Die Göttinnen. Heinrich Mann

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Die Göttinnen - Heinrich Mann

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ich Ihnen bei weitem nicht gewachsen bin, liebe Kleine."

      Sie lachte glücklich.

      Er ließ die Zeit verstreichen, bis es ihm schien, dass das Leben zu zweien ihr zur Gewohnheit geworden sei. Da sagte er:

      "Wissen Sie, dass ich fünf Wochen hier bin? Ich muss einmal wieder nach meinen Freunden sehen."

      "Wo denn?"

      "In Paris, in Wien, überall."

      "Ah!"

      "Bedauern Sie 's, Violante?"

      "Nun —"

      "Sie können ja mitkommen, wenn Sie Lust haben."

      "Habe ich Lust?" fragte sie sich.

      "Wenn der See noch wäre wie früher, hätte ich gar keinen Grund, fortzugehen; aber so…"

      Sie dachte an Pierluigis nächtlichen Besuch, seine einladende Verbeugung und das liebliche Lächeln der Dame.

      "Muss ich euch nun ganz verlassen?" meinte sie im stillen, tiefernst geworden.

      "Als meine Frau?" setzte der Herzog ruhig hinzu.

      "Als Ihre … Warum denn?"

      "Weil es das einfachste ist."

      "Nun, dann…"

      Unvermittelt fing sie zu lachen an. Die Werbung war genehmigt.

      Den Winter des Trauerjahres verbrachten sie in Cannes, streng zurückgezogen in eine Villa, die hinter Lorbeermauern und dichten Rosenhecken hervorscheinend, in dem Vorübergehenden Ahnungen erregte von versunkenen Innigkeiten. Die Herzogin langweilte sich und schrieb Briefe an Monsieur Henry.

      Sie reisten im Sommer durch Deutschland und trafen Ende September in Biarritz des Herzogs Pariser Freunde. Bei ihrer Ankunft in Paris stand Violante bereits in einem engen Verhältnis zur Fürstin Urussow und zur Gräfin Pourtales. Pauline Metternich, der sie eine kleine Schwester ward, vermittelte ihre Bekanntschaft mit Wien. Es war das Jahr 1867. Für einige aus dieser Gesellschaft ging eine gerade Lustallee von Paris nach Wien. Was links und rechts dazwischen lag, waren Dörfer, gerade gut genug, um die Pferde zu wechseln. Denn man verschmähte eine volkstümliche Beförderungsart; der Graf d'Osmond und die Herzogin von Assy mit ihrem Gemahl trafen in zwei Viererzügen aus Paris ein und fuhren ins Hotel Erzherzog Karl. Violante folgte einer Einladung der Gräfin Clam-Gallas in ihre Hofburg-Loge; sie bestieg in Paris ihren Wagen, um durch das Wiener Fernrohr der Astronomin Therese Herberstein zu sehen.

      Die Leichtigkeit ihres Wesens, die Abwesenheit gemeiner Eitelkeiten in ihrem ungesuchten Hochmut erregten Begeisterung; sie entzückten vor allem den Herzog. Er war sechsundsechzig, und seit sechs Jahren betrachtete er, seiner Gesundheit zuliebe, die Frauen nur noch als glänzende und verwickelte Dekorationsstücke. Nun sah er, näher als andere, dem schönen, freien Geschöpfe zu, dem in einem Dunstkreis von Begierden, dunklen Nachträgereien, ängstlichen Gespinsten und geheimen Lüsten alles klar und lichtvoll blieb, das nirgends Tiefen und Nöte ahnte. Es beglückte ihn eigenartig, wie sie durch das überanstrengte Gewühl der legitimierten Glücksritter und der in schwierigen Genüssen Altgewordenen mit harmlosen, sicheren Kinderschritten dahinging. Sie aufzuwecken erschien der welken Feinheit des Greises wie ein törichtes Verbrechen. Übrigens sagte er sich, dass er ein Narr wäre, sie in Freuden einzuführen, deren Fortsetzung sie notwendig bei andern suchen müsste.

      Er führte sie nicht ein. Man erzählte ihr, dass die Marquise de Châtigny von ihrem Mann keine Kinder zu erwarten habe.

      "Woher weiß man das?" fragte Violante.

      "Von Mademoiselle Zozie."

      "Ah, der von der Oper?"

      "Ja"

      Sie wollte weiterfragen, woher denn Mademoiselle Zozie das wissen könne, doch fühlte sie, dass diese Frage nicht zu denen gehöre, die man äußern dürfe.

      Die schlanke Gräfin d'Aulnaie erschien eines Abends auf der österreichischen Botschaft mit einem ungeheuren Bauch; es handelte sich um einen vereinzelten Versuch, die Mode der andern Umstände, wie sie in den fünfziger Jahren bestanden hatte, wieder einzuführen. Die Herzogin belustigte sich sehr; dann folgten einige nachdenkliche Tage, nach deren Verlauf sie dem Herzog erklärte, dass sie sich Mutter glaube. Er schien heiter überrascht und ließ den Doktor Barbasson rufen. Der Arzt untersuchte sie mit der zarten Hand, die aus Klientinnen Geliebte machte. Sie blickte gespannt auf: er hatte sein Lächeln rechtzeitig unterdrückt und erklärte, dass hier nichts zu fürchten und nichts zu hoffen sei.

      Sie ritt im Prater und im Bois mit immer neuen Anbetern spazieren, und ohne von den Endzwecken der Anbetung etwas zu wissen, erhielt sie, mit der Geschicklichkeit einer Nachtwandlerin, alle in Atem. Der Conte Paul Papini bekam ihretwegen eine Kugel vom Baron Leopold Tauna, und er lag noch im Sterben, als Raffael Rigaud sich vor ihrem eben vollendeten Bildnis erschoss. Das waren ihr unverständliche Dummheiten, und sie sprach es aus, mit einer Miene so ruhig und ohne Mitleid, dass abgehärteten Roués ein Schauer über den Rücken lief. Man fing an sie zu fürchten. Sie aber empfand das lebhafteste Vergnügen über eine noch nicht gekostete Art von Gefrorenem oder über den Schnee, der dichter als sie ihn je gesehen hatte, auf dem Pelzkragen ihres Kutschers liegen blieb. Und eine größere Teilnahme als allen ihren Liebhabern brachte sie dem Lord Eppom entgegen, jenem alten Herrn, der das ganze Jahr hindurch eine weiße Hose und eine rote Nelke trug. Er fuhr im schäbigsten Einspänner bei ihr vor, und es erheiterte sie bis zu Tränen, wie er den argwöhnischen Widerstand ihrer Dienerschaft zu überwinden hatte, ehe er bis zu ihr vordringen und ihr sein kostbares Cadeau zu Füßen legen konnte. Sie besuchte ihn und betrat sein Schlafzimmer: er schlief in seinem Sarge. Er überreichte ihr galant einen seiner im Voraus gedruckten Partenzettel und spielte ihr zu Ehren auf einem Leierkasten seinen selbst verfertigten Trauermarsch.

      Sie begann Moden zu machen. Ein Bacchantinnenkostüm, im Januar 1870 auf dem Opernball getragen, krönte ihre Berühmtheit. Die fliegenden Tandkrämer verkauften ihre Karikatur, die Boulevards entlang leuchtete in den Schaufenstern auf großen Photographien die Büste der Herzogin von Assy. Bei einem Feste in den Tuilerien ruhte auf ihr mit einer langen, schwer scheidenden Sehnsucht das glanzlose Auge des Kaisers.

      Der Krieg mit Deutschland brachte sie zum Stillstehen inmitten eines Tanzes, dessen Musik jäh abbrach. Den von Melodien gewiegten Kopf noch wollüstig im Nacken, fühlten die Tänzerinnen von ihren Lippen das Lächeln gleiten und ein Zittern um sie her von fernem Donner.

      Der Herzog brach sofort mit ihr auf. Am Morgen nach ihrer Ankunft in Wien lag er tot im Bett. Sie reiste weiter, von der Leiche begleitet, und sie begrub sie in der Assyschen Gruft zu Zara, auf jenem feierlichen Friedhofe, dem entgegen mit düsterem Pomp der Zug der Zypressen schreitet. Dann verschloss sie sich in ihrem Palais. Die Gesellschaft der dalmatinischen Hauptstadt rückte vor ihrer Tür an, doch beobachtete die Herzogin ein strenges Trauerjahr.

      Sie fühlte sich aufgerüttelt, und mehr verwundert als erschreckt durch die Ereignisse. Zum ersten Mal hatte sie die beunruhigende Empfindung von etwas Unbekanntem, nicht ganz leicht zu Nehmendem, das irgendwo auf sie wartete. Sie meinte die verflossenen Jahre dort hingebracht zu haben, wo das Leben am stärksten pulste; nun war es ihr, als hätten Ballmusik und leeres Lachen alles übertönt, was des Gehörtwerdens wert war. Und in der plötzlich eingetretenen Stille begann sie zu lauschen.

      "Nun

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