DSA: Rabenbund. Heike Wolf

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DSA: Rabenbund - Heike Wolf Das Schwarze Auge

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ihrer annehmen, wenn die Zeit reif ist, wie ich mich Eurer nun annehme, und ihr helfen, mir nachzufolgen. Wenn man etwas von Bestand schaffen will, braucht man mehr als ein Paar Schultern, es zu stemmen. Und mehr als ein Leben, um es zu wahren.«

      »Eine junge Paligan? Kenne ich das Mädchen?«

      »Wahrscheinlich, auch wenn Ihr sie lange nicht gesehen habt. Es handelt sich um meine Nichte Boronita, die Tochter unseres verehrten Goldo mit seiner zyklopäischen Braut. Ein überaus kluges Kind und hübsch.« Brotos schmunzelte erneut auf diese flüchtige, düstere Weise. »Sie wird Euch sicher gefallen.«

      Esmeraldo nickte, während er beschloss, die Zweideutigkeit, die in Brotos’ Worten mitschwang, vorerst zu übergehen. In dem engen Familiengeflecht der acht großen Häuser war es nicht unüblich, dass auch nahe Verwandte einen Bund eingingen, aber darüber würde er zu gegebener Zeit entscheiden, ob er bereit war, sich soweit in Brotos’ Lebenswerk einbinden zu lassen. Im Grunde plante der alte Geweihte nichts anderes als einen Staatsstreich, an dessen Ende das Haus Paligan über alle anderen Häuser triumphierte, indem es geistliche und weltliche Macht gleichermaßen in den Händen hielt. Ein hochtrabender Gedanke, der Esmeraldo erstaunlich gut gefiel, wenn es tatsächlich gelingen könnte, den Gedanken zur Tat zu machen.

      »Eine Sache habt Ihr bislang vermieden anzusprechen«, sagte er nachdenklich, nachdem sie einige Momente schweigend weitergegangen waren. »Don Goldo. Mir ist seine Rolle in Euren Plänen nicht ganz klar. Ich bezweifle, dass er zusieht, wenn wir nach der Macht greifen, ohne selbst die Hand auszustrecken.«

      »Natürlich. Deshalb wird er weichen müssen.« Brotos hielt unvermittelt inne. Die wasserblauen Augen, die trotz des Lächelns plötzlich unangenehm stechend wirkten, suchten Esmeraldos Blick. »Mein Bruder hatte seine Zeit. Für das, was vor uns liegt, braucht das Haus Paligan eine harte und vor allem entschlossene Hand. Wenn sein Kopf fällt, werdet Ihr das Haus führen. Das ist mein Angebot an Euch. Seid Ihr bereit, mir zu folgen?«

      Esmeraldo war ebenfalls stehengeblieben, und zu seiner Überraschung stellte er fest, dass er den alternden Geweihten keineswegs an Haupteslänge überragte, sondern ihm geradewegs in das von Leben und Alter gezeichnete Gesicht sah. Tiefe Entschlossenheit lag darin, und Esmeraldo wurde mit einem Mal bewusst, wie viel dieses Vorhaben dem greisen Geweihten bedeutete. Brotos Paligan hatte sein Leben lang gewartet, und er hatte nichts mehr zu verlieren. Wenn er scheiterte, dann mit dem letzten Versuch, sein Lebenswerk zu vollenden. Doch war dieser Versuch tatsächlich vielversprechend genug, um sein Geschick auf Gedeih und Verderb an das Schicksal seines Großonkels zu hängen? Seine Stellung unter Oderin bot ihm andere Möglichkeiten, und der General war ebenfalls alt, sodass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich ein Nachfolger durchsetzen musste. Alles deutete derzeit darauf hin, dass dies Alena Karinor wäre, doch Dinge konnten sich ändern, gerade wenn ein Krieg bevorstand. Und es gab kaum eine günstigere Gelegenheit, eine Konkurrentin zu beseitigen, als das Schlachtgetümmel, in dem nicht mehr auszumachen war, woher der tödliche Bolzen tatsächlich kam. Nach den Jahren in Sylla störte es ihn, dass er als Commandante unter Oderin du Metuant in die zweite Reihe zurücktreten musste, und ihn störte das Zögern und der Aufwand, den man um die kemsche Prinzessin und ihre unerträglichen Begleiter machte. Shantallas Versprechungen hatten ihn neugierig gemacht, sodass er sich bereit erklärt hatte, ihr zu diesem Treffen zu folgen. Brotos’ Rabenbund bot Möglichkeiten, aber er barg auch Risiken. Allerdings war Esmeraldo nicht so weit gekommen, weil er zauderte und zagte.

      Er nickte langsam und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als sein Blick auf den hochgewachsenen Mann fiel, der auf sie zuhielt. Lange dunkelbraune Haare, die an den Schläfen zu zwei dünnen Zöpfen geflochten waren, umflossen die breiten Schultern, und der forsche Schritt verriet, dass er nicht zufällig hierherkam.

      »Eure Erhabenheit!« Esmeraldo trat zurück und senkte den Kopf, während er in Gedanken hastig überschlug, ob sie an irgendeiner Stelle des Gesprächs doch zu nah an den Arbeitern gewesen waren. Doch in dem Gesicht des Patriarchen deutete nichts darauf hin, dass er zürnte. Ein junger Novize beeilte sich, ihm zu folgen, und blieb schließlich mit zwei Schritten Abstand hinter dem Kirchenoberhaupt stehen, den Blick auf die Hände gesenkt.

      »Boron zum Gruß.« Ohne Eile drehte sich Brotos zu Amir Honak um. Sein Raubvogelgesicht formte ein höfliches Lächeln. »Welch unerwarteter Anblick zu dieser Stunde.«

      »Der göttliche Rabe mit Euch«, erwiderte der Patriarch den Gruß knapp. Seine Mimik war unbewegt, als sein Blick kurz zu Esmeraldo glitt und dann gleich wieder zu Brotos zurückkehrte. »Das Gleiche mag ich auch sagen. Euer Neffe, wenn ich mich nicht irre?«

      »Commandante Esmeraldo Paligan, Eure Erhabenheit. Ich wollte um eine Audienz ersuchen, um ihn Euch vorzustellen. Ihr seid mir nun zuvorgekommen.«

      »Es steht Euch frei, es dennoch zu tun«, beschied Amir Honak knapp. »Sprecht deswegen mit meinem Sekretär. Doch nun muss ich Euch bitten, das familiäre Beisammensein zu beenden. Ich habe mit Euch einige Dinge zu besprechen.«

      Brotos’ linke Braue wanderte ein Stück nach oben. »Ihr habt es gehört, mein Rat wird benötigt«, sagte er, und wenn Esmeraldo es nicht besser wüsste, hätte er angenommen, echtes Bedauern in seiner Stimme mitschwingen zu hören. »Es war mir eine Freude, mit Euch zu plaudern und alte Erinnerungen auszutauschen. Richtet Eurer Mutter meinen Gruß aus, wenn Ihr sie seht.« Er hob die Hand zu einer segnenden Geste. »Boron mit Euch, mein Sohn.«

      »Der Götterfürst mit Euch, Hochwürden«, antwortete Esmeraldo steif, ehe er sich dem Patriarchen zuwandte und die Faust zum militärischen Gruß an die Brust führte. »Ehre dem Raben, Eure Erhabenheit.«

      Amir Honak nickte stumm, doch Esmeraldo war, als blickten die klaren Augen einen Moment lang eindringlicher. Ein unangenehmes Schaudern griff nach seinem Nacken, als er sich umdrehte und dazu zwang, ohne Eile den Weg zurück zum Tempel einzuschlagen. Die Stimmen der Arbeiter waren nun sehr nah, aber er beachtete sie nicht. Vielleicht war es nur ein Zufall, der Amir Honak gerade in diesem Moment in die Tempelgärten geführt hatte, doch Esmeraldo war mit den Jahren zu vorsichtig geworden, um auf Zufälle zu vertrauen. Brotos’ Vorhaben war hochtrabend, aber nicht unmöglich, und es bot Möglichkeiten, die alles überstiegen, was er sich bei seiner Rückkehr aus Sylla erhofft hatte. Dennoch musste er vorsichtig sein und abwägen, ehe er dem alten Geweihten das Versprechen gab, das Brotos ihm abgerungen hätte, wäre der Patriarch nicht erschienen. Vielleicht war es ein Fingerzeig Borons, nicht voreilig Entscheidungen zu fällen, sondern in Ruhe abzuwägen. Denn eines wusste Esmeraldo sicher: Es war gleichgültig, wer im Hintergrund die Fäden zog, er würde keine Mirhamionette sein.

      Said

      Von draußen klangen die geschäftigen Geräusche des Hafens. Zwielicht drang durch die Ritzen zwischen den Brettern des Verschlags und beließ die Ecken in gnädigem Dunkel. Der Gestank nach altem Schweiß und menschlichen Ausscheidungen hing noch in der Luft, und auf dem Boden lag eine umgeworfene Schale mit den eingetrockneten Resten eines Reisbreis, auf dem sich eine dicke Traube Fliegen niedergelassen hatte.

      Said ging in die Knie und hob das Stück raue Schnur auf, mit der er die Beine des Beschützers gefesselt hatte. Sie war glatt durchtrennt und nicht durchgerieben, wie er im ersten Moment befürchtet hatte. Rurescha musste ihn fortgebracht haben, aus welchem Grund auch immer, und das offensichtlich schon vor mehr als einem Tag.

      Mühsam erhob er sich und tastete nach der Wand, als ihn erneut Schwindel überkam. Der Paligan hatte recht gehabt, es war nicht gut gewesen, mitten in der Nacht aufzubrechen. Der Sturm hatte Sturzbäche aus Wasser, Schlamm und Unrat durch die Gassen getrieben, sodass er nicht weit gekommen war, sondern die Zeit bis zum Morgen zusammengekauert in einer Hausecke verbracht hatte. Jede Faser seines Körpers schmerzte, und er hasste die Schwäche, die ihn ohne Grund straucheln ließ. Aber dass sein Unterpfand fort war, zeigte, dass er viel zu lange tatenlos geblieben war. Er hatte keine Ahnung,

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