Ist dir schlecht geworden Mami?«, frage ich ängstlich. Ich sehe Tante Hanna durch die Glasscheibe, sie lacht mit den Frauen an ihrem Tisch. Ich klopfe an die Scheibe und winke. Tante Hanna sieht mich, winkt aber nicht zurück.
»Komm Davie«, flüstert Mama und wir gehen, ohne Eis zu essen, setzen uns an eine Bank am Neckar und füttern schweigend die Enten mit der verkrümelten Brezel, die ich noch in meinem Rucksack hatte. Ich sehe, dass Mama weint und bleibe ganz brav sitzen.
Manche Dinge erledigen sich von selbst, hatte Mama immer gesagt.
In meinem überfüllten Postfach in der Heilbronner Hauptpost finde ich einen Brief meiner Mieter. Neugierig reiße ich ihn auf, lese ihn im Laufen. Ich muss mich beeilen, meine Überraschung steht im Halteverbot. Es gab wieder einmal weit und breit keinen freien Parkplatz.
Familie Braune fragt an, ob sie früher aus dem Mietvertrag aussteigen könne, sie haben auch schon einen Nachmieter parat. Berufliche Veränderung sei angesagt. In vier Wochen schon. Ich solle mich doch bitte melden.
»Manche Dinge erledigen sich von alleine Mom. Da hast du recht wie immer! Ich wohne wieder in unserem Haus, Mama. Es ist fast wie früher. Unsere Möbel habe ich wieder so hingestellt, wie wir sie stehen hatten. Die Kommode, unsere Bilder, das Geschirr und die Bettwäsche habe ich vom Dachboden heruntergeholt, den Rest lasse ich vorerst noch oben.
Der Karton mit der Bettwäsche war angeknabbert wahrscheinlich von einer Maus. Ich habe vorsorglich drei Fallen mit Leberwurst eingestrichen und auf dem Dachboden verteilt, hatte gerade nichts anderes da. Mäuse mögen doch Leberwurst, Mom, oder?
Unsere Kissen auf dem Sofa habe ich so aufgereiht, wie du es immer gemacht hast. Farblich sortiert. Grün. Gelb. Orange. Blau. Violett. Ich schlage auch immer mit der flachen Hand in die Kissen. Mein Schlitz sitzt perfekter in der Mitte als deiner, Mom.
‚My home is my Castle’. Jetzt lachst du über mich Mom, gell?!
Die Familie Braune hat gut auf unser Haus aufgepasst, es ist nichts beschädigt und der Garten sieht fast so gepflegt aus wie bei dir. Die Braunes haben ihre restlichen Lebensmittel bei mir stehen lassen. Sie scheinen sich von Fertigprodukten zu ernähren. Ich habe eine dieser Dosen geöffnet. Linsensuppe mit gerauchtem Schweinefleisch stand da drauf. Ausgesehen und gerochen hat die Pampe aber wie Katzenfutter und geschmeckt, wie schon einmal gegessen.
Mein Fiat ist gerade mal wieder in Reparatur, Mom. Diesmal sind es die Zündkerzen. Hoffentlich bleibt es dabei. Ich bin fast pleite.
»Im Leintal-Zoo in Schwaigern werden ehrenamtliche Helfer zur Pflege eines alten Pferdes gesucht, da werde ich mich melden. Ich will mich sinnvoll beschäftigen, bis ich eine feste Arbeitsstelle habe. Meine Bachelornoten sind nicht gerade der Burner. Vielleicht ist das der Grund, warum mich niemand einstellen will. Eher aber, weil ich schwul bin, denke ich. Die Arbeitgeber haben reichlich Auswahl. Von meinem Studiengang haben nur drei Studenten eine Anstellung bekommen. Die meisten haben sich notgedrungen dafür entschieden, den Master zu machen. Das kann ich mit meinen Noten aber kicken, habe auch kein Geld für die Studiengebühren.
Ich muss dir