Hans im Glück. Gisela Sachs
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»Heiß heute«, sagt die alte Dame im Rollstuhl neben mir, strahlt mich an und streckt mir ein Papiertaschentuch entgegen. Sie nickt mir freundlich zu und rollt weiter.
Bleiben Sie doch bei mir, hätte ich ihr gerne nachgerufen. Lassen Sie mich nicht alleine, mein Mann geht fremd, sehen Sie, da vorne sitzt er und löffelt Eis mit einem jungen Ding, das glatt als seine Tochter durchgehen könnte. Meine stummen Hilferufe bleiben ungehört. In meinem Kopf schwirren Mücken, auf und ab und immer wieder auf und ab. Da stößt mein Fuß an einen Stein, der sagt
»Klack« und ich falle, bleibe liegen, habe keine Kraft mehr aufzustehen.
»Mein Gott Süße, bist du verletzt?«, fragt meine Freundin erschrocken, als sie mich am Boden zerstört vorfindet. Aus der Bahn geworfen schaue ich die ganze Zeit über nur auf die Steine vor mir und überlege, wo diese wohl herkommen.
Roter Sandstein.
»Ich glaube, sie haben das Heidelberger Schloss damit gebaut«, sage ich.
»Was ist passiert?«, fragt Ulla. Meine Zunge klebt an meinem Gaumen, ist trocken wie die Wüste und ich kann es nicht aussprechen, was mich so elend macht.
Leichenblass sei ich und meine Augen hätten den Ausdruck, als sei der Teufel hinter mir her, meint meine Freundin. »Ich rufe deinen Mann in der Kanzlei an«, sagt sie. Mein entsetzter »Nein«-Schrei ist das Letzte, was ich höre, dann ist Stille um mich. Wie ich nach Hause und in mein Bett gekommen bin, daran erinnere ich mich nicht.
»Felizitas hatte einen Unfall«, erzählt Ulla später unseren Freundinnen aus dem Yogaclub, als sie mich für die nächsten Übungsstunden entschuldigt. Mit Prellungen zu üben, wäre mir wesentlich leichter gefallen, als diesen Herzschmerz zu ertragen. Mein Herz sprang entzwei wie Glas. Die nächsten Tage verbringe ich dem geschwollenen Fuß wegen auf der alten Couch im Wohnzimmer, blättere ab und an in diversen Zeitschriften, bekomme aber nicht wirklich mit, was die Buchstaben erzählen, die vor meinen Augen verschwimmen.
»Kochen brauchst du in nächster Zeit nichts, Schatz«, tröstet mich mein Mann, als er von der Arbeit nach Hause kommt und mir einen Luftkuss am Ohr vorbeihaucht. Ich rieche einen mir unbekannten Duft. Das rosa Poloshirt, das er trägt, ist neu. Er hätte einen ganz dicken Fisch an Land gezogen, erzählt er mir. Er wirkt aufgeregt und streicht sich beim Sprechen mit gespreizten Fingern durch die Haare.
»Ja, ja, ein ganz dicker Fisch. Ich werde Überstunden machen müssen in nächster Zeit. Wenn man so einen fetten Brocken an der Angel hat, muss man sich sehr darum bemühen, das verstehst du doch, Schatz?! Ich muss später noch mal weg.«
Den Fisch kenne ich so dick ist er gar nicht. Ich fühle mich verraten und verkauft.
Mein Mann leistet viele Überstunden, meist kommt er mit den ersten Amselrufen nach Hause. Frau Amsel sitzt täglich zur gleichen Zeit auf dem Giebel des rechten Nachbarhauses und zwitschert. Regelmäßig bekommt sie Antwort aus dem Kirschbaum des linken Reihenhauses.
»Jetzt erst kommt er heim, der Schuft«, gibt Mutter Amsel kund. Die Amsel aus Nachbars Kirschbaum flattert erschreckt auf, als ich aus dem Fenster schaue. Mir ist, als ob ich diesen Schwarzvogelflügelschlag spüren könnte.
Ich höre das empörte Bellen des Nachbarhundes aus dem Reihenhaus von links, der sich bei den vergeblichen Versuchen meines Mannes, die Haustür aufzuschließen, gestört fühlt. Er findet das Schlüsselloch nicht auf Anhieb und flucht leise vor sich hin. Ich schleiche zurück in mein Bett und stelle mich schlafend, doch war diese Vorkehrung umsonst. In dieser Nacht schläf mein Mann in unserem Gästezimmer.
»Ich wollte dich nicht stören, es ist spät geworden«, teilt er mir zur Mittagszeit per Telefon mit.
»Die nächsten Tage wird es wohl nicht anders werden, es könnte sein, dass ich im Büro übernachte«, spricht er nervös weiter. Ich höre jemanden im Hintergrund husten.
»Hat der Fisch sich erkältet?«
Vier Nächte bleibt mein Mann aus. Frau Amsel verkündet wieder seine Ankunft. Wieder bellt empört der Nachbarshund. Ich spähe aus dem Schlafzimmerfenster zu unserem Parkplatz herunter, kann auch ohne Brille erkennen, wie müde und abgeschlafft mein Mann sein muss. Hölzern wie Pinocchio erklimmt er die drei Treppenstufen zu unserer Haustür. Erschrocken lege ich mich in unser Bett und stelle mich schlafend.
Leise legt er sich neben mich und alsbald spüre ich seine kalten Füße an meinen Waden.
Er sei auf Geschäftsreise, stand auf dem Zettel, den ich am nächsten Morgen auf dem Küchentisch finde. Und er wisse nicht, wie lange die Verhandlungen dauern würden. Und anrufen solle ich nicht. Und er habe das Handy nur in Notfällen eingeschaltet. Und, dass er irgendwann mal anrufen werde. Eine leicht verständliche Gebrauchsanweisung.
Aber was ist ein Notfall?
Die nächsten Tage leide ich einsam vor mich hin. Das Mobiltelefon habe ich mir zwischen Bauchnabel und Busen in den Rockbund gesteckt. Ich will keinen Anruf meines Mannes verpassen. Es vibriert nicht, klingelt nicht, bleibt mausetot bis zum siebten Tag. Ich erschrecke, als ich dann die Stimme meines Mannes höre. Aufgeregt wie ein Schulmädchen stottere ich, als ich ihn frage, wann er denn heimkomme.
»Deswegen rufe ich an«, erklärt er.
»Es wird wohl noch ein paar Tage dauern, die Verhandlungspartner sind zäh, die Gespräche fließen träge, es läuft nicht planmäßig.« Das Telefon rauscht und knistert, die Sprache klingt verzerrt und im Hintergrund höre ich ein Hüsteln.
»Der dicke Fisch, was ist mit dem dicken Fisch?«, frage ich ihn.
»An Land gezogen«, höre ich noch. Dann: knister, knister, klack.
Ehe über Bord? Fisch an Land gezogen? Was ist eigentlich los? Was habe ich falsch gemacht? Nun, ich habe zehn Kilo mehr als am Anfang unserer Ehe, vielleicht auch elf, wahrscheinlich sogar zwölf. Auf einer Waage bin ich seit Ewigkeiten nicht mehr gestanden. Ich habe Cellulite an meinen Oberschenkeln und am Po. Meine Beine waren noch nie besonders schön, ich habe keine Storchenbeine wie die Models in den Modeblättern, konnte bisher aber gut damit laufen. Jetzt plagt mich Arthrose in den Zehen und ich laufe in Waldläufer-Schuhen aus dem orthopädischen Fachgeschäft umher. Meine grauen Haare fühlen sich an wie ein Stück Schnur. An beiden Handrücken haben sich unzählige Flecken niedergelassen. Riesengroße in hellbraun, dazwischen kleine Dunkle. Meine Zähne haben Paradontose.
Ich habe Falten im Gesicht und am Hals.
»Mein weißer Schwan«, hast du früher zu mir gesagt und mich auf den Hals geküsst. Dein weißer Schwan zieht sehr einsam dahin ohne dich. Ich zähle die Tage, die Stunden, die Minuten und Sekunden. Endlose Tage werden durch endlose Nächte abgelöst. Träume suchen mich heim, erzählen mir von vergangenen glücklichen Ehe Tagen …
Gerade hat man mich aus dem Kreißsaal geschoben und in ein Zimmer mit zwei anderen Müttern gebracht. Ich habe den Fensterplatz bekommen. Mein kleiner Prinz liegt neben mir und ich staune über seine kleinen Finger, den rötlich goldenen Haarflaum, und vergewissere mich immer wieder von Neuem, dass es wirklich ein Junge ist, staune über das Teil, das später das Leben eines Mannes bestimmen soll. So klein ist das?
Ich zähle die Zehen nach. Ja, wunderbar, es sind fünf. Ich zähle immer wieder nach die Zehen und die Fin-
gerlein, rieche an dem Haarflaum, rieche Baby, nur noch Baby.