Menschen und andere Tiere. Mara-Daria Cojocaru
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2Und wie wird das nun Philosophie? Ein paar Hinweise zur Methode
Jetzt wissen Sie, wo ich herkomme bzw. welche Erfahrungen ich im Umgang mit den Themen dieses Buches schon gemacht habe, und ich erlaube mir noch ein paar Bemerkungen zum weiteren Vorgehen, sprich: zur Methode.
Die Frage nach der Methode in der Philosophie ist selbst eine philosophische Frage: Welchen Weg nimmt man zur Wahrheit, wenn man voraussetzt, dass Wahrheit überhaupt als das Ziel philosophischer Untersuchungen verstanden wird?1 Unterschiedliche Philosoph*innen haben diese Frage über die Zeit hinweg unterschiedlich beantwortet und von aporetischen Aphorismen bis zu analytischen Argumenten alles geliefert: Dialoge, Traktate, Formalisierungen, Phänomenologien usw. Die Standardform, die diese Wegerklärungen oder Reiseführer annehmen, ist aktuell der philosophische Fachartikel oder die entsprechende Monografie. Während ich in den letzten Jahren daran gearbeitet habe, Erstere zu publizieren, will ich mit diesem Buch einen anderen Weg einschlagen. Philosophische Fachartikel werden nämlich kaum gelesen: Es gibt zu viele; sie sind für das, was sie sagen wollen, zu lang, und sie sind oft auch langweilig und langwierig geschrieben.2 Für manche philosophische Diskussion mag das unerheblich sein, und die Verumständlichung der Sprache im Zuge ihrer fachlichen Spezialisierung mag sogar Vorteile bringen. Das stelle ich nicht in Abrede und einer meiner Referenzautor*innen hat sich mit der Einführung von der Alltagssprache abweichender philosophischer Termini bewusst hervorgetan – und zum Teil auch bewährt.3 Bei Themen aber, die aus Situationen mit klarem Handlungsdruck erwachsen, halte ich diesen Hang zu Esoterik (im Wortsinn) für ein Problem.
Mein Weg soll in einer Praxis enden, und eine Praxis ist immer etwas irgendwie Geteiltes (sonst wäre es schlicht Idiosynkrasie). Ich mache mir dabei aber nicht vor, dass just meine tierethischen und -politischen Ideen und meine Versuche, die entsprechenden problematischen Praktiken und Erfahrungen zu verstehen, entscheidend dafür sein werden, wie „wir“ diese Probleme in unseren Gemeinschaften angehen werden. Erstens ist dieses „Wir“ in hohem Maße fragwürdig – und als vergleichsweise privilegierte Person, die allenfalls die beruflichen und sozialen Nachteile erfährt, die ein Engagement für nicht menschliche Tiere mit sich bringt, habe ich mich zweifellos vom Mainstream entfernt, der für so ein vollmundiges, empirisches „Wir“ stehen könnte. Weder konventionelle materielle Güter noch entsprechende Traditionen, die für die Mehrheitsgesellschaft maßgeblich sind, spielen in meinem Denken und Leben eine so starke Rolle, dass ich beispielsweise das Gefühl hätte, mich wirklich einschränken zu müssen, wenn ich „tierverträglicher“ lebe. Ich schreibe nun aber von diesem Standpunkt aus und sehe gar keinen Grund, so zu tun, als ob mein Denken in seiner Form und Reichweite nicht über das, was die Mehrheit heute auch denkt, hinausreichen (oder daran vorbeilaufen) könnte. Das „Wir“, wenn ich es bemühe, ist also nicht das „Wir“ der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Es ist ein angerufenes „Wir“: wir als eine Gemeinschaft, die denkende Menschen bilden können, wenn sie sich – in einem genuin pragmatischen Sinne, der Denken, Fühlen und Handeln zusammenführt – aus dem Gesagten etwas machen möchten.
Zweitens führt auch ein pragmatischer Ansatz nicht in einfache Politikempfehlungen. Wenn ich der Meinung bin, dass in Situationen mit klarem Handlungsdruck anders gedacht werden muss, dann heißt das lediglich, dass das Denken konkret werden und seine Wirkmöglichkeiten in einer entsprechenden Praxis mitgedacht werden muss. Schon das konkrete, an die philosophischen Voruntersuchungen anschließende Denken ist aber eine Praxis! Wenn man als Leser*in nach der Lektüre eines Arguments innehält und sich fragt: „Was folgt daraus praktisch?“, „Was kann ich alleine schon tun?“ oder auch wenn man denkt: „Wieder so jemand, der meint, ich müsste mein Leben ändern …“, dann ist man schon bei allen denkbaren Konsequenzen einer Proposition, bei der Rolle der Gemeinschaft und bei den Schwierigkeiten eines moralischen Lebens. Und diese drei Themen sind es, die den philosophischen Pragmatismus geradezu definieren. Und wenn man dann noch die besten Absichten ausgebildet hat, aber vielleicht noch nicht die Überzeugung im Sinne einer Gewohnheit, zu denken, zu fühlen oder zu handeln, dann beginnt es pragmatisch erst interessant zu werden. Denn dass Gewohnheiten träge und nur schwer zu ändern sind, ist dem Pragmatismus bekannt – und gerade kein Grund, sich nur auf „theoretisch mögliche Einsichten“ zurückzuziehen, sondern sich mit den Möglichkeiten und Hindernissen solcher Veränderungen auseinanderzusetzen. Vor diesem Hintergrund bin ich mir einer Tendenz in der akademischen (Tier-) Ethik sehr bewusst, welche die Unmittelbarkeit der Probleme und die konkreten Auswirkungen philosophischer Positionen – trotz wohlfeiler „politischer Empfehlungen“ – auf Distanz hält.4 Und diese Distanz möchte ich einfach nicht halten; ob das nun eher eine moralische Stellungnahme oder das Angebot „ethischer Expertise“ ist, darüber kann man meines Erachtens einen gelehrten Diskurs führen – aber nicht hier und nicht jetzt.5
Auch deswegen ist dieses Buch ein Hybrid, was die disziplinäre Verortung betrifft, und nimmt Impulse aus der Tierethik, aber auch aus der Politischen Philosophie auf. Das heißt, dass ich tierethische Entscheidungen nicht nur als individuelle Entscheidungen verstehe, sondern auch und gerade als politische. Darüber hinaus ist meine Herangehensweise pragmatisch, weil ich nicht nach der richtigen Form von Moral frage und auch selten nach ihrem ganz genauen Inhalt. Denn ich gehe davon aus, dass zwischenzeitlich unterschiedlichste Formen der Moral (oder „ethische Paradigmen“) auf einer inhaltlichen Position konvergieren, die einer starken Tierschutzposition entspricht. Das bedeutet, wie gesagt: Empfindungsfähige Tiere sind um ihrer selbst willen zu schützen, insofern ihr Leben und ihr Wohlbefinden menschlichen Handlungsabsichten Grenzen auferlegen. Diesen Tieren dürfen ohne vernünftigen Grund keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. Punkt. In dieser Position sind sich Ethiker*innen einig, die ansonsten, sofern alles andere gleich bleibt, mit einiger Wahrscheinlichkeit noch weitere hundert Jahre über metaethische Einzelheiten und das richtige normative Vokabular streiten werden. Da diese Position sogar schon im deutschen Tierschutzgesetz und auch in den EU-Regularien zu finden ist, könnte ich sagen, ich wüsste gar nicht, wer diese Position noch bezweifelt. Hier könnte mich jemand auf die Beiträge von Peter Carruthers oder Timothy Hsiao aufmerksam machen, die den Minimalkonsens bezweifeln. Vielleicht würde jemand anderem noch jemand anderes einfallen. Aber dass mir erst einmal nur zwei Denker einfallen, die der Praxis ziemlich gegenläufige Argumente vorbringen, sagt auch etwas aus.6 Mir persönlich würden wiederum weitaus mehr als nur zwei Denker*innen einfallen, die den beschriebenen Minimalkonsens lediglich als untersten Rand des Spektrums an Forderungen akzeptieren würden, die politisch auszuhandeln wären, sofern Menschen nicht alles in den Wind schlagen möchten, was sich an Argumenten zur moralischen Berücksichtigung von Tieren in der Ethik, aber auch in den Religionen finden lässt. Daher widme ich mich vor dem Hintergrund des Erreichten und eher aus progressiver Richtung denn aus der konservativen des fragwürdigen Minimalkonsenses der Frage, wie andere Aspekte als das Anliegen methodisch letzter Absicherung und transparadigmatischer Gewissheit jene individuellen Entscheidungsmöglichkeiten beeinflussen, wie man sich in Bezug auf Tiere zumindest minimal moralisch verhalten hat.
Die deutsche Philosophin Ursula Wolf spricht hier von den Aspekten „Lebenshaltung, Temperament und Erfahrung“, die in diese Wahl mit eingingen.7 Und die irisch-britische Philosophin und Schriftstellerin Iris Murdoch hat einmal gesagt,