Charlys Sommer. Anett Theisen
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„Hi Dad.“
„Guten Morgen, Engel. Habe ich dich geweckt?“ Er klang besorgt.
„Dafür bist du gut fünf Stunden zu spät“, lachte Charly. „Was hast du auf dem Herzen?“
„Kannst du für mich einen T1 begutachten? Ein Kaff bei Quedlinburg. Muss noch heute sein.“
Sie nahm ihr Handy vom Ohr und warf einen Blick auf die Uhrzeit. „Kein Problem, gegen Mittag schaffe ich, schick mir die Adresse, ja?“
„Mach ich. Danke, Engel. Wo bist du überhaupt?“, fragte er.
‚Entweder hat er schon bei mir zu Hause angerufen oder wundert sich, warum ich so schnell dort sein kann’, dachte sie amüsiert. „Irgendein Café bei Suhl. Das erste warme Schönwetter-Wochenende verplempere ich doch nicht zu Hause!“, lachte sie.
„Und da hast du Zeit für einen Auftrag von mir altem Krüppel?“
Sie verdrehte die Augen. Ihr Vater störte sich sonst nicht an seinem Handicap, also musste etwas passiert sein. „Bist du aus dem Rollstuhl gefallen?“, fragte sie scherzhaft.
„Nein, vom Büro in die Werkstatt.“ Er hörte sich so an, als hätte er es ihr lieber verschwiegen.
„Whoa, ist dir was passiert?“
„Blaue Flecken.“ Er seufzte.
‚Da fehlt noch was’, dachte sie. Erwartungsvoll schwieg sie ins Telefon.
„Die Zehen tingeln“, gab er nach.
„Ist das gut oder schlecht?“
„Das wird mir am Montag hoffentlich der Doc sagen können.“
‚Er lacht wieder, gut. Vielleicht sollte ich trotzdem bei Steven nachhören’, überlegte sie und überhörte beinahe seine Frage nach Neuigkeiten. „Langsam gebe ich dir recht, das Kennzeichen der Monster zu ändern. Vorhin hat sich ein Porsche hinter mir verbremst und ich befürchtete schon, Notruf und Ersthilfe leisten zu müssen, aber er hat sich gefangen. Auffällige Farbe“, bemerkte sie noch. Natürlich gab er sich damit nicht zufrieden und sie diskutierten über das wahrscheinliche Modell. „Ich rufe dich an, wenn ich den T1 angeschaut habe“, sagte sie schließlich.
„Geht klar, Engel. Und ras‘ nicht!“
„Ich rase nie. Ich fahre zügig und bremse nur bei dringendem Bedarf“, schloss sie sehr würdevoll und legte schmunzelnd auf. Es war ihr Spruch, seit sie mit acht das erste Mal auf ein motorisiertes Zweirad gestiegen war.
Gerade wollte sie das Handy in die Tasche stecken, da fiel ihr Blick aufs Display. ‚Fünf Anrufe?’ Sie klickte auf die Rufliste. ‚Gitta, wer sonst?’ Sie winkte dem Kellner, bestellte einen doppelten Espresso, und erst, als der vor ihr stand, atmete sie tief durch und drückte den Rückruf.
„Schätzchen! Endlich meldest du dich, ich versuche schon den ganzen Vormittag, dich zu erreichen!“, tönte eine aufgeregte Stimme an ihr Ohr, kaum, dass es ein Mal geläutet hatte.
„Hi Mam, dir auch einen guten Morgen.“ Sie verkniff sich den Hinweis, dass der Vormittag erst halb vorüber war. Nicht gleich einen Streit vom Zaun brechen. Charly mochte ihre Mutter, aber sie hielt es nur dosiert mit ihr aus. Niedrig dosiert. „Was gibt‘s?“, fragte sie.
„Sag nicht nein. Du musst für eine Präsentation einspringen.“
„Schon gut, Mam, mach kein Drama draus. Wann und wo?“
„In zwei Wochen. Im Kaufhaus Görlitz. Ist von dir aus ja nicht allzu weit.“ Die Stimme ihrer Mutter klang schuldbewusst.
„Immerhin vier Stunden Fahrt!“, schnaubte Charly. „Ich mach‘s. Abgesehen davon, dass ich nicht nein sagen darf, mir gefallen Kaufhaus und Stadt. Aber nicht für lau. Du übernimmst die Kosten für zwei Nächte im Hotel meiner Wahl. Ohne Murren!“
„In Ordnung.“ Begeisterung hörte sich anders an, aber ihre Mutter wusste, wann sie am kürzeren Hebel saß. „Wann kommst du zur Anprobe? Es sind einige Kleider anzupassen.“
„Kommenden Donnerstag, nicht vor sechs.“
„Gut.“ Ihre Mutter zögerte kurz. „Schläfst du dann hier?“
„Es wird eine kurze Nacht. Halb fünf muss ich los.“
„Das schaffen wir.“
Sie hörte das Amüsement in der Stimme ihrer Mutter und schnaubte wieder, widerwillig ebenfalls amüsiert. „Das hoffe ich doch. Bis dann.“ Sie legte auf. Dann stürzte sie den inzwischen nur noch lauwarmen Espresso hinunter, zahlte und ging zu ihrem Motorrad. Sie suchte die Route nach Quedlinburg heraus und saß kurz darauf im Sattel. Vergnügt pfeifend schwang sie sich durch die Kurven des Thüringer Waldes, den Refrain sang sie laut: „Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling ...“ Zumal es derzeit absolut keinen Grund dafür gab.
Rusty Cage – Johnny Cash
Es war wirklich ein winziger Ort. Die einzige Straße bestand aus unregelmäßigen Feldsteinen, auf denen sich die Monster ihrem Namen gemäß benahm. Charly presste die Knie gegen den Tank und hob den Hintern vom Sattel, wie sie es bei Napoleon tat, wenn sie den Waldweg hoch galoppierten. Die Adresse war leicht zu finden und der große, ungepflasterte Hof allemal besser als die Straße, auch wenn die Gebäude arg heruntergekommen waren.
Erleichtert kurvte sie durchs Tor und stellte die Monster neben das silberne Mercedes-Coupé, das in der schäbigen Umgebung deplatziert wirkte. Eine unwirkliche Stille legte sich über den Hof. Sie nahm den Helm ab und steuerte das Wohnhaus an. Ehe sie es erreichte, kam ihr ein junger Mann entgegen. ‚Etwa mein Alter’, schätzte sie. Trotz des seriösen Anzugs und der gewandten Begrüßung fand sie ihn unsympathisch. „Ich will mir den T1 anschauen. Mein Vater hat mich sicher angekündigt“, erklärte sie steif.
„Natürlich. Hier entlang.“ Er ging voraus in die große, reparaturbedürftige Wellblechhalle. Die war vollgeramscht mit Fahrzeugen aller Art, hauptsächlich sehr alte, verrostete und verdreckte Karossen. Staubteilchen flimmerten in den Sonnenstrahlen, die durch das undichte Dach hereinfielen und das Innere streifig erhellten.
„Das steht alles zum Verkauf?“, fragte sie erstaunt.
Er nickte und schob eilig eine Erklärung nach: „Mein Urgroßvater hat sie zusammengesammelt. Er meinte, sie wären viel wert.“
„Da hat er nicht ganz unrecht“, antwortete sie. „Nur nicht in diesem Zustand.“
Der Anzugtyp zuckte mit den Schultern. „Das Gerümpel muss raus, so schnell es geht. Das Land ist mehr wert als die Schrotthaufen. Hier ist er“, erklärte er und blieb stehen.
Sie trat an den Wagen heran und spähte durch die verstaubte, halb blinde Heckscheibe. „Das ist kein T1, allerhöchstens eine Hülle. Da drin fehlt alles. Außen übrigens auch so einiges“, fügte sie hinzu, als sie an der Fahrerseite entlang sah.
„Aber es ist ein Samba“, konterte er stolz.
Sie erwiderte nichts, hockte sich neben die Karosse