Vom Bürger zum Konsumenten. Группа авторов

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Staab

      Unter dem Dachbegriff des digitalen Kapitalismus thematisieren wir nun schon seit einigen Jahren eine offenbar immer größer werdende Zahl von Phänomenen. Datenkraken wie Google sollen ebenso dazugehören wie selbstfahrende Autos, Ecommerce-Plattformen, Mobilfunknetze, Waschmaschinen mit Internetanschluss und vernetzte Produktionsanlagen. Was diese Phänomene genau miteinander zu tun haben, ist dabei nicht mehr so leicht auszumachen. Die naheliegende Antwort lautet: Sie basieren allesamt, zumindest teilweise, auf digitalen Basistechnologien und es handelt sich zudem in allen Fällen um Dinge, die in kapitalistische Verwertungsprozesse integriert sind. »Digital« plus »Kapitalismus« macht »Digitaler Kapitalismus«!

      Diese Logik lässt sich noch weiterspinnen: Der Kapitalismus ist bekanntlich expansiv. Er versucht sich immer neue Bereiche der Gesellschaft, ja sogar individueller Subjektivität einzuverleiben. Dies tut er neuerdings verstärkt unter Zuhilfenahme digitaler Technologien. So kommt man recht schnell vom digitalen Kapitalismus der E-Commerce-Plattformen, Haushaltsroboter und vernetzten Produktionsmaschinen zu jenem der Smart Cities, der Social-Media-Sucht, der gnadenlosen Inszenierung des Selbst (Selfies!) und der manipulativen Wahlwerbung. Der Begriff »digitaler Kapitalismus« entgrenzt sich zu einer Metapher, die im Grunde nur noch dazu dient, einen Zusammenhang zu suggerieren, den man empirisch nicht so recht ausweisen kann.

      So gefasst dient der Begriff also weniger der analytischen Klarheit als der Herstellung einer politischen Debatte, die er durch den zunächst einmal behaupteten Zusammenhang ermöglicht. Das ist gar nicht wenig und auch nicht sinnlos. Es tut schließlich Not, darauf zu bestehen, dass wir nach wie vor über Technologieentwicklung nicht ergebnisoffen, sondern im Kontext einer sehr spezifischen Form von Ökonomie sprechen. Die Frage »Welche Digitalisierung wollen wir?« ist im Rahmen des realexistierenden Kapitalismus schließlich im Grunde immer schon beantwortet. Von digitalem Kapitalismus zu sprechen (statt zum Beispiel nur von »Digitalisierung«), transportiert damit automatisch die Kritik an der Begrenzung unserer Zukunft und das Einklagen alternativer Pfade.

      Den analytischen Hunger stillt diese Lesart jedoch nicht. Offen bleibt die Frage, worin sich das Ganze nun eigentlich von anderen Varianten des Kapitalismus (dem industriellen, kognitiven, ästhetischen, kybernetischen …) unterscheiden soll oder anders gesagt: ob wir es tatsächlich mit einer neuen Stufe kapitalistischer Entwicklung zu tun haben. Die Chancen, dass man richtigliegt, wenn man diese Frage verneint, stehen relativ gut. Schließlich überwiegen in jeder bisher bekannten kapitalistischen Formation die Gemeinsamkeiten die Unterschiede – sonst wäre das Substantiv ja nicht stabil, während die Adjektive variabel sind.

      Dennoch will ich in groben Zügen zwei mögliche Antworten skizzieren, die unterschiedliche Thesen über den analytischen Kern des digitalen Kapitalismus formulieren. Statt ihre Theorien ausgehend von einem diffusen Set an Technologieanwendungen zu entwickeln, bestehen beide Ansätze auf die basale Bedeutung des kommerziellen Internets für eine Theorie des digitalen Kapitalismus. Hier hat sich, diesen Positionen zufolge, in den vergangenen 20 Jahren ein spezifischer Wirtschaftsraum entwickelt, der zum einen eigenen Regeln folgt und zum anderen im Begriff ist, sich immer neue Bereiche der Ökonomie zu unterwerfen. Was ist also der Kern dieser neuen Regeln, die sich im kommerziellen Internet entwickelt haben?

      Ökonomie der Daten – Imperativ der Überwachung

      Eine mögliche Antwort auf diese Frage liefert Shoshana Zuboff in ihrem opulenten Werk »Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus« (2019). Sie lautet: Es geht um die Daten! Daten sind zunächst einmal das Nebenprodukt digitaler Kommunikation. Wann immer wir uns austauschen, hinterlassen wir Spuren, die einigen Unternehmen als eigene Profitquelle dienen. Die Leitfirmen dieser Entwicklung sind bekanntlich die Giganten der Online-Werbung, Google und Facebook. Das gesamte kommerzielle Internet lässt sich Zuboff zufolge als gewaltiger Überwachungsapparat verstehen.

      Auch viele andere Autoren argumentieren auf Basis dieser Prämisse, die im Grunde die Selbstbeschreibung von Firmen wie Google oder Facebook erst übernimmt und dann kritisiert. Zuboff hat sie freilich zu einer besonders umfassenden These über die Veränderung des Kapitalismus erweitert. Ihrer Darstellung nach wurde das eigentlich Ausschussprodukt Daten im Laufe der Nullerjahre − zunächst von Google und Facebook − als der eigentlich profitable Rohstoff des kommerziellen Internets entdeckt. Statt das eigene Produkt wie ein solches zu behandeln und es beispielweise in Portionen oder über Nutzerlizenzen zu verkaufen, habe man den Sekundärwert personenbezogener Daten erkannt. Auf ihrer Basis lassen sich detaillierte Profile einzelner Personen erstellen und über den Umweg der Werbung zu Geld machen. Die Extraktion des Rohstoffs Daten erfolgt durch eine umfassende Praxis der Überwachung. Da Kapitalimperative wirken, muss diese Extraktionsmaschinerie zudem stetig expandieren.

      Zuboff zufolge haben in den letzten Jahren immer mehr Unternehmen begonnen, ihre Wertschöpfung auf Überwachungsprofite auszurichten, weshalb sie von einem schnellen Vormarsch des Überwachungskapitalismus ausgeht. Smarte Waschmaschinen, E-Commerce-Plattformen oder Haushaltsroboter sind in diesem Bild Teil des digitalen Kapitalismus, weil sie die Aneignung von Daten durch überwachungskapitalistische Konzerne ermöglichen. Das Neue am digitalen Kapitalismus sei der Aufstieg einer wirtschaftlichen Logik, die nicht auf das ressourceneffiziente Herstellen von Dingen gerichtet ist, sondern auf die Vermessung, Beeinflussung und letztlich Steuerung unseres Verhaltens.

      Proprietäre Märkte als Strategie und Praxis

      Aus einer anderen Perspektive erscheint eher interessant, in welches größere wirtschaftliche Projekt diese Datenökonomie eingelassen ist – schließlich kann eine Volkswirtschaft nicht nur aus Onlinewerbung bestehen. Meine Antwort auf diese Frage lautet, dass wir es mit einem Projekt zum Aufbau proprietärer Märkte zu tun haben. Die Vorstufe solcher Märkte in Privatbesitz sind die Plattformunternehmen des kommerziellen Internets, die sich vielerorts als Handelsmonopole für bestimmte Dienstleistungen etabliert haben, etwa bei Taxifahrten, Musik- und Videostreaming oder Essenslieferungen. Diese Privatmärkte sind eingelassen in die sozio-technischen Ökosysteme einer kleinen Zahl von Unternehmen, unter denen Google, Apple, Amazon und Facebook die potentesten sind. Über die Bindung unserer Aufmerksamkeit kontrollieren diese Konzerne in zunehmendem Maße, was wir überhaupt wahrnehmen. Diese Machtposition gleicht einer Goldgrube, weil auf immer kompetitiveren Verbrauchermärkten nur diejenigen etwas verkaufen können, die Wahrnehmung für ihre Produkte erzeugen können. Die überwachungskapitalistische Werbung ist nur ein Mittel zur Kontrolle dieser Wahrnehmung. In dieser Lesart speisen sich die Profite der marktgleichen Leitunternehmen aus unterschiedlichen Gebühren, die sie (auch in der Form von Werbeeinnahmen) für ihre Vermittler- oder besser gesagt Marktfunktion erheben.

      Die Leitunternehmen des kommerziellen Internets agieren also, so die zugespitzte These, nicht wirklich auf Märkten, deren Preisbildungsmechanismen sie beispielsweise verzerren könnten. Sie sind diese Märkte. Das heißt: Nicht ein abstrakter Marktzwang oder eine Internalisierung von Konkurrenzdenken ist hier primärer Treibstoff der Ökonomisierung. Vielmehr wird die Marktfunktion selbst privatisiert, um in den Dienst einzelner Kapitalinteressen gestellt zu werden.

      Durch die stetige Expansion des eigenen Produkt- und Dienstleistungsportfolios und die Kontrolle der Distributionskanäle für die Produkte einer stetig steigenden Zahl externer Anbieter erweitern die Privatmärkte des kommerziellen Internets permanent ihr Angebot. Auf der Nachfrageseite des Marktes, also bei den Konsument:innen, setzen sie zudem auf unterschiedliche Lock-in-Strategien: Zum einen werden die eigenen Systeme fortlaufend auf maximalen Komfort hin optimiert, um das Bedürfnis, in ein anderes System zu wechseln, zu reduzieren. Zum anderen macht man es den User:innen so schwer wie möglich, bestimmte Dienste außerhalb des eigenen Ökosystems zu nutzen.

      Nehmen wir Zuboffs Lieblingsfeind Alphabet (Google): An der Unternehmensgeschichte kann man ablesen, dass Google auf eine immer größere Varianz innerhalb seines Angebots gesetzt hat, um User:innen in das eigene Netzwerk zu integrieren: Zur Suchmaschine

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