Vom Verlust der Freiheit. Raymond Unger
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Vermutlich ist die Facebook-Freundin eine eifrige Leserin des Spiegel, dort erklärt Stefan Kuzmany in seinem Artikel »Sollen sie nur pöbeln«:
»Mögen sie noch so laut krakeelen – die Demokratie lässt sich nicht einschüchtern. […] Und ja, es ist einmal mehr beschämend, dass mitten in der deutschen Hauptstadt Feinde der Demokratie marschieren und mit ihnen viele Menschen, die man wohlwollend frustriert und fehlgeleitet nennen kann, mit weniger Nachsicht aber einfach: leider sehr, sehr dumm.« 6
Der Dunning-Kruger-Effekt sorgt auch bei Redakteuren des Spiegel für die Gewissheit, Andersdenkende seien per se dumm. Niemandem fällt auf, was der Begriff »Verschwörungstheoretiker« im eigentlichen Wortsinn bedeutet. Denn dass es Verschwörungen tatsächlich gibt, wird kein Mensch abstreiten, schließlich sind die Geschichtsbücher voll davon. Die Krux an Verschwörungen ist lediglich, dass sie oftmals erst Jahre später ans Licht kommen. Sofern eine Verschwörung funktioniert, bleibt sie unentdeckt. Theorien zu entwickeln und einer Indizienkette nachzugehen, um Verschwörungen vorzeitig aufzudecken, ist das Tagesgeschäft von Kriminalisten, (guten) Journalisten und Historikern. Im Kontext der Polizeiarbeit heißt dieser Vorgang schlichtweg Ermittlungshypothese, ohne diese Hypothese könnte man konspirativer Kriminalität gar nicht begegnen. Verständlicherweise liegt es im Interesse von Verschwörern, all jene zu diskreditieren, die derartige Überlegungen anstellen. Dass es Verschwörungen per se gar nicht geben könne und man folglich auch keine Theorien ersinnen müsse, um dahinterzukommen, ist offenkundig lächerlich. Komischerweise geht diesem Gedanken niemand nach, der sich gerade in den Kampfbegriff verliebt hat. Der Autor Paul Schreyer nennt als Gegenstück zum Verschwörungstheoretiker den »Zufallstheoretiker«. Dies wäre dann ein Mensch, der kein Geschehnis für geplant hält, erst recht nicht für konspirativ geplant. Indizienketten, die auf starke Interessengemeinschaften hinweisen, werden als »Zufall« betrachtet, und man muss ihnen nicht weiter nachgegen. In Bezug auf Corona wimmelt es von Zufallstheoretikern. Der »aufgeklärte« Bürger ist sich sicher: Niemand plant hier irgendetwas und niemand hat einen persönlichen Nutzen. Altruistische Wissenschaftler, Politiker und Pharmafirmen arbeiten fieberhaft daran, eine schicksalhafte Geißel der Menschheit zu bezähmen – das ist die ganze Geschichte. Und damit der Schaden so effektiv und zentral wie möglich gemanagt werden kann, helfen die Weltgesundheitsorganisation und der Internationale Währungsfonds fleißig mit. Die WHO gibt weltweit verbindliche medizinische Leitlinien heraus, und jene Staaten, die sich streng an die Vorgaben halten, bekommen über den IWF Milliarden Hilfsgelder und den Erlass alter Schulden. Was soll daran verschwörerisch sein?
»Die hier skizzierte Haltung ist weit verbreitet, besonders unter Intellektuellen und Meinungsführern. Sie fußt auf einigen Grundannahmen, die selten offen benannt werden:
»Die herrschende Ordnung ist im Grunde eine gute Ordnung.
»Andersdenkende sind oft dümmer.
»Menschen bedürfen der Lenkung, besonders bei ihrer Meinungsbildung.
An diesen Annahmen, die tief in die Verschwörungstheorie-Debatte eingewoben sind – so tief, dass sie vielen Menschen nicht mehr bewusst zu sein scheinen –, fällt vor allem eines auf: ihre autoritäre und obrigkeitsstaatliche Prägung. Liberal, pluralistisch und demokratisch wäre eigentlich die genau entgegengesetzte Haltung:
»Die herrschende Ordnung ist in Zweifel zu ziehen.
»Andersdenkende könnten klüger sein. Sie sind zu respektieren und auf Augenhöhe zu behandeln.
»Menschen sollten sich ihres Verstandes ohne fremde Anleitung bedienen.
Die Debatte über Verschwörungstheorien ist aus diesem Grund immer auch eine Debatte über das eigene Menschenbild und Politikverständnis.« 7
In Bezug auf Corona gibt es tatsächlich lächerliche und abstruse Verschwörungstheorien. Dies bedeutet aber nicht, dass alle Geschehnisse, insbesondere im global gesteuerten Management der Krise, zufällig sind oder einzig dem Wohle der Menschheit dienen. Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte zwischen »Verschwörungstheoretikern« und »Zufallstheoretikern«. Für mich war es jedenfalls bitter, mit anzusehen, wie sich im Prinzip kluge und ansonsten wohl informierte Autoren der freien Medien in puncto Corona nun auch untereinander zerstritten. Eine befreundete Schriftstellerin schrieb mir in einer privaten E-Mail dazu:
»Es ist zum Heulen. Als noch trostloser empfinde ich es, wenn mir gute Freunde, die sich noch gestern zu den kritischen Geistern gegenüber Mainstream-Vermeldungen rechneten, heute etwas von der ›real existierenden Pandemie‹ erzählen und dabei all die grotesken Regierungsmaßnahmen, die wir erleben müssen, für absolut gerechtfertigt halten – dann wird mir regelrecht flau im Magen… Ich kann auch dem Gerede von der ›Krise als Chance‹ nichts abgewinnen. Was soll dabei Gutes herauskommen? Die Krise wird von jenen ausgebeutet, die gnadenlos ihre Interessen durchdrücken, seien es Regierungschefs, Pharmakonzerne, Online-Konzerne, Parteiencliquen jeglicher Couleur oder Einzelakteure wie Bill Gates, und nicht zuletzt von jenen, die jetzt freie Fahrt haben, ihre Agenda von der progressistischen Weltangleichung im ganz großen Stil umzusetzen. Widerstand ist aufgrund der drastischen Maßnahmen gar nicht möglich und regt sich aufgrund des eingesetzten Psycho-Terrors in Form von Gruppendruck und totaler Propaganda nur rudimentär. Manchmal überfällt mich eine grenzenlose Resignation. Was ist nur geschehen? Es ist, als seien plötzlich Raumschiffe mit Aliens gelandet und hätten die ganze Welt in ihre Gewalt genommen. Dass es sich dabei um eine Simulation handelt, wird von den meisten ausgeschlossen, da die Auswirkungen haargenau mit denen eines echten Szenarios übereinstimmen, bis hin zu realen Krankheitssymptomen … Wir haben es hier mit einem gravierenden erkenntnistheoretischen Problem zu tun. Ein Jammer, dass sich ausgerechnet die, die es besser wissen müssten, dieser Erkenntnis verschließen.«
Viele schreibende Kollegen gingen in eine Art inneres Exil. Vor allem, weil ihnen unter Corona endgültig klar wurde, dass Fakten und Aufklärung kaum etwas bedeuten, solange sich Menschen in einem Angstraum bewegen. Man kann sich die Spucke sparen, oder im übertragenen Sinne die Tinte. Warum sollte man überhaupt noch etwas schreiben, wenn überdeutlich wird, dass Abwehr und Angst zu einer völlig selektiven Wahrnehmung führen? Unter diesen Bedingungen werden ohnehin nur noch Informationen durch den Wahrnehmungsfilter gelassen, welche die eigene Weltsicht bestätigen. Hat das Corona-Angst-Mem gezündet, sind einzig Artikel und Informationen relevant, die Warnung sind und Schutz versprechen – alles andere wirkt wie gefährlicher Nonsens. Freie Autoren sind klug genug, die Erfahrungen mit Corona auf ihre sonstigen Themen zu übertagen. Auch hier gilt: Je größer die Angst, desto selektiver die Wahrnehmung und desto hermetischer die Echokammer. Persönlich hat mich diese Erkenntnis nach Corona ebenfalls belastet, denn für alles Nachfolgende gilt dieser Mechanismus natürlich auch. Wer an die anthropogene, CO2-bedingte Klimakrise glaubt und deshalb große Angst vor der Zukunft hat, wird sich kaum auf entlastende Fakten einlassen können.
Konformität
Zum Psychogramm der Kriegsenkel, das ich in meinem vorangegangenen Werk Die Wiedergutmacher skizziert habe, gehören ein erhöhtes Anpassungsbedürfnis an den Mainstream sowie auch ein paranoider Aspekt, der dafür sorgt, sich in ständiger Defensive zu wähnen, obwohl man eigentlich längst zur den Diskurs bestimmenden Mehrheit gehört.
»Eine erstarrte und ins Pädagogische abgedriftete Linke, die sich durch ihre Weigerung bestimmt, ›ihr eigenes Machtstreben zu reflektieren, ihren Aufstieg in den akademischen und kulturellen Institutionen‹ (Michael Hampe), ein