Menschen und andere Tiere. Mara-Daria Cojocaru

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Menschen und andere Tiere - Mara-Daria Cojocaru

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haben. (Dass etwa Hunde mit uns und untereinander kommunizieren, ist klar; ob sie untereinander über uns kommunizieren, unklar.) Über ihre jeweilige Stellung in der Umwelt kommunizieren Tiere zweifellos, in welch „rudimentärem“ Sinne auch immer.7 Peirce geht philosophisch beispielsweise davon aus, dass Tiere am semiotischen Geschäft teilhaben.8 Und die unbelegte Behauptung Deweys, dass Tiere nicht kommunizierten, wurde zwischenzeitlich vor dem Hintergrund seiner eigenen Annahmen zur Kontinuität und im Lichte der Forschung zu Tieren korrigiert.9 Soziale Tiere kommunizieren also, und der Mensch ist ein soziales Tier. Er kommuniziert über sich selbst und das offenbar, obwohl er sich mit Detailfragen auf belastbarerem Grund bewegen könnte.

      Mit Midgley kann man nun annehmen, dass eine Form dieser menschlichen Metakommunikation in Mythen resultiert. Sie verwendet den Begriff nicht negativ.10 Mythen sind welterschließende Geschichten – „Narrative“, würden andere Denker*innen sagen –, die Orientierung liefern, bestimmte Fragen so beantworten, dass sie sich im Alltag nicht immer wieder aufs Neue stellen. Würden Menschen sich etwa jeden Tag aufs Neue fragen, ob ihr menschliches Gegenüber wirklich ein Bewusstsein habe, kämen sie sozial und kulturell nur bedeutend schwerer voran. Dieses Beispiel zeigt, dass manche Fragen im Rahmen der Mythenbildung vielleicht vorschnell beantwortet werden oder auch gar nicht gestellt werden können. Und genau an diesen Punkten werden unter Umweltbedingungen, die solche Fragen aufwerfen, Kritik und philosophische Arbeit notwendig – etwa im Umgang mit Komapatient*innen oder umgekehrt im Umgang mit nicht menschlichen Kandidat*innen für bewusstseinsfähige Wesen. Allerdings geht es dabei nicht darum, sich von Mythen gänzlich zu befreien. Das Versprechen, sich vollends von Mythen, also auch von Vorläufigem und Undurchsichtigem, befreien zu können und aufgeklärt zu werden – etwa allein im Vertrauen auf eine bestimmte naturwissenschaftliche Methode oder eine bestimmte Konzeption von Vernunft –, ist für Midgley selbst ein Mythos. Anstelle solcher Mythen, die den Menschen Anpassungsprobleme an ihre Umwelt bereiten, braucht es passendere Mythen – und nicht gar keine.

      Aufgrund dieser Unabdingbarkeit von Mythen, die zum Teil jedenfalls in philosophischen Redeweisen über den Menschen wurzeln, kann das Projekt einer normativen Anthropologie nicht einfach deswegen beiseitegelegt werden, weil es schon so oft gescheitert ist. Auch bei einem zeitgenössischen Vertreter des Pragmatismus wie Hilary Putnam findet sich eine Ablehnung der Idee, Philosophie lediglich zu einem Zu- oder Nachsatz derjenigen Disziplinen zu machen, die den Menschen spezifischer bzw. ausschnittartig in den Blick nehmen.11 Weil sich alle philosophischen Unternehmungen in der Frage nach dem Menschen letztlich berühren, sollten wir normative Selbstdeutungen des Menschen vergleichen und kritisieren, auch unter Zuhilfenahme außerwissenschaftlicher Mittel wie etwa der Literatur.12

      Entsprechend ist aber gerade nicht jeder Mythos oder jede Selbstdeutung gut genug oder schon gut, wenn er oder sie gefällt. Der Mythos des endlosen Fortschritts und der unbegrenzten Ressourcen hat sich etwa klar als falsch erwiesen, und zwar als lebensgefährlich falsch. Mit Midgley bin ich daher der Meinung, dass es nicht nur sinnvoll, sondern sogar unerlässlich ist, vom Menschen explizit auch als einem Tier zu sprechen, und zwar, weil Tiere nicht nur eine Klasse von Dingen sind, mit denen Menschen sich, wie sie sagt, „amüsieren“ (wie „Kaugummi und Wasserskier“13). Tiere sind vielmehr die Gruppe, zu der die Menschen gehören.14 Mit dieser Anerkennung einer Gruppenzugehörigkeit wird auch pragmatisch eine Orientierung vorgegeben – eine Orientierung in der Entwicklung des Menschen.

      Diese Entwicklung ist primär sozial, nicht physiologisch, auch wenn physiologische Entwicklungen der Art Mensch zu erwarten sind und das vielleicht sogar zuverlässiger als soziale. Dass aber der Mensch im Laufe seiner künftigen physiologischen Entwicklung den Weisheitszahn verlieren könnte, ist philosophisch nun doch trivial, jedenfalls vor dem Hintergrund der Problemstellung dieses Buches. Insofern ist es wichtiger, die moralische Verwandtschaft zu bestimmen, die zwischen Menschen und anderen Tiere entstehen kann, weil Menschen auch Tiere sind, und zwar, wie sich zeigen wird, in einem besonderen, nicht nur moralischen, sondern auch politischen Sinne.

      Diese Verwandtschaftsbehauptung ist aber in Philosophie und Gesellschaft weder allgemein anerkannt noch frei von emotionalen Reaktionen. Im Gegenteil: Sie ist zugleich Reizthema und Utopie. Daher werde ich in den folgenden Abschnitten erst auf die Probleme eingehen, die so eine Redeweise und die damit einhergehende Behauptung mit sich bringen, um dann das herauszuarbeiten, was als Tierlichkeit des Menschen, insbesondere im Vergleich und im Miteinander mit anderen Tieren, betont werden kann und sich in ein stimmigeres Selbstbild des Menschen integrieren lassen sollte. Dabei geht es auch um den Mythos des Tiers und des „Tierischen“ als etwas Niederem, der in Form von Brutalismus dem menschlichen Selbstbild und in Form von Stereotypen anderen Tieren schadet und auch den Hintergrund für die erste emotionale Reaktion bilden dürfte.

      3.1Wider die selbst verschuldete Entmündigung verkappter Darwinist*innen!

      Viele Menschen empfinden es als eine Herabsetzung, wenn Menschen und Tiere auf einer Stufe und in ein und demselben Vokabular verhandelt werden. Die Aussage, dass Menschen „wie Tiere“ behandelt würden, ist meistens ein Ausdruck der Empörung darüber, dass Menschen den gleichen oder ähnlichen Handlungen unterworfen werden wie Tiere, und kein Ausdruck etwa der Wertschätzung einer „artgerechten Haltung“. Ähnlich wird auf die Redeweise von „Menschen und anderen Tieren“ reagiert, die manchen beispielsweise zu suggerieren scheint, dass Menschen „auch nur Tiere“ seien, wobei die Betonung auf „nur“ liegt. In solchen Reaktionen wirkt ein kulturgeschichtlicher Dualismus nach, der nicht nur klar zwischen Menschen und Tieren differenziert, sondern auch mit „dem Tier“ und „dem Tierischen“ alles Weitere abwertet, das irgendwie „naturnah“ begriffen wird.15 Unter diesen diffusen Begriff von Natur können Frauen ebenso fallen wie die eigenen Körperfunktionen. Diese Abwertung des „Tierischen“ geht einher mit einer Aufwertung des Menschen bzw. dessen, was von ihm übrig ist, und findet sich auch in der philosophischen Tradition in Gegenüberstellungen wieder, die mal mehr, mal weniger akzeptierte Teile welterschließender Mythen im Sinne Midgleys geworden sind. Dann wird geredet von „Moral“ einerseits und „Instinkt“ andererseits, von „Geist“ hier und „Materie“ dort, von „Vernunft“ gegenüber dem „Triebhaften“ und von der „Seele“ gegenüber dem „Körper“ usw. Das, was Menschen an sich selbst auszeichnen wollen, steht dann immer im Gegensatz zu der anderen Seite, und obschon der Mensch unter aufgeklärten Menschen natürlich auch Tier ist, biologisch, beeilt man sich hinzuzufügen, dass er aber nicht richtig oder jedenfalls nicht nur Tier ist.

      Zu der Belastbarkeit dieser – vergleichsweise durchsichtigen – Mythenbildung und ihrer Wirkmacht in der Produktion exkludierender moralischer und politischer Ordnungen komme ich in Kapitel 5. Ich habe diesen philosophischkulturellen Hintergrund hier erwähnt, um im Folgenden einer Sorge zu begegnen, die sich auf die Redeweise von „Menschen und anderen Tieren“ bezieht. Sie findet sich zum Beispiel bei Kritiker*innen dieser Redeweise wie Peter Janich oder Cora Diamond.

      Diesen Kritiker*innen geht es selbstverständlich nicht darum, hinter Darwin und die Erkenntnisse biologischer Verwandtschaft zwischen Menschen und Tieren zurückzufallen. Sie fürchten allerdings eine Art Brutalisierung der normativen Sicht auf den Menschen, bei der moralische Errungenschaften, die Menschen in einen Abstand zu sich selbst als „bloßen“ Naturwesen brächten, gefährdet würden. Der Begriff der „Würde“ ist hierbei zentral, aber auch derjenige der „Verantwortung“ (Janich). Oder es wird schlicht behauptet, dass mit dem Begriff „Mensch“ eine normative Praxis verbunden sei (Diamond). Diese humanistischen Impulse verstehen sich im Gegensatz zu naturalistischen Ansätzen, und so werde ich im Folgenden von humanistischen Kritiker*innen sprechen, auch wenn sich Janich und Diamond in ihren philosophischen Traditionen voneinander unterscheiden.

      Humanistische Kritiker*innen der naturalisierenden Redeweise von Menschen und anderen Tieren wehren sich gegen die Einordnung des Menschen mit seinen kulturellen Praktiken in die Sphäre der Natur. Sie wollen entweder

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