Die Göttinnen. Heinrich Mann
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Die Dalmatiner wurden durch die Eifersucht der einheimischen Geschlechter daran gehindert, einen Fürsten in ihrer Mitte zu suchen. Die Mächte, der unter der früheren Verwaltungen nie beendeten Rassen- und Bürgerkriege müde, lenkten die Wahl des dalmatischen Volkes auf Nikolaus, einen noch verfügbaren Koburger. Um ihm die Krone anzutragen, drang man bis in ein verstecktes Jagdhäuschen, wo er mit Treibern und Hunden in einer Küche lebte. Er war ein anspruchsloser Rauschebart, der mit Pelzmantel, Kappe und kurzer Pfeife durch die Wälder ging wie der Weihnachtsmann. Die Übersiedelung als Herrscher in ein fernes Reich, von dessen Lage er keine sichere Kenntnis besaß, ward dem Alten nicht leicht; doch entsann er sich seiner Fürstenpflicht. Der Bundeskanzler sollte ihm beim Abschied gesagt haben: "Reisen Sie mit Gott und sehen Sie zu, dass wir von Ihrem Lande nichts mehr hören."
Nikolaus sah zu. Er regierte still und bescheiden. Und wenn sich im Laufe der Jahre niemals herausstellte, ob er klug, gewalttätig, verschlagen oder edelmütig sei, so wurde eines sehr bald klar: er war ehrwürdig. Seine Völker, die sich gegenseitig Verarmung und gänzliche Ausrottung wünschten, waren darin einig, auf ihren greisen König mit gerührter Liebe zu blicken. Nikolaus war ein Muster als Familienvater. Eine tiefe, unzweifelhafte Ehrbarkeit hüllte alle, die ihm nahe standen, wie in einen Mantel ein, unter dessen Falten ihre Gebrechen verschwanden. Niemand entrüstete sich über den Thronfolger, den jungen Philipp, der, seit im Wiener Theresianum seine Erziehung beendigt war, einem hanswurstmäßigen Vergnügungstrieb lebte; und die schöne Freundin des Königs empfing überall wohlwollende Anerkennung.
Beate Schnaken war eine kleine Schauspielerin, die von Wien nach Zara verschlagen, niemand fand, der gern ihre Schulden bezahlt hätte. In ihrer Not schlich sie früh um fünf aus dem Hause, um in der Jesuitenkirche zu beten. Sobald Nikolaus von Koburg die Führung eines katholischen Volkes übernommen hatte, war er voll Frömmigkeit mit seinem ganzen Hause in die römische Kirche zurückgekehrt. Auch in der Ausübung seiner religiösen Pflichten ging er allen seinen Untertanen voran; in kalter Morgendämmerung verrichtete im Tempel der Jesuitenväter der greise Herr seine Andacht. Beaten war dieser Umstand bekannt. Sie faltete die Hände und verhielt sich ganz ruhig. Der König sah im Winkel etwas Schwarzes und achtete nicht weiter darauf. Am Morgen danach bemerkte er, dass aus dem schwarzen Schleier, der über einem Betstuhl lag, ein bleiches Profil in den Weihrauch hineinstarrte. Als ihm am dritten, vierten und fünften Tage immer dasselbe Bild auffiel, konnte der Alte sich einer herzlichen Rührung nicht enthalten, und Beate Schnakens Glück war gemacht.
Außer ihrer Gage empfing sie eine anständige Apanage. Nikolaus besuchte sie jeden Abend. Geheime Agenten lauschten an den Türen, doch selten fiel ein politisches und niemals ein unpassendes Wort, Im Wagen saß Beate immer an der Seite des königlichen Freundes, weiß und rosig, das sich entwickelnde Doppelkinn in den schwarzen Spitzenkragen gedrückt. Graf Bittermann, Nikolaus' Jugendfreund, hatte sie kniefällig gebeten, sich ihm antrauen zu lassen; mit der Gräfin Bittermann dürfe der König verkehren. Beate aber wies den treuen Diener der Dynastie Koburg ab; sie glaubte, der von ihm gewünschten Ehrenrettung gar nicht zu benötigen. In der Tat verlangte sie niemand von ihr. Die Königin sogar hatte Beate ins Herz geschlossen; man erzählte in dieser Beziehung rührende Züge.
Beate fand sich in ihre zarte Stellung mit der größten Gewandtheit, ohne jeden Rückfall in frühere Lebensphasen. Hier und da nahm sie kurzen Urlaub zu einem Stelldichein in Nizza mit einem Wiener Pferdejuden, oder um jenseits der Schwarzen Berge einen Kollegen von der Hofbühne zu treffen. Dann kam sie zurück, vernünftig, schlicht, mit stiller Würde; innerhalb der Landesgrenzen geschah nie das Geringste.
Die Herzogin unterrichtete sich manchmal sogar aus den Zeitungen über die Taten und Gebärden dieser Herrschaften. Wer ihr in Paris, vor fünf Monaten gesagt hätte, dass sie, um ihre Stunden hinzubringen, zu solchen Mitteln greifen werde!
Prinz Phili ritt eines Tages über den Platz. Sie stand leicht und lässig auf dem monumentalen Balkon ihres ersten Stockwerks und sah an den langen Säulen hinab, an deren Fuß zwei Greifen das Portal bewachten. Links saß ein eleganter Kavalier, rechts ein Hüne in Uniform, in der Mitte aber ein Männchen von schlechter Haltung, das fahrige Blicke umherwarf und unablässig mit kleinen bleichen Händen in den dünnen schwarzen Haaren grub, die auf seinen Wangen keimten. Die Herzogin wollte sich zurückziehen; Phili hatte sie schon erblickt. Er schleuderte die Arme in die Luft, in seinem Gesicht leuchtete es rosig auf. Er wollte anhalten. Sein eleganter Begleiter blieb gefällig stehen, doch der riesige Krieger riss rau am Zügel des Prinzen. Phili zog den Kopf tief zwischen die Schultern zurück und folgte ohne Klage. Seine bemitleidenswerte Rückenlinie verschwand um die Ecke.
Es war im Dezember. Sie setzte einmal über die Hafenbucht. Die helle, feine Stadt, geformt mit der Anmut Italiens, blieb zurück; gegenüber lag unter dem schweren Sturmhimmel nichts als eine graue Steinwüste mit zerbröckelnden Hütten. Der Anblick, der sie kränkte, stachelte etwas in ihr auf, ein Bedürfnis zu wagen, zu handeln und die Kräfte zu messen: sie ließ sich die Ruder reichen, sie tauchte sie tapfer in die lärmenden Wellen, die das Boot herumrissen. Sie sah sich machtlos und kämpfte aus Trotz. Da bemerkte sie am Strande einige Männer mit aufgesperrten Mündern und wild umhergeworfenen Armen. Sie schienen zornig; ein Alter mit gesträubtem weißen Bart drohte ihr mit den Fäusten und sprang dabei von einem Bein auf das andere.
"Was haben die Leute?" fragte sie ihren Gondoliere.
Der Mann schwieg. Der Jäger erklärte zögernd:
"Es ist ihnen nicht recht, dass die Frau Herzogin rudern will."
"Ah!"
Was konnte ihnen das machen? Es musste eine kleine Eigenheit des Volkes sein, diese seltsame Eifersucht. Sie erinnerte sich jener unverständlichen Menschen, von denen sie als Kind für eine Hexe gehalten wurde. Das Volk besaß lauter Marotten. Es sang in sogenannten Volksliedern von Türkenkriegen, die niemals stattgefunden hatten.
Sie hatte die Ruder weggelegt, das Boot war ans Land geschleudert. Sie stieg aus. Der Alte kreischte noch einmal auf und schlich scheu davon. Sie besah sich durchs Lorgnon die jungen Burschen, die ungeschickt stehen blieben.
"Haßt ihr mich denn sehr?" forschte sie wissbegierig.
"Prosper, warum antworten die Leute nicht?"
Der Jäger wiederholte ihnen die Frage in ihrer Sprache. Schließlich sagte eine Stimme, die noch heiser vom Fluchen war.
"Wir lieben dich, Mütterchen. Gib uns Geld für Schnaps."
"Prosper, frage sie, wer der Alte ist."
"Unser Vater."
"Trinkt ihr viel Schnaps?"
"Selten. Wenn wir Geld haben."
"Ich gebe euch welches. Aber die Hälfte gebt ihr eurem Vater."
"Ja, Mütterchen. Alles was du befiehlst."
"Prosper, geben Sie ihnen —"
Sie wollte sagen: zwanzig Franken, überlegte aber, dass das Volk sich tot trinken konnte.
"Fünf Franken."
"Die