DSA: Rabenbund. Heike Wolf
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Читать онлайн книгу DSA: Rabenbund - Heike Wolf страница 6
»Ihr wollt den Sternenfall so deuten, dass das Unheilsomen dem Patriarchen gilt?«, fragte Esmeraldo.
»Ich werde gar nichts deuten. Das wird ganz von selbst geschehen. Aber es ist sinnvoll, die richtigen Anstöße zu geben, um die Dinge in unserem Sinne in Bewegung zu setzen. Was mich zum eigentlichen Anlass unseres Gespräches führt.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Ort für diese Art Gespräche geeignet ist.« Esmeraldo sah erneut zu den Arbeitern, die gerade den zertrümmerten Arm einer Marmorstatue aus dem Krater zogen. Die Stille des Tempelgartens trug ihre Stimmen heran, aber sie waren zu weit entfernt, um Worte zu verstehen.
Brotos lachte leise. »Ihr seid misstrauisch, das ist gut! Gutgläubige Narren habe ich genug um mich herum. Doch lasst uns hier ein wenig gehen und plaudern, vom Onkel zum Neffen. Wir haben uns seit Jahren nicht gesehen, und ich bin erfreut, ein verlorenes Räblein in der Heimat willkommen zu heißen.«
Esmeraldo war sich nicht sicher, ob er Brotos’ Sorglosigkeit teilen wollte, aber es war vermutlich tatsächlich nichts Verdächtiges dabei, wenn er mit seinem Verwandten am helllichten Tag durch die Einsamkeit der Tempelgärten spazierte. Manchmal waren die offensichtlichen Orte die sichersten.
»Ich bin erfreut über Eure Fürsorge«, nahm er daher den Faden auf. »Allerdings kann ich Euch versichern, dass es um mein Seelenheil wohl bestellt ist. Es gibt in Sylla einen Tempel unseres Herrn Boron, sodass ich die letzten Jahre nicht gänzlich verlassen war.«
»Der Götterfürst wacht über seine Räblein, wo auch immer das Rabenbanner steht. Allerdings findet Ihr nur hier Männer und Frauen, die bereit sind, es zu ergreifen und zum Ruhm unseres Herrn Boron über die Grenzen des Imperiums hinauszutragen.« Wieder streifte ihn Brotos’ Blick, ohne dass der Geweihte innehielt. »Ihr habt sie kennengelernt, und Ihr kennt die Pläne unseres Generals. Ich will wissen, was Ihr darüber denkt.«
Esmeraldo nickte langsam. Seine Finger strichen über den Knauf seines Säbels, während er darüber nachdachte, wie viel er dem hageren Geweihten preisgeben wollte. »Lasst mich bei der militärischen Lage beginnen«, sagte er schließlich und senkte die Stimme. »Die Streitmacht ist gut ausgebildet, gerüstet und ohne Zweifel geeignet, das Königreich der Kemi zu unterwerfen. Oderin du Metuant weiß, was er tut. Er hat Erfahrung, Geschick und militärisches Verständnis. Allerdings kann er nicht mehr lange zögern. Mit jedem Tag, den die Truppen zur Untätigkeit verdammt sind, sinkt die Moral. Selbst wenn es ihm gelingt, sie noch eine Weile unter Kontrolle zu halten, werden die Soldaten am Ende ungeduldig und wenig diszipliniert in Kemi einfallen, was den Erfolg des Unternehmens gefährden würde. Es bleibt daher wenig Zeit.«
Der alte Geweihte nickte zustimmend. »Dann haltet Ihr es für sinnvoll, bald zuzuschlagen? Sprecht offen, ich bin gespannt auf Eure Einschätzung.«
»Bezüglich eures Kreises, den Ihr Rabenbund nennt?« Esmeraldo bleckte die Zähne zu einem flüchtigen Grinsen. »Ich halte es für gewagt, mit diesen Gestalten einen Umsturz zu versuchen.«
»Tatsächlich?« Brotos’ Braue ruckte nach oben. Er machte eine auffordernde Handbewegung. »Führt aus.«
»Ihr wollt einen Umsturz, aber Ihr habt niemanden, der in der Lage wäre, die Führung zu übernehmen oder die Heeresmacht hinter Euch zu bringen.« Esmeraldo schlug einen Weg ein, der sie ein Stück von den Aufräumarbeiten fortführte. »Solange die Truppen vor den Toren lagern und Ihr die Offiziere nicht hinter Euch wisst, wäre es Wahnsinn loszuschlagen. Was auch immer einige Eurer Anhänger behaupten mögen. Ihr braucht die Offiziere, die Hafenmeisterei und die Stadtwache. Am besten kümmert Ihr Euch auch um die wichtigsten Lanistos und lasst die Commandanta der Rabengarde austauschen. Für einige dieser Aufgaben habt Ihr geeignete Leute. Verteilt die Verantwortlichkeiten entsprechend. Diesen jungen Kugres lasst Ihr besser verschwinden. Die Kriegsfakultät verteilt sehr bereitwillig Patente, aber eine schöne Urkunde macht keinen guten Commandante. Der Bursche ist gefährlich für Euer Unterfangen, weil er seine Fähigkeiten überschätzt und nicht bereit ist, Fehler einzugestehen. Stünde er unter meinem Kommando, hätte ich ihn längst entfernt.«
Brotos nickte bedächtig. »Das werde ich nachholen. Ich danke Euch. Ich bin wahrscheinlich zu wenig Soldat, um den Wert dieser Patente einschätzen zu können. Das Übrige ist mir durchaus bewusst.« Er strich sich nachdenklich über das Kinn. »Es fließen bereits Gelder, um Notwendigkeiten anzustoßen. Allerdings hat die Erfahrung gezeigt, dass Geld allein nicht an jeder Stelle zu überzeugen weiß. Gerade unter Soldaten gibt es aufrechte Gestalten mit hehren Idealen, die sich in ihrer Ehre gekränkt sehen, wenn man ihre Treue über das übliche Maß hinaus entlohnen will. Solche Männer und Frauen brauchen andere Wege der Überzeugung. Wege, auf die Ihr Euch besser versteht als ich.«
»Ihr habt mich hierherbestellt, damit ich Euch den Rückhalt der Truppen verschaffe?« Esmeraldos Gesicht blieb unbewegt, während er in Gedanken knapp überschlug, wie groß seine Erfolgsaussichten waren. Er kannte viele der Kommandanten noch aus der Zeit aus Port Corrad, aber es war schwer zu sagen, wie sie inzwischen zu General Oderin du Metuant standen. In fünf Jahren war viel geschehen, für ihn selbst und auch für jeden anderen.
Brotos nickte. »Das will ich. Ihr seid der Einzige, den ich dazu befähigt sehe, Heer und Stadt zusammenzuhalten. Sobald wir den General gestürzt haben, tretet Ihr an du Metuants Stelle. Ich werde Euch zum Generalissimus machen, und Ihr werdet den Krieg in Kemi für das Imperium zu einem triumphalen Sieg führen. Mit den Anhängern Prinzessin Rhôndas bin ich bereits im Gespräch. Diesen Gestalten ist es gleichgültig, wer das Heer führt, das Nisut Ela und die Horasier aus dem Land fegt. Als Triumphator werdet Ihr dann gemeinsam mit mir über die Stadt herrschen, alle Macht vereint in den Händen des Hauses Paligan.«
Esmeraldo hob eine Augenbraue. »Ihr seid Euch bewusst, dass Eure Anhänger etwas anderes erwarten? Die anderen Häuser werden es kaum hinnehmen, wenn Ihr sie übergeht. Shantalla Karinor sprach von der Vorstellung, Euch einen neuen Hohen Rat der Zwölf gleichberechtigt zur Seite zu stellen.«
»Ich weiß.« Brotos’ Lippen formten ein schmales Lächeln, das seine Raubvogelzüge einen Herzschlag lang noch härter erscheinen ließ. »Sie fordern auch, dass Ihr nach Eurem Triumph selbstlos zurücktretet und die Zukunft Gestalten wie diesem jungen Kugres überlasst, dessen einzige Tat es ist, große Reden zu schwingen. Womöglich plant man für Euch bereits ein ähnliches Schicksal, wie es einst unseren Schwarzen General mit seiner Verbannung ereilt hat, als die Granden seine Macht fürchteten. Selem ist sicher ein guter Ort, um in Vergessenheit zu geraten. Man könnte Euch dorthin schicken, um die Grenzen des Imperiums gegen aufrührerische Echsen zu verteidigen. Ich bin überzeugt, dass Euch diese Aussicht ebenso wenig gefällt wie mir.«
Esmeraldo lachte trocken auf. »Ich bitte Euch, Hochwürden Brotos. Warum sollte Euch mein Schicksal etwas kümmern? Als Patriarch ist Euch ein zerstrittener Rat doch wahrscheinlich lieber als ein starker General an Eurer Seite.«
Brotos schmunzelte flüchtig. »Es gefällt mir, wie Ihr denkt, Esmeraldo. Und ich beginne zu verstehen, warum mein Bruder Euch ausgewählt hat. Aber in dieser Sache kann ich Euch versichern, dass mich Euer Schicksal sehr wohl etwas kümmert. Ich bin alt, Esmeraldo. Wenn Boron mir noch ein paar Jahre gibt, werde ich sie nutzen, um aus Al’Anfa das Imperium zu machen, das es einst war, bevor es die Honaks von einer Niederlage in die nächste geführt haben. Doch wenn ich gehe und niemand an meiner Seite steht, der mein Werk fortsetzt, werden sich die Raubtiere auf mein Vermächtnis stürzen und es vernichten. Daher wird es auch Euer Werk sein, dem Imperium Größe zurückzugeben und es unter Borons Herrschaft zu stellen. Es gibt übrigens eine junge Geweihte,