Wolken über Spanien. Kate O'Brien
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Ich sollte diese Leute zu einem bestimmten Leuchtturmwärter mitnehmen – keine tausend Kilometer entfernt von dort, wo wir uns gerade befinden. Don Ángel, der dickste Mann in La Montaña. Als ich einmal an der Küste entlangwanderte, sah ich ihn neben seinem Leuchtturm in der Sonne sitzen und fragte ihn, ob ich zum Lampenhaus hinaufsteigen könnte. Ein seriöser älterer Herr – ein Journalist aus Saragossa – hatte gerade dieselbe Bitte geäußert. Also stiegen wir hinter Don Ángel hinauf, dessen Körperfülle es uns unmöglich machte, die nächste Windung abzusehen, oder auch nur den nächsten Schritt vor uns auf der Treppe. Endlich standen wir oben auf der Plattform des Lampenhauses und beugten uns über die hohe Brüstung. Die Plattform war schmal, und Don Ángel klemmte wie ein weicher Ballon zwischen Lampenhaus und Brüstung. Ich bin keine Nymphe, und auch der Herr aus Saragossa war nicht der schlankste. Wir müssen einigermaßen komisch ausgesehen haben, da oben auf der Plattform, aber da war niemand, der über uns hätte lachen können. Don Ángel ist ein sehr ernsthafter Mann, und er und der andere Gentleman vertieften sich in ein Gespräch über politische Theorien. Von denen Don Ángel keine einzige besaß. Er ist ein Anarchist, und während ich ihm zuhörte, dachte ich, dass der großzügige Chesterton13 begriffen hätte, dass es sich bei ihm, zumindest seiner Rede nach, um einen Heiligen handelte. Trotzdem, wegen seines verrückten Traums von Perfektion würde er die gnadenlose Zerstörung aller Zeitalter Spaniens mit ihrer konfusen und herrlichen Kultur, ihrem uransässigen und unbeschreiblichen Glauben befürworten. Spanien muss verschwinden, sagt Don Ángel, es muss den Märtyrertod sterben, es muss in Blut ertränkt werden. Ich brachte gerade genug Spanisch zusammen, um ihm zu widersprechen, aber der Journalist aus Saragossa schüttelte nur den Kopf. Die anarchistische Idee bringt keinen nüchternen Spanier aus dem Konzept. Und während Don Ángel weiterredete, von Dezentralisierung, von der Beseitigung der Obrigkeit und ihrer Symbole, von Lenins schweren Vergehen, von der Bedeutung eines jeden einzelnen Menschen und der Herrlichkeit und Freiheit des Todes sprach, dachte ich weiter über den Katholiken Chesterton nach und darüber, wie man ebenso an Anarchie wie an die Idee des Katholizismus glauben kann, schlicht und einfach deshalb, weil es unmöglich ist. Wie ein Mensch in Christus vernarrt sein mag, so mag er auch in seinen Mitmenschen vernarrt sein, und wenn er verrückt ist nach der Liebe zu Gott, so auch verrückt nach der Liebe zum Menschen. Credo quia absurdum – ich glaube, weil es absurd ist – ein tautologisches Axiom. Du glaubst nicht an den Faschismus. Du hast ihn vor Augen, und es ist schwer, so mystisch damit zu verfahren wie der ältere Herr, der eine Giraffe betrachtete und heftige Zweifel an ihrer Existenz äußerte. Du kannst den Faschismus mögen, wenn es das ist, was du magst. Aber du musst dich nicht dazu zwingen, an ihn zu glauben. Genauso wenig musst du an den Kommunismus glauben. Aber, wie Don Ángel sagte, niemand hat je das Reich Gottes gesehen. Keine menschliche Institution hat je den Beweis dafür erbracht, deshalb kann man nur daran glauben. »Es wird Tote geben, und Blut wird fließen«, sagte Don Ángel sehr freundlich. Und der Gentleman aus Saragossa, ein besorgter Anhänger von Azaña14, schien mit ihm einer Meinung zu sein.
Nun, in jenem Sommer waren Samper15 und die CEDA an der Macht, und es gab weiß Gott genug Probleme, die in Spanien hochkochten. Der Herbst sollte uns das zeigen. Doch der Sommer war schön und die Spanier so zuvorkommend und humorvoll wie immer. Die Basken machten wegen einiger ihrer alten Rechte gegen die Zentralregierung Front, und alle baskischen Bürgermeister wanderten ins Gefängnis, jeder war auf ihrer Seite und ganz einverstanden. Eine einzelne Fremde allerdings, deren Spanisch binnen Kurzem vor den langen politischen Leitartikeln in El Sol kapitulierte, zog es vor, die Berichte über den Stierkampf zu lesen oder die Bilder in der Zeitschrift Estampa zu betrachten. Man war sich in diesem Sommer – oder, Gott vergib, selbst wenn man im darauffolgenden wiederkam – nicht bewusst, ob man beim Sterben zuschaute, oder bei einer riesigen unabsehbaren Geburt. Es war herrlich, in jenen Nächten vor einem bestimmten kleinen Gasthaus zu sitzen, dem sanften Rauschen der Wellen zu lauschen und zu spüren, wie der Verbenenzweig einem sanft über die Stirn strich, während die Dorfjungen – jede Nacht dieselben drei oder vier – an der Veranda lehnten und einander neue Flamencos beibrachten. Der Brandy war spanisch und brannte auf der Zunge, der Gesang wild, doch Spanien schien ganz ruhig, obwohl wir uns gar nicht weit von Asturien befanden. No pasa nada, dachten wir. Es wird schon nichts passieren.
Und im Hotel – wir lachten über zimperliche alte Damen aus Barcelona mit ihren katalanischen Banditengeschichten, wir sprachen mit dem gebildeten Don Perú über französische Literatur, wir hörten teilnahmsvoll zu, wenn uns Consuelo, das hübscheste Zimmermädchen, das je einen Staubwedel in der Hand hatte, von ihrem Bräutigam in den baskischen Bergen erzählte, von seiner Konditorei und seiner Mutter und von der Hochzeit, die zu Ostern geplant war. Und wir diskutierten mit enttäuschten Touristen und versuchten, sie auf genüssliche Wege zu lenken.
Einige hatten ihr Vergnügen. Es gab einen Engländer und seine Frau, die ihr Vergnügen daran hatten, sich nicht zu vergnügen. Und einen Iren und seine Frau, die gerade begannen, die Zeit zu genießen und sich wie Urlauber zu fühlen, als ihr unbarmherziger Dampfer eintraf, um sie nach Hause zu bringen. Aber sie waren eben keine normalen Kurzreisenden. Erstens hatten sie mehr als einen Monat Zeit, und zweitens – sie kamen aus Dublin – waren sie freundlich gesinnt und geneigt, das Leben so nehmen, wie es kam. Anfangs waren sie scheu. Die Gäste, die Señora, der Portier, der Page, die reizende Consuelo, wirklich alle saßen sie auf der Veranda und unterhielten sich, sofern es nichts anderes zu tun gab, was das Kommen und Gehen für einen Fremden, der die Skala aller Arten von Begrüßungen und Höflichkeiten durchlaufen musste, ohne durch Besseres als ein Lächeln oder ein vages si oder ah gewappnet zu sein, durchaus unangenehm machen konnte. Harry, der Ire, fragte mich eines Tages ziemlich gereizt: »Warum fangen sie immer an, über Hochzeiten zu reden, wenn sie meine Frau und mich sehen?« Das Ola! Qué tal el matrimono? der alten Señora hieß nichts anderes als »Hallo! Wie geht’s dem Ehepaar?«. Auf Englisch mag das ein wenig anzüglich klingen, im Spanischen dagegen in keiner Weise, aber bei Harry kam es so an, als wolle sie mit ihm eine Diskussion über das Verheiratetsein führen. Harry und seine Frau kamen aber gut mit den Spaniern aus, und es war schön zu sehen, wie munter sich der Mann mit den fünf oder sechs Brocken, die er gelernt hatte, verständigen konnte.
Die beiden waren unternehmungslustig. Sie machten sich zu Picknicks auf, nahmen die Fähre nach Pedrosa, fuhren nach Solares und weiß Gott wohin. Sie bereiteten ihren Tee in Maisfeldern und Eukalyptuswäldern zu. Sie saßen in Tavernen und lernten von Arbeitern, wie man Wein aus der langen Tülle des porrón trinkt. Sie begleiteten die Señora und mich in den Zirkus, und noch immer höre ich amüsiert Harrys Stimme, als er der alten Dame gegenüber die Limousine lobte, die sie für unseren Ausflug gemietet hatte. »Chrysler coche – sehr bonito.« Sie gingen zum Tanzen ins Casino. Die schwer zu beschreibende sagenhafte Saison, an die Harry seinen Glauben beinahe schon verloren hatte, fing gerade an, als sie abreisen mussten. Sie verbrachten einen ausgelassenen Tag bei einer Romería in einem der Bergdörfer. (Ein Volksfest für einen örtlichen Heiligen, alles inbegriffen, man kommt und geht, wie und womit man will. Romería heißt Wallfahrt.) Sie kauften einen niedlichen Blaumann als Mitbringsel für ihren kleinen Sohn. Ich half ihnen dabei und hoffe, dass sie ihn immer noch haben, obwohl sie ihren Sohn nun vielleicht lieber nicht mehr darin sehen möchten. Ich fürchte, dass Harry nie auf der Seite der kämpfenden Arbeiter stehen wird.
Gemeinsam gingen wir zu einem Stierkampf. Ich war bis dahin noch bei keinem einzigen gewesen – hatte mich nie dazu entschließen können. Hemingways »Tod am Nachmittag« lag ungelesen in meinem Koffer – und würde noch eine Zeit lang ungelesen bleiben. Es handelte sich nur um eine Novillada, einen Kampf mit Jungstieren. Unter den Matadoren war außerdem eine Frau – Juanita Cruz16. Die Ängstlichen hielten es vermutlich für die einfachste Art des Stierkampfs. Ohne Pferde. Kleine Stiere. Eine Frau unter den Matadoren. Ruth, ein siebzehnjähriges englisches Mädchen, bat mich, sie auch mitzunehmen. Ich überlegte, was ihre Mutter, eine sehr liebe Freundin, wohl dazu sagen würde. Heutzutage allerdings eine etwas altmodische Überlegung. Ich nahm