Menschen und andere Tiere. Mara-Daria Cojocaru
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Um daher zur methodologischen Weg-Metapher zurückzukehren: Trotz meiner bescheidenen Hoffnung auf eine praktische Umsetzung des Minimalkonsenses vor dem Hintergrund eines theoretischen Pluralismus, den ich unangetastet lasse, neige ich dazu, eine Reihe philosophischer Positionen für besonders aussichtsreich und die Auseinandersetzung mit bestimmten philosophischen Pionieren für besonders instruktiv zu halten. Ich führe sie hier ein, ohne die dazugehörigen philosophischen Debatten zu würdigen. Das mag dem einen oder der anderen zu schwungvoll sein, entspricht aber meinem Eindruck, dass jetzt – gerade im Kontext dieser tierethischen und -politischen Dringlichkeit – nicht die Zeit für metaethische, philosophiehistorische und exegetische Diskussionen ist. Wer schon an dieser Stelle von dem Weg, den ich einschlagen möchte, genug hat, von dem darf ich mich höflich verabschieden. Ich meine aber hoffen zu dürfen, dass es Menschen gibt, die ähnlich denken oder die in ihren Gedanken zumindest schon einmal an diesem Punkt gewesen sind und vielleicht ähnliche Erfahrungen in tierethischen und -politischen Kontexten gemacht haben. Meine Vermutung ist, dass Leser*innen, die mit dem Folgenden wirklich etwas anfangen können, ganz unterschiedlich philosophisch oder auch überhaupt disziplinär geschult sein mögen – aber dieses Temperament teilen. (Doch vielleicht findet ja auch jemand Interesse an einem Denken, das ihm in den folgenden Punkten fremd ist.)
Naturalistisch, aber nicht szientistisch
Eine naturalistische Herangehensweise, wie sie mir und meinen Referenzautor*innen, Charles S. Peirce, John Dewey und Mary Midgley, vorschwebt, zeichnet sich durch drei Merkmale aus:
−Es wird angenommen, dass ein Teil „der Welt“, wenn nicht sogar der relevante, durch geteilte Erfahrungen zugänglich ist und sich durch methodische Untersuchungen derselben erschließen lässt.
−Diese Erfahrungen werden von unterschiedlichen menschlichen und nicht menschlichen Tieren auf qualitativ durchaus unterschiedliche, nicht aber fundamental verschiedene Weise gemacht; alle erfahrungsfähigen Tiere leben also auf einem Erfahrungskontinuum.
−Es gibt bestimmte leidvolle Erfahrungen, die an sich schlecht, weil lebensunzuträglich sind; damit spielt eine gewisse Form der natürlichen Normativität für Menschen und andere Tiere eine Rolle im Leben.
Wenn sich diese drei Merkmale auch denjenigen erschließen, die im Denken non-naturalistisch temperiert sind, umso besser. Denn der Begriff „Naturalismus“ zeichnet sich gerade nicht durch eine eineindeutige philosophische Bestimmtheit aus.10 Dewey, Peirce und Midgley sind diesem Programm aber erstens zum Teil aufgrund ihrer eigenen Wortwahl zuzurechnen, auch wenn diese immer wieder variiert und qualifiziert wird, insbesondere um die Grenze zu reduktionistischen Programmen etwa dem des „harten, analytischen Naturalismus“ klar zu markieren.11 Zweitens, und das ist für mich entscheidend, teilen sie die Begeisterung für eine konstruktive Auseinandersetzung als Philosoph*innen mit den empirisch arbeitenden Wissenschaften. Dabei geht es eben nicht darum, in szientistischer Manier allein eine Klasse epistemischer Herangehensweisen zu verabsolutieren, nämlich die naturwissenschaftlichen (Plural!), sondern diese ernst zu nehmen und mit anderen Erkenntnismethoden, von sozial- und geisteswissenschaftlichen bis hin zu künstlerischen und religiösen, in ein Gespräch zu bringen.12 Vor diesem Hintergrund gibt es für diese drei Denker*innen auch keinen prinzipiellen Grund, fundamental zwischen Menschen und anderen Tieren zu unterscheiden, auch nicht im Hinblick auf die Frage nach einer gewissen natürlichen Normativität als Grundlage gelungener Erfahrungen. Damit werden aber Fragen des Sollens nicht auf das bloße Sein reduziert. Vielmehr gehört es zum Sein von Menschen und anderen Tieren, dass sie sich – in Maßen jedenfalls – entwickeln können.
Pragmatisch im Sinne von pragmatistisch
Zunächst möchte ich einen Hinweis darauf geben, was ich unter „pragmatisch“ verstehe. Damit meine ich nicht das umgangssprachliche „handlungsbezogen“ im Sinne von „nicht so umständlich“, „theoriefern“ oder gar „hemdsärmelig“. Ich verwende den Begriff, um auf ein Verständnis zu verweisen, dass philosophische Ideen als Instrumente ansieht, die zur Lösung realer Probleme eingesetzt werden können. Dieses Verständnis ist häufig, aber nicht ausschließlich, von klassischen US-amerikanischen pragmatischen Philosophen entlehnt, in meinem Fall von Peirce und Dewey. Dabei sind reale Probleme dadurch gekennzeichnet, dass sie echte, empfundene und keine papiernen Zweifel aufwerfen. Anders ausgedrückt: Im Großen und Ganzen sind sich die betroffenen Menschen darin einig, dass sie ein Problem haben. Pragmatisch zu philosophieren bedeutet für mich, dass ich es vermeide, die Untersuchung dieser Probleme durch Dogmatismus, Priorismus, Mystizismus oder Fundamentalismus zu blockieren.13 Aber auch gelehrter Pedantismus erscheint mir unergiebig, und so plädiere ich für einen ökumenischen Zusammengriff pragmatischer Denker*innen, statt für deren Trennung. Andere mögen „ihre“ Philosophien – etwa den „naturalistischen Humanismus“ (Dewey), den „radikalen Empirismus“ (James) oder den „Pragmatizismus“ (Peirce) – im Sinne eines New Pragmatism einerseits oder eines Neo-Pragmatism andererseits exegetisch rein halten. Angesichts der anhaltenden Uneinigkeit über die Begriffe „pragmatistisch“ und „Pragmatismus“14 und da bereits Peirce, James und Dewey mit dem Begriff nicht glücklich waren, habe ich es aufgegeben, „pragmatistisch“ für meine Zwecke zu verwenden.
Es gibt Raum sowohl für exegetische als auch für systematische Arbeit in der Tradition des philosophischen Pragmatismus. Mir ist Letztere wichtiger und ich sehe darin Vorteile gerade für die Diskussion von Themen, bei denen die Perspektive der klassischen Pragmatiker durch ihre Zeit naturgemäß eingeschränkt war.15 Midgley hat sich mit dem Pragmatismus meines Wissens nicht eigens befasst, außer mit James in Auszügen und mit Dewey in knapper Referenz.16 Ich sehe aber nicht nur in ihrem Naturalismus und in ihrer Problemorientierung große Nähe zu Dewey und Peirce – auch aufgrund ihrer Vorstellung von Philosophie verstehe ich sie für die Zwecke meines Buches als pragmatische Pionierin. Und das bringt mich zum letzten methodologischen Punkt.
Philosophie des Wandels, ohne beliebig zu sein
Ich würde dieses Buch nicht schreiben, wenn ich nicht davon ausginge, dass Philosophie dazu beitragen kann, die Welt zu verändern. Wenn ich an diesem vollmundigen Satz zu zweifeln beginne, dann hilft es mir immer, mich daran zu erinnern, was ich zum Thema „Philosophieverständnis“ bei Midgley, aber auch im Pragmatismus finde. Was diese Denker*innen nämlich teilen, ist die Vorstellung, dass die Welt die Probleme der Philosophie nicht nur vorgibt, sondern die Lösungsvorschläge, welche die Philosophie anbietet, auch validiert. Diese Validierung findet in der Erfahrung statt.17 Man kann sehen bzw. irgendwie überprüfen, dass es ein Unterschied ist, wie und was gedacht wird. Und im Falle gelungenen Denkens ist es nicht nur irgendein Unterschied, sondern ein entscheidender, und zwar, weil aus diesem Denken Handlungen folgen, die zu stimmigeren Weltzuständen führen. Im Pragmatismus findet sich dafür bei Dewey die Formel vom Problemlösen. Midgley hat für diese Herangehensweise eine bessere Analogie gefunden, mit der deutlich wird, dass Problemlösen mehr ist als ein beliebiges Durchwursteln bei der Behandlung von Oberflächenproblemen. Sie betrachtet Philosophie nämlich als eine Form des Klempnerns. So wie Klempner*innen sich darum kümmern, dass das für einen Haushalt zweifellos wichtige Wasser seinen Ort dorthin findet, wo es seinen Nutzen hat, so kümmern sich Philosoph*innen