Menschen und andere Tiere. Mara-Daria Cojocaru

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Menschen und andere Tiere - Mara-Daria Cojocaru

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Paradigma verschreibe, mithin keine deontologische, utilitaristische, tugendethische, kontraktualistische oder sonst eine -istische Ethik für allein überzeugend halte, erlaubt mir genau das, den Pluralismus und die Qualitäten verschiedener Theorieangebote zu würdigen. Mein drittes Argument ist damit folgendes: Es wird vermutlich nicht gelingen, die Systematisierung moralischer Gefühle auf einen ethisch-paradigmatischen Nenner zu bringen. Sprich: Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass sich eine bestimmte Form der Theorie, wie mit moralischen Gefühlen, Intuitionen und Überzeugungen umzugehen sei, vulgo eine bestimmte Ethik als die richtige erweisen wird. Vielmehr halte ich alle ethischen Theorien für die Systematisierung gegebener moralischer Grundstimmungen oder Temperamente, die für verschiedene Menschen verschiedene Gefühle nahelegen, ja, sogar „natürlicher“ erscheinen lassen. Damit reduziere ich die moralische und politische Vielfalt nicht, sondern erhalte sie gerade. Die anderen Wissenschaften, allen voran die Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften, legen uns eindrücklich nahe, dass Menschen zu ganz unterschiedlichen Zeiten und unter verschiedensten Umweltbedingungen die Gefühle, die für das soziale Miteinander in Form von Moral und Politik ausschlaggebend sind, mit verschiedenen Akzentuierungen kultiviert haben; dabei weist aber nichts darauf hin, dass sich eine allein utilita-ristische, deontologische oder tugendethische (oder sonstwie paradigmatische) Herangehensweise bewähren würde. Unter diesen Voraussetzungen verstehe ich nicht, wie man der Meinung sein kann, auf einem guten Erkenntnisweg zu sein, wenn man nur eine dieser Herangehensweisen gelten ließe. Vielleicht lässt sich dieser Streit zwischen Monismus und Pluralismus nicht einmal auf der metaphilosophischen Ebene entscheiden. Vielleicht ist auch das ein weiterer Beleg dafür, dass der Mensch nicht ist, was er ist, sondern dass er aus der Vielzahl an Selbstbildern etwas aus sich machen kann. Verkompliziert wird diese Situation aber durch die ungeklärte Rolle professioneller Ethiker*innen und durch die akademischen Professionalisierungsbestrebungen der Ethik. Daher ist mein Projekt letztlich kein ethisches, sondern ein moralpragmatisches. Und in der mithin engen Beziehung zwischen ethischer Theorie und moralischer Praxis geht an der Frage, wie Menschen sich denn bestmöglich als Menschen entwickeln können, kein Weg vorbei, gerade weil sich diese Frage am Umgang mit anderen Tieren und mit der eigenen Tierlichkeit entscheidet.

      Manch einem mag die Frage nach der Natur des Menschen allein schon zu hochtrabend erscheinen und überdies völlig verfehlt als Ausgangspunkt für eine tierethische und -politische Erörterung. Eine solche könnte als intellektuelles Luxusanliegen oder gar Kinderei angesehen werden, die nichts mit dem deutlich zentraleren und ernsthafteren Geschäft der philosophischen Anthropologie zu tun hätte. Diese Einschätzung halte ich für eine bestimmte, problematische Form der menschlichen Hybris, der zuallererst begrifflich mit der Klarstellung zu begegnen ist, dass es „den Menschen“ eben nicht gibt, genauso wenig wie „das Tier“. Was es gibt, sind Menschen, viele, unterschiedliche, und Tiere, viele, unterschiedliche, in der Tat, untereinander oft unterschiedlicher als in der Abgrenzung zum Menschen. Und diese vielen verschiedenen Menschen und anderen Tiere müssen sich irgendwie zueinander in ein bestmögliches Verhältnis setzen, wobei die Güte dieses Verhältnisses durch die Güte der Erfahrungen bestimmt wird, die Menschen und andere Tiere in ihm machen können.

      3Tier werden: Menschen und andere Tiere

      Der Mensch ist ein Tier und ist noch nie richtig Tier gewesen. Mit diesem widersprüchlich klingenden Satz möchte ich zwei philosophische Themen aufeinander beziehen: die anthropologische Bestimmung der menschlichen Natur und die pragmatische Frage, was der Mensch aus sich machen kann. Dafür habe ich zwei Gründe. Mein moralpragmatisches Unterfangen ist es, Menschen dabei zu helfen, mehr im Einklang mit dem schon bestehenden normativen Minimalkonsens gegenüber Tieren zu leben, und die philosophischen Pionier*innen, an denen ich mich dabei orientiere, betonen immer wieder eine philosophisch-anthropologische Denkfigur: Der Mensch ist ein Tier (im Sinne von zoon oder animal, nicht im Sinne von „Bestie“). Traditionell wird diese generelle Figur spezieller ausgestaltet. Denn obschon man eine Anthropologie wohl auch darüber an den Start bringen könnte, dass man sagte, der Mensch sei ein Körper (wie es ebenfalls nicht nur Tiere sind, sondern auch Steine oder Flugzeuge), hat die Verortung des Menschen im Tierreich allein noch nie ausgereicht, um den Menschen zufriedenstellend zu beschreiben. Ebenso ist ja auch über alle anderen Tiere noch nicht genug ausgesagt, wenn man sie unter den Begriff „Tier“ fasst. So findet sich in der Bestimmung der menschlichen Natur als Zusatz regelmäßig ein in die Empirie verweisendes Attribut wie das der Sprachverwendung (zoon logon echon) oder der Arbeit (animal laborans) oder … oder. Damit soll dann eine Universalie identifiziert worden sein, vornehmlich aus dem intellektuellen, kulturellen oder religiösen Bereich, die alle Menschen aufweisen und keine anderen Tiere.

      Peirce, Dewey und Midgley sind nun alles in allem zurückhaltend gegenüber einer solchen Spezifizierung des Menschen über vermeintlich universal geteilte Alleinstellungsmerkmale, insbesondere, wenn diese im Gewand einer wissenschaftlich anmutenden Taxonomie daherkommt. Dewey etwa benennt klar die Gefahren dieser immerhin tradierten Denkfigur, wenn er sagt, dass solche Begriffe der menschlichen Natur die längste Zeit der europäischen Geistesgeschichte nicht mit wissenschaftlicher Objektivität erarbeitet worden seien, sondern im Dienste bestimmter sozialer Bewegungen gestanden hätten.1 Peirce weist darauf hin, dass mit der externen Betrachtungsweise des Menschen und seiner Verortung im Tierreich noch nicht sein an Gefühlen, Bemühungen und Begriffen hängendes Inneres erfasst worden sei.2 So hat sich denn auch keine Philosophische Anthropologie, die sich auf den Pragmatismus berufen würde, als Fach etabliert. Midgley wiederum setzt sich kritisch mit „Feststellungen“ der menschlichen Natur etwa nach Art des Behaviorismus auseinander.3

      Damit entsprechen die drei einer gewissen Skepsis, die das traditionelle Geschäft der Philosophischen Anthropologie grundsätzlich betrifft. Es gibt immerhin gute Hinweise darauf, dass empirische Befunde menschlicher Eigenheiten durchaus und konsequent in die philosophische Arbeit integriert werden, allerdings nicht mehr in Bausch und Bogen der traditionellen anthropologischen Geste, sondern in mühevoller interdisziplinärer Feinarbeit. Statt der allgemeinen Frage der Philosophischen Anthropologie nach dem Menschen werden etwa in der Philosophie des Geistes unter Berücksichtigung psychologischer oder neurowissenschaftlicher Forschung Detailfragen nach dem freien Willen wissenschaftlich geklärt. Ähnliche Forschungsprogramme gibt es in der Philosophie der Biologie, in der sich einige der lebhaftesten Debatten um die Bestimmung der menschlichen Natur und deren Ablehnung, insbesondere in normativer Hinsicht, finden.4 So ergeben sich Zweifel daran, dass es einen echten epistemischen Mehrwert hat, in dieser allgemeinen Form nach „dem Menschen“ zu fragen. Die Wissenschaften selbst fragen danach jedenfalls nicht, sondern widmen sich deutlich enger umgrenzten Fragestellungen. Die Frage, „was der Mensch ist“, „an und für sich“, „im Wesentlichen“, „eigentlich“, „im Grunde“ oder „in Wirklichkeit“, würde dann zu einer unwissenschaftlichen Frage, die nur dort manchmal am Rande aufscheint, wo man sich gut und gerne, ja, besser, auf zuverlässigeren Erkenntniswegen halten kann.5 Skepsis vor essenzialistischen und empirisch abschüssigen Abwegen ist geboten.6

      Wenn diese Skepsis begründet ist, dann könnte man meinen, dass der Mensch nicht sinnvollerweise als Tier zu bezeichnen ist, jedenfalls, wenn das, was damit ausgesagt werden soll, nicht trivial sein soll. Ja gewiss, der Mensch ist auch ein Tier. Gleiches gilt für Muscheln und Bonobos – was ist damit schon über Muscheln qua Muscheln oder Bonobos qua Bonobos gesagt? Menschen sind auch teilweise Pflanze, jedenfalls was Haare und Nägel anbetrifft. Menschen sind zum Großteil Wasser. Sagt das irgendetwas?

      Hier würden Peirce, Dewey und Midgley aber des Weiteren betonen, dass es eben nicht trivial ist, wie die Art Mensch verfasst ist – nicht zuletzt, weil sie qua sozialer Tiernatur so verfasst ist, dass durch den symbolischen Raum, der durch anthropologische Bestimmungsprojekte eröffnet wird, normativ auf Menschen zurückgewirkt werden kann. Sozial lebende Tiere, zu denen der Mensch zählt, bilden geteilte Praktiken aus, zu denen Kommunikation zählt. Über sich selbst und die Art und Weise, wie man sich in der Umwelt orientiert, zu kommunizieren ist sicherlich ein notwendiger Bestandteil von Anthropologie, also der Rede (logos) des Menschen über den Menschen

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