Wolken über Spanien. Kate O'Brien
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Ehrlich gesagt war es ein schlechter Kampf, obwohl Juanita sich wirklich gut schlug und drei von uns sehr feministisch wurden und sich für sie stark machten. Aber es gab viel törichtes Zeug und einen jungen Matador, der sich blamierte. Schwer zu glauben, dass man nach der Erfahrung jenes Nachmittags Lust gehabt hätte, noch eine Corrida zu sehen. Harry hatte keine mehr. Das stand fest. Er betrachtete die Sache als Sportler, und nach den nationalen Jagdregeln und so weiter lehnte er den Stierkampf als dumm und brutal ab. Ich war interessiert und hingerissen ab dem »Los!«. Ruth war still und, wie ich vermute, verunsichert, aber ihre Fantasie kapitulierte, während sie noch mit sich selbst verhandelte. Harrys Frau war völlig aus dem Häuschen, aufgeregt, begeistert und auch amüsiert, als wäre sie eine Spanierin. Sie ließ sich alles erklären und bejubelte Juanita wie verrückt. Sie mussten am Abend der großen feria mit fünf kompletten Corridas abreisen, worüber sie sich sehr ärgerte. Ich hoffe, sie erinnert sich noch an ihre einzige Novillada und wie sich Harry angesichts der Brutalität der drei ihn begleitenden Damen empörte. Nun, sie fuhren zur festgesetzten Zeit auf ihrem Dampfer davon – »Adiós, el matrimonio!« Mir tat es leid, sie gehen zu sehen. Ich frage mich, ob sie in dem regnerischen, alles andere als extravaganten Spanien, das sie erlebten, irgendeine dauerhafte Entschädigung für das Postkartenspanien fanden, nach dem sie gesucht hatten.
Das Theater in Nordspanien ist zuweilen bemerkenswert. Wenn es in Madrid zu heiß wird, um den Schauspielern noch eine ordentliche Zuschauerzahl zu bescheren, zieht es einige der erstklassigen Truppen an die etwas kühlere Küste, und ich sah in Santander eine köstliche Aufführung von Benaventes Lo Cursi. Es handelt sich um eines seiner früheren Stücke, eine zugestandenermaßen etwas altmodische Comédie des mœurs, doch in den verschiedensten Verkleidungen werden die Schwächen, die Benavente in dieser Sittenkomödie aufs Korn nimmt, über die Generationen hinweg weitergetragen, sodass der Schwung, der Reiz und die unterschwellige Bosheit des Stücks das Publikum auf ewig unterhalten wird. Ein anderes seiner Stücke, El Pan Comido en La Mano, konnte ich nicht wirklich beurteilen, denn da es neu und noch nicht veröffentlicht war, hatte ich keine Chance, vorab den Text zu lesen, und durch die extrem naturalistische Spielweise konnte ich der Aufführung sprachlich nur schwer folgen. Das Stück war ernster und emotionaler als die frühe, hinreißende Satire. Die Spielweise wirkte in beiden Fällen wunderbar ausgeglichen, wenn auch ein wenig verhalten und etwas zu sehr à la Du Maurier17.
In jenem Sommer wurden in Santander auch Musikkomödien gegeben. Ich erinnere mich an eine, oder vielmehr erinnere ich mich daran, eine abgesessen zu haben. Ein importiertes, ins Spanische übersetztes Ding, das in Madrid das ganze Frühjahr lang für Aufsehen gesorgt hatte. Die Sache war so langweilig wie Musikkomödien es nun mal sind. Die Handlung erinnerte vage an No, No, Nanette18, aber die Melodien leider nicht. Ich erwähne das nur, um Santander Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, da solche Vergnügungen, nach allem, was ich weiß, zu den Attraktionen der Stadt zählen. Mir ist das bequeme neue Kino lieber, wo sie den Film in der Mitte unterbrechen – wie Gielgud19 den Hamlet unterbrochen hat – und man köstliche Eiscreme bei hübschen kleinen Jungs kaufen kann. In diesem Kino gibt es im Freien ein schattiges Café mit einem Brunnen und breiten Sofas, auf denen, als ich da war, Novios mit ihren sagenhaft herausgeputzten, seltsamerweise durch die Bank blonden Queridas tuschelten.
Aber die Erinnerung an diese untadelige Stadt wird langsam langweilig. Zeit, den Touristen und dem quirligen Paseo zu entfliehen, der sich breit und lang zwischen den Hafenbecken und den hohen, mit Balkonen besetzten Häusern erstreckt. Zeit, diesem verflixten Musikpavillon zu entfliehen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass Spanier nach Lärm dürsten. Sie können nie genug davon bekommen. Was sonderbar ist, wenn man bedenkt, wie auffallend ruhig sie sind und wie leise sie sprechen, Mann für Mann. (Nicht Frau für Frau. Die spanischen Frauen sind von Natur aus Rowdies, sie mögen mir das verzeihen.) Man findet keinen spanischen Mann, der einfach nur zum Vergnügen Lärm macht. Ein Grund dafür könnte sein, dass man ihn nie betrunken sieht; die Spanier sind die nüchternsten Menschen, die man sich nur vorstellen kann – wenn aber mehrere oder auch nur ein paar von ihnen zusammenkommen, wird irgendwie oder aus einem nur ihnen bekannten Grund Lärm gemacht. Sie produzieren ihn nicht selbst – sie sorgen dafür, dass er gemacht wird. Menschengruppen, das Geklingel der Straßenbahnen, Pfeifkonzerte, Autohupen, Akkordeons, Frauen – und jetzt noch ihre allgegenwärtigen Lautsprecher. Ich glaube, es gibt keinen einzigen Baum mehr in Spanien, an dem nicht so ein fürchterlicher altavoz befestigt ist. Sie sind verrückt nach Radio. Es ist äußerst schwer, sie zu einem vernünftigen Umgang damit zu bringen, ohne ihnen großen Kummer zu bereiten.
Allerdings habe ich noch nie einen altavoz in Santillana20 wahrgenommen. Ich stehe jetzt auf und gehe. (Und man halte mich jetzt bitte nicht für einen Fan des »Früher war alles besser«, ich bin auch keine Verfechterin der Kunsthandwerks-Bewegung, eine, die die Uhr zurückdrehen will. Nein, ganz bestimmt nicht. Ich bin durchaus für die Annehmlichkeiten unserer modernen Welt – genau wie die Spanier auch. Aber meine Beziehung zum Radio ist wie die zu einer guten Toilette – und ich schätze es da, wo es hingehört, und selbst dann nicht so wie eine gute Toilette.)
Die Toiletten in Santillana sind in Ordnung, wenn man weiß, wo man sie findet und ein paar Peseten hat. Doch selbst, wenn das nicht der Fall wäre, man würde Santillana ganz gewiss verzeihen. Dieser Stadt müsste man selbst dann noch verzeihen, wenn sie ihre altavoces noch rund um das Sanktuarium der Collegiata befestigte. Ich wünschte, ich hätte Harry und seine Frau nach Santillana mitgenommen – obwohl Architektur nicht ihr Fall zu sein schien, und der Ort nichts anderes ist als ein verregnetes, zerbröckelndes, schmutziges Museum aus romanischen und Renaissancegebäuden.
Der Bus verlässt den Paseo in Santander. Er hält vor der Statue von Concha Espina21, eine bedeutende und nun in die Jahre gekommene Tochter der Gegend, deren gefeierte Romane ich seit Ewigkeit lesen will. Irgendwie mag ich ihre Statue – sie hat mich zu vielen schönen Ausflügen aufbrechen sehen. Weiter unten auf dem Paseo steht ein zweites furchterregendes Monument – das Denkmal für einen anderen Romancier, Pereda, ein stattlicher Vertreter des neunzehnten Jahrhunderts. Ich besaß die Kühnheit, zwei oder drei seiner Bücher zu kaufen. Er schrieb Heimatromane über die Montaña, und ich glaube, die Spanier halten ihn immer noch für einen großen Schriftsteller. Er war muy regional, sagen sie stolz. Er war es, würde ich sagen und schätze einmal – aufgrund meiner beträchtlichen Kenntnis weniger bedeutsamer Seiten –, dass er zu sehr moralisierte, dass er in seinem Regionalismus übertrieb, und dass er sentimental war. Aber seine Statue ist bemerkenswert. Er steht hoch oben auf einem großen Granitbrocken der Montaña, ganz rau und realistisch, und um den unbequemen Hügel drängen sich die Früchte seiner Feder – bärtige Bauern, weinende Mädchen, Vögel und Strohgarben, Fischernetze, Sicheln, Greisinnen. Alles aus Granit. Aber es gibt in Spanien jede Menge interessante Statuen dieser Art.
Mein Bus gondelt gerade an Pereda vorbei. Adiós, Santander! Wie das Mädchen in dem Lied weiß auch ich, wohin die Reise geht. Sie geht durch deine schöne, sittsame genügsame Provinz, wo ich dein verlorenes Juwel22 besichtigen werde.
10Es handelt sich um die maurischen Einheiten, die »Regulares«, ein Elitegroßverband des spanischen Heeres, damals rekrutiert aus der einheimischen Bevölkerung von Spanisch-Marokko, die im Spanischen Bürgerkrieg (Juli 1936 – April 1939) auf Seiten der faschistischen Aufständischen unter Francisco Franco (1892–1975) kämpften.
11Alice Meynell (1847–1922), englische Dichterin, Schriftstellerin