DSA: Rabenbund. Heike Wolf
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Amato atmete schwer ein. Ein Blitz zuckte über dem fernen Silberberg, tauchte den Rabenfelsen für den Bruchteil eines Herzschlags in ein gleißendes, kaltes Licht. Er war seines Vaters Sohn, er war ein Grande. Er hatte die Macht zu gestalten, die Welt zu formen. Stattdessen wartete er ab, was andere über ihn verfügten, ließ sich umherschieben, benutzen, weil er nützlich war. Goldo, dem Hohen Rat, dem General ... Er saß dort, wo er heute war, weil er niemandem wehtat und es nicht wagte, selbst Hand an die Welt zu legen, um sie nach seinem Willen zu formen. Nicht einmal in seinem eigenen Haus.
Amato biss sich auf die Lippen, als der Gedanke fast schmerzhaft gegen seine Kehle drückte. Er musste ein Raubtier sein, wenn er etwas erreichen wollte und nicht nur verflossenen Gelegenheiten hinterhertrauern, die viel zu schnell vergingen und nichts als wehmütige Erinnerungen zurückließen.
Amato sprang auf. Wasser rann aus seinen Haaren und hinterließ zusammen mit dem tropfnassen Hemd kleine Pfützen, als er das Gemach durchquerte und auf den Flur hinaustrat. Einen Moment zögerte er, dann straffte er die Schultern und drückte entschlossen die Klinke hinab.
Das andere Zimmer lag ruhig. Ismene hatte die hölzernen Läden geschlossen, wie sie es immer tat, wenn Sturm aufkam, sodass man nur das Heulen des Windes und das Donnern vernahm. Amatos Herz schlug schneller, als er einen Schritt in den Raum hineinmachte. Ein eisernes Band hatte sich um seine Brust gelegt, das ihm den Atem nahm. Alles in ihm schrie danach, wieder zu gehen, wie er es all die Jahre getan hatte, bei Reto und allen, die sein Herz zu berühren drohten. Dennoch trat er näher, Schritt für Schritt bis an das Bett, auf dem Said schlief.
Er lag halb auf die Seite gelehnt, den Kopf auf den Arm gebettet. Eine Strähne seines schwarzen Haars war ihm ins Gesicht gefallen und schmiegte sich an die Wangenlinie, die im Zwielicht der Sturmnacht weicher schien als sie es war. Amato wagte kaum zu atmen, während er ihn stumm betrachtete und das Band um seine Brust das Klopfen seines Herzens zu ersticken schien. Vorsichtig beugte er sich vor und hob die Hand, zögerte erneut, ehe er die Fingerspitzen sacht an Saids Wange legte, um die Strähne beiseitezuschieben.
Im nächsten Moment drückte sich die Spitze des Dolchs an seinen Hals. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Said ihn an. »Was wollt Ihr?«, zischte er.
»Ich ...« Amato verstummte und versuchte, den Dolch beiseitezuschieben, aber die Klinge folgte ihm unnachgiebig. »Ich wollte nach dir sehen. Ich meine, dich sehen.«
»Das hat Eure Sklavin bereits getan.«
»Ich weiß.«
Er sah die Antwort, zu der Said bereits ansetzte, sah das verwirrte Stirnrunzeln. Argwohn blitzte in den dunklen Augen auf, wandelte sich in Ärger und schließlich in Erstaunen, als er endlich zu verstehen schien.
Langsam nahm er die Waffe beiseite. »Macht das nicht wieder«, knurrte er. »Sonst bringe ich Euch um.«
Amato wich einen Schritt zurück, als Said sich aufsetzte und die Beine aus dem Bett schob. »Was hast du vor?«
»Ich gehe.« Er richtete sich auf, kniff die Augen zusammen, als brauche er einen Moment, um sich zu sammeln. »Habt Dank für alles.«
»Aber du kannst nicht gehen!«, rief Amato hilflos, während Said an ihm vorbeiwankte und den Beutel mit seinen Sachen griff. »Draußen herrscht Sturm. Du brauchst Ruhe, und hier ...«
»Bei Sturm werden sie mich nicht bemerken«, unterbrach ihn der Bastard. Er drehte sich um und sah ihn an. Das Aufflackern der Blitze spiegelte sich in seinen Augen wieder, aber die Härte war aus seinem Blick gewichen. »Boron mit Euch, Don Amato.«
Amato stand wie betäubt, unfähig, etwas zu sagen. Erst, als Said bereits an der Tür war, löste sich die Erstarrung. »Wenn du Hilfe brauchst ... komm hierher«, rief er und fühlte sich im gleichen Moment furchtbar albern. Warum sollte er ausgerechnet zu ihm kommen, wenn er jetzt vor ihm floh?
Said hielt noch einmal inne, die Hand an der Tür. Er drehte sich nicht um, doch Amato sah, wie er nickte.
Amato ließ sich auf das Bett sinken und schloss die Augen, um gegen die Enge anzukämpfen, die ihn zu ersticken drohte. Er hatte sich aus der Deckung gewagt, aber er hatte verloren, und es blieb nicht einmal ein tröstender Traum.
Er fühlte sich elend.
II
Esmeraldo
Esmeraldo Paligan hielt die Hand locker auf den Knauf des Säbels gestürzt, während er neben dem alten Geweihten durch den Tempelgarten schlenderte. Die Schritte seiner Stiefel knirschten auf dem dunklen Kies, von dem die Nässe in dampfenden Schwaden aufstieg, wo ihn die Sonne berührte. Der Morgen war ungewohnt frisch nach dem Sturm, der in der Nacht über die Stadt hereingebrochen war und die drückende Hitze für ein paar Stunden vertrieben hatte. Vom Tempeldach krächzten die Raben, und in einiger Entfernung hörte man das Ächzen und Poltern der Sklaven, die die Überreste zerstörter Statuen aus dem Einschlagkrater bargen. Eine Geweihte in schwarzem Ornat überwachte die Arbeiten, während ein bulliger Vorarbeiter zur Eile antrieb.
»Es scheint sich tatsächlich um einen Sternenfall zu handeln, sehr ähnlich den Vorkommnissen, deren Berichte wir bereits gesammelt haben.« Brotos Paligans Stimme erinnerte ein wenig an die einer Krähe, kratzig und alt. Die goldgesäumte Robe fiel eine Spur zu weit über die mageren Schultern, die er trotz des Alters aufrecht hielt. Scharf, wie der Schnabel eines Raubvogels, saß die Nase in dem hageren Gesicht, und seine Augen blickten stechend, als er den Kopf wandte, um Esmeraldo anzusehen.
Als Kind hatte Esmeraldo Angst vor dem Hochgeweihten gehabt. Der Alte, der das Lachen stielt, hatte seine Mutter Brotos genannt, weil jede Feier schlagartig an Fröhlichkeit verlor, wenn der düstere Priester den Raum betrat. Sie hatten alle Angst gehabt vor dem harten, unnachgiebigen Mann, der wahrscheinlich längst Oberhaupt der Boronkirche geworden wäre, hätten die Honaks den Patriarchenthron nicht an sich gerissen. Jetzt, fast dreißig Jahre später, hatte Brotos Paligan seinen Schrecken verloren. Esmeraldo war kein Kind mehr, das sich vor einem Greis mit Krähennase fürchtete. Er war Präfekt, Commandante im Rat des Schwarzen Generals und niemand, der sich noch maßregeln ließ. Brotos Paligan hatte ihn zu sich gebeten. Als Bittsteller, auch wenn dieses Wort dem alten Geweihten sicher nicht über die Lippen gekommen wäre.
»Hat man den Stern geborgen?«, fragte Esmeraldo, während er einen prüfenden Blick zu den Arbeiten hinüberwarf. Der Anblick eines Geweihten, der im Gespräch durch die Gärten schlenderte, schien jedoch nicht außergewöhnlich, sodass man ihnen keine Beachtung schenkte.
Brotos deutete ein Kopfschütteln an. »Angeblich ist er an der Absturzstelle verglüht. Wenn es sich jedoch tatsächlich um einen gefallenen Stern handelt, wie man sie im Norden erlebt hat, halte ich das für sehr unwahrscheinlich. Ich nehme an, Amir Honak hat ihn heimlich bergen lassen und hält ihn im Tempel zurück. Er hat angeordnet, Stillschweigen über die Geschehnisse zu wahren. So unmittelbar vor der Kriegserklärung will er wohl Aufruhr vermeiden. Fallende Sterne sind und bleiben ein böses Omen.«
»Daran tut er gut. Die Truppen würden unruhig, wenn sie davon erführen. Allerdings halte ich es für ebenso gefährlich, den Zwischenfall zu ignorieren. Wenn es tatsächlich ein Fingerzeig der Götter ist, sollten wir es ernst nehmen. Al’Anfa hat zu viele Kriege verloren, um Vorzeichen zu ignorieren.«
»Nicht jedes Vorzeichen ist eindeutig. Ein gefallener Stern kann vieles bedeuten. Eine Niederlage, ein schwerer Verlust, das Ende des Imperiums, der Boronkirche ... oder schlicht des Hauses Honak.« Ein durchdringender Blick streifte Esmeraldo, ehe der alte Geweihte wieder in den lockeren Plauderton