Vom Bürger zum Konsumenten. Группа авторов

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beobachten, dass moralische und soziale Ansprüche gegenüber einer reinen Kosten-Nutzen-Kalkulation in den Hintergrund gedrängt wurden. Wir erleben also einen Paradigmenwechsel, wenn man so will eine »Refeudalisierung der Öffentlichkeit« (Habermas 1962, 233), die der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas schon in den 1960er Jahren mit Blick auf die Entwicklung der Medien diagnostizierte. Der Mensch, der sich seine Freiheit und seine Bürgerrechte über Jahrhunderte erkämpft hat, lässt sich diese zunehmend nehmen und droht dabei, zum bloßen Konsumenten oder manipulierbaren Datenlieferanten degradiert zu werden. Die Gesellschaft wandelt sich in Richtung eines allumfassenden Markts, auf dem sich Menschen vor allem als Vertragspartner mit ausschließlich individuellen Interessen begegnen. Margaret Thatcher, die konservative britische Premierministerin, die ihrem Land eine rigorose neoliberale Politik verordnete, hatte diese Haltung bereits verinnerlicht: »There is no such thing as society« (»Es gibt keine Gesellschaft«).

      Nun war und ist eine solche Entwicklung selbst zu ihren Hochzeiten nie bruch- und widerstandslos. Zudem mehren sich seit Jahren die Zeichen, dass soziale und ökologische Fragen sowohl für Individuen als auch für Unternehmen und Staaten wieder an Bedeutung gewinnen und damit zugleich das rigorose Effizienzdenken infrage gestellt wird. Dennoch sind die Beharrungskräfte solcher Denk- und Handlungsmuster mächtig. In unseren Köpfen wie in unseren Institutionen. Doch ebenso gilt: Die ökonomischen Imperative sind menschengemacht und können deshalb von Menschen beeinflusst werden. Sie definieren, welche Regeln in welchem Bereich der Gesellschaft gelten sollen. Das heißt, sie befinden – auch durch Erdulden – letztlich darüber, ob immer mehr Lebensbereiche den Prinzipien der Gewinnorientierung oder sogar Gewinnmaximierung unterworfen werden. Oder ob Solidarität, Fairness, Verantwortung und ökologische Nachhaltigkeit tatsächlich neue bzw. wieder entdeckte Zielvorstellungen unseres Zusammenlebens werden. Eine offene und lebendige Diskussion hierüber ist schon deshalb dringend nötig, weil durch die Globalisierung sehr unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, das Marktdenken aber sowohl im Verhältnis zu den meisten anderen westlichen Gesellschaften als auch im Verhältnis zu China anschlussfähiger ist als der Sozial- und Kulturstaat deutscher Prägung. Wer seine Werte in eine neue Weltordnung hinüberretten will, wird sich für diese einsetzen müssen. Nicht erst im Detail, sondern bereits im Grundsatz, also im Denken. Denn Gedankengebilde, die zu einer Ideologie mutieren, scheinen in sich stimmig, sie sind immanent kaum noch zu widerlegen. Wenn Rendite oder Effizienz überall und unwidersprochen den globalen Benchmark definieren, können die Argumente für eine solidarische und ökologisch nachhaltige Gesellschaft ins Leere gehen.

      In Deutschland mit seiner hart erkämpften sozialstaatlichen Tradition waren Medien, Kultur, Bildung, Gesundheitswesen, Wohnen, Umwelt und Politik nie ganz dem Markt unterworfen, sie waren immer Wirtschafts- und Kulturgüter zugleich. Das Marktdenken wurde in diesen Bereichen jedoch über lange Zeit handlungsbestimmender – und wird es teils noch heute. Dies kann im Einzelfall sinnvoll und gut begründbar sein; es sollte jedoch selbst dann nicht einfach geschehen, sondern von der Mehrheit der Gesellschaft bewusst reflektiert und aktiv gewollt werden, nicht nur von Einzelnen und ihren Gewinninteressen.

      Plastisch lässt sich diese ökonomische Entgrenzung am Beispiel der Medizin verdeutlichen. Galt es im Mittelalter noch als Frevel, einen toten Menschen überhaupt zu öffnen, um Kenntnisse über sein Innenleben zu erlangen, besteht heute die Tendenz, den toten Menschen als Ersatzteillager für dringend benötigte Spenderorgane zu nutzen. Aber finden wir es auch gut, dass Krankenhäuser und Pflegeheime, früher oft unter der Trägerschaft von Kommunen oder mildtätigen Stiftungen, heute immer öfter von privatwirtschaftlichen, teils sogar börsennotierten Unternehmen als lukrative Investments mit hohen Gewinnversprechen geführt werden? Entsprechend hoch ist dann der Druck, effizient zu arbeiten. Menschliche Werte wie Empathie und Zuwendung können da wirtschaftliche Unternehmensziele gefährden.

      Ähnlich ist die Entwicklung im Bereich der Daseinsvorsorge. Post und Telekomunikation waren lange Zeit – zumindest in Europa – Sache des Staates, ebenso Infrastruktur wie die Bahn oder die Netze für Strom, Gas und Wasser. Dass Telekommunikationsanbieter heute Privatunternehmen sind, daran haben wir uns gewöhnt. Diese verdienen gut, was kaum jemanden stört, solange ihre Dienstleistungen nicht teurer werden. Aber wenn es mit dem Ausbau des schnellen Internets nicht rasch genug vorangeht, rufen wir nach dem Staat. Auch dann, wenn der ländliche Raum von den Privatunternehmen großflächig als unrentabel ignoriert wird (was freilich in der ökonomischen Logik rational ist). Ähnlich ist es bei der Bahn, die zwar weiterhin ein Staatsunternehmen ist, aber längst renditeorientiert geführt wird und sich z. B. aus der Fläche zurückzieht.

      Spätestens beim Wasser hört jedoch für die meisten der Spaß auf. Ohne Wasser kann kein Mensch leben. Dennoch werden mit Wasser weltweit lukrative Geschäfte gemacht, während weiterhin viele Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Marktgläubige plädieren dafür, die Wasserversorgung gänzlich zu privatisieren. Was dann geschieht, zeigt sich in einigen afrikanischen und asiatischen Ländern, in denen es Menschen in manchen Gebieten immer schwerer fällt, an sauberes Trinkwasser zu kommen, weil private Unternehmen lukrative Nutzungsrechte für besonders ergiebige Quellen erwerben und dann das Wasser zu Preisen verkaufen, die für die ärmere lokale Bevölkerung kaum mehr erschwinglich sind. Ein Beispiel für die gegenteilige, wenngleich ebenfalls problematische Auswirkung ökonomischer Maximen bildet die Stadt London. Hier verschleppte das ehemals staatliche, von Margaret Thatcher privatisierte Wasserversorgungsunternehmen Thames Water über Jahre hinweg die kostspieligen Reparaturen zahlreicher Leckagen, sodass dort heute etwa 3,17 Milliarden Liter Trinkwasser im Erdboden versickern – pro Tag.

      In der Landwirtschaft zeigt sich die Kehrseite der Ökonomisierung allerorten, etwa an Patenten auf Saatgut. Vor allem dann, wenn es gelingt, alte, von den Landwirten selbst reproduzierbare Pflanzen vom Markt zu verdrängen und Landwirte von Saatgut und der dafür nötigen Düngung abhängig zu machen. Beides muss dann von einem Unternehmen bezogen werden, das die Preise diktieren kann.

      Auch im Bildungswesen hat sich der ökonomische Paradigmenwechsel eindrucksvoll niedergeschlagen. Wenn sich der Wert des Menschen primär an seiner Leistungs- und Konsumfähigkeit bemisst, sollte in Schulen und Universitäten vor allem verwertbares Wissen mitsamt einem bunten Strauß an arbeitsmarkttauglichen »Kompetenzen« erworben werden. So aber verliert Bildung schleichend ihre Bedeutung als Bürgerrecht. In diese Linie passt die Ökonomisierung der Hochschullandschaft mit ihrer Ausrichtung auf permanenten Wettbewerb um Drittmittel, Ranking-Positionen und Exzellenz-Orden ebenso wie die Diskussion um das acht- oder neunjährige Gymnasium. G8 sowie der Bologna-Prozess mit seinen Bachelor- und Masterabschlüssen wurde vor allem von der Wirtschaft gefördert, um junge Menschen rascher ins Berufsleben zu bringen und zielgenauer auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Mit dem Ergebnis ist kaum jemand zufrieden, auch weil im Tauziehen zwischen den bildungspolitischen und ökonomischen Kräften der Lehrplan überfrachtet wurde (überfrachtet werden musste?). Weitere Nebenwirkungen sind zu besichtigen: Handwerksberufe wurden unattraktiver, werden aber eher mehr gebraucht. Und wer kann, schließt dem Bachelor einen Master an, um sich mehr Entwicklungsmöglichkeiten offenzulassen und das eigene Verwertungspotenzial zu steigern. Dass die Ökonomisierung unseres Denkens und Handelns mit einer erstaunlichen Unkenntnis breiter Bevölkerungsschichten über ökonomische Zusammenhänge einhergeht, ist nur scheinbar ein Widerspruch. Schlecht Gebildete waren schon immer leichter zu (ver-)führen als aufgeklärte, kritisch nachfragende Geister.

      Auch der Paradigmenwechsel in der Medienlandschaft verläuft tendenziell vom Bürger zum Konsumenten. Wichtig für die Qualität der Dienstleistung von Journalistinnen und Journalisten ist heute weniger, was eine Bürgerin oder ein Bürger wissen sollte, um sich ein fundiertes Urteil über öffentliche Sachverhalte zu bilden und die eigene Rolle als Souverän verantwortungsvoll auszufüllen; vielmehr zählt, was gefällt und daher zu erhöhter Nachfrage führt, insbesondere zu vielen »Klicks« und »Likes« im Online-Journalismus. Damit wird eine Zeitung für diejenigen Unternehmen interessanter, die hier ihre Anzeigen- und Werbeflächen buchen. Der recherchierende Blick von Journalistinnen und Journalisten, eigentlich Dienstleister der Bürgergesellschaft, schwenkt so tendenziell von den politisch relevanten Themen zu den spontanen Interessen und Launen der Konsumenten, die

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