Im Reich der hungrigen Geister. Gabor Mate
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Januar 2006
Celia ist wegen ihres monatlichen Methadon-Rezepts gekommen. Der inzwischen sechs Monate alte Säugling ist in einem Pflegeheim. Celia träumt immer noch davon, das Sorgerecht für ihre Tochter wiederzuerlangen und ein Familienleben aufzubauen. Aber sie ist nicht in der Lage, auf Kokain zu verzichten.
„So sehr Sie Ihr Baby auch lieben“, sage ich ihr noch einmal, „und so sehr Sie es auch lieben wollen, wenn Sie auf Crack sind, sind Sie als Mutter nicht geeignet. Sie selbst haben einmal gesagt, dass es nicht möglich ist, das Beste aus einem Menschen herauszuholen, wenn es um Sucht geht. Das Kind braucht das Beste von Ihnen, Sie müssen dafür emotional stabil und präsent sein. Sein Sicherheitsgefühl hängt davon ab. Die Gehirnentwicklung Ihrer Tochter braucht es, um zu gedeihen. Sie sind kein Elternteil, wenn Sie von Ihrer Sucht kontrolliert werden. Verstehen Sie das nicht?“
Meine Stimme ist angespannt und kalt, ich spüre die Anspannung in meiner Kehle. Ich bin wütend auf diese Frau. Ich versuche, ihr eine Wahrheit aufzudrängen, die ich als arbeitssüchtiger Arzt und auch auf andere Weise in meinem eigenen Leben zu ignorieren pflege.
Celia starrt nur mit mürrischem, hartem Blick zurück. Ich erzähle ihr nichts, was sie sich selbst nicht schon gesagt hat.
———
Als menschliches Schauspiel hat diese Geschichte kein glückliches Ende – zumindest nicht, wenn wir wollen, dass unsere Geschichten einen klaren Anfang und ein klares Ende hat. Doch im größeren Kontext möchte ich darin einen Triumph sehen: Sie zeigt, wie das Leben das Leben sucht, wie sich die Liebe nach Liebe sehnt und wie der göttliche Funke, der in uns allen brennt, weiterhin glüht, auch wenn er nicht in voller, offener Flamme lodern kann.
Was wird mit diesem Säugling, diesem Wesen der unendlichen Möglichkeiten, geschehen? Angesichts seines schrecklichen Starts kann es durchaus sein, dass er ein Leben in grenzenlosem Leid führen wird – aber es ist nicht zwingend, dass dieser Lebensbeginn prägend ist. Es hängt davon ab, wie gut unsere Welt sich um dieses kleine Mädchen kümmert. Vielleicht wird unsere Welt genügend liebevolle Zuflucht bieten – genug „shelter from the storm“, wie Bob Dylan gesungen hat –, damit das Baby, im Gegensatz zu seiner Mutter, in sich selbst etwas anderes als seinen eigenen schlimmsten Feind kennenlernen kann.
KAPITEL 7
Beethovens Geburtszimmer
Mir ist es anfangs kaum bewusst, aber Ralph und ich sind bei unserem ersten Treffen dabei, eine spannende Geschichtsdebatte zu führen. Ein dünner, großer Mann mittleren Alters mit hängenden Wangen humpelt in meine Praxis und stützt sich dabei auf einen Stock. Ein Großteil seiner Kopfhaut ist rasiert, eine ungeschickte Selbstrasur mit unebenen Flecken und Schnitten vom Rasiermesser. Sein tief schwarz gefärbtes Haar mit notdürftigem Irokesenschnitt ziert den Scheitel seines Kopfes. Der Hitlerschnurrbart unter seiner Nase ist kein eitles modisches Accessoire, wie unser Gespräch bald zeigen wird.
Der Zweck dieses Besuchs besteht für mich darin, seine Krankengeschichte aufzunehmen, Medikamente zu verschreiben und das Sozialhilfeformular auszufüllen, das Ralph zu einem monatlichen Lebensmittelzuschuss berechtigt. Sein linker Knöchel, der bei einem Arbeitsunfall verletzt worden war, entwickelte in der Folge eine Arthritis, außerdem verhinderte seine Drogensucht eine angemessene medizinische Behandlung. Sein Schmerzmittelbedarf ist legitim, und trotz seiner Drogenabhängigkeit werde ich ihm das Morphium nicht vorenthalten. Auf jeden Fall sind Stimulanzien Ralphs bevorzugte Drogen, wobei Kokain für ihn am wichtigsten ist.
Ich werde Ralph bald als einen der intellektuell begabtesten Menschen kennenlernen, die ich je getroffen habe. Er ist auch ein zutiefst trauriger Mensch – eine verlorene poetische Seele mit einer hoffnungslosen, unerfüllten Sehnsucht nach menschlicher Verbundenheit. Neben seinem breit gefächerten, aber undisziplinierten Intellekt, der es mit jedem Gedanken oder Gefühl, das ihn beherrscht, aufnehmen kann, verfügt er über einen scharfen, selbstironischen Humor. Wenn er unter dem Einfluss der von ihm verwendeten Stimulanzien steht, kann er höchst aggressiv und sogar gewalttätig sein. „Ich bin ein schizo-affektiver, zwanghafter, hyperaktiver, paranoider Depressiver mit bipolaren Tendenzen, die sich mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung überlagern. Außerdem leide ich an halluzinatorischen Zuständen, die durch Drogen ausgelöst werden“, verkündet er einleitend. „All diese Diagnosen wurden mir bereits von dem einen oder anderen Psychiater gestellt“, erklärt er weiter. „Ich war bei vielen.“
Wegen des Lebensmittelzuschusses führt Ralph alle entscheidenden Aspekte an. „Ich brauche frisches Fleisch, Gemüse und Fisch, Wasser in Flaschen und Vitamine. Ich habe Hepatitis C und Diabetes.“
Je mehr Krankheiten eine Person nachweisen kann, desto größer ist die zu erwartende finanzielle Unterstützung. Süchtige, die täglich etwa hundert Dollar oder mehr für ihre illegalen Drogen ausgeben und oft gesundheitsrelevante Termine versäumen, verpassen selten den Zeitpunkt, wenn sie wieder ihre Papiere für die monatlichen zwanzig, vierzig oder fünfzig Dollar ausfüllen müssen, die sie als Unterstützung für Lebensmittel erhalten. Ich fülle diese Formulare pflichtbewusst aus, jedoch mit gemischten Gefühlen, denn ich weiß, wo das Geld landen wird. Ich denke, dass es einen besseren Weg geben muss, um diese unterernährten Menschen angemessen zu versorgen. Um ein alternatives System einzurichten, bräuchten wir Mitgefühl, Fantasie und Flexibilität – Eigenschaften, die unser soziales System nicht ohne Weiteres auf die Hardcore-Drogensüchtigen anwendet.
„Außerdem muss ich mich natriumarm ernähren“, sagt Ralph.
„Warum?“
„Ich esse kein Salz. Ich mag kein Salz. Ich kaufe immer Butter ohne Salz … Und was ist Dysphagie?“, fragt er und wirft einen Blick auf die Liste mit den Bedingungen für einen Zuschuss.
„Vom griechischen phag, essen“, erkläre ich. „Dysphagie bedeutet Schwierigkeiten beim Schlucken.“
„Oh, ja, ich habe Schluckbeschwerden. Und ich muss mich glutenfrei ernähren …“
„Das kann ich nicht alles aufschreiben. Ich habe keine medizinischen Anhaltspunkte dafür, dass Sie Diabetes, Dysphagie oder irgendein salz- oder glutenbedingtes Problem haben.“
Ralphs unmittelbare Reaktion, ein brummeliges Knurren, ist ein spezielles, herausforderndes Hörerlebnis. Den Anfang seines nächsten Satzes kann ich nicht verstehen, er endet mit „… reiche amerikanische Touristen lachen uns aus … amerikanische Juden …“
„Amerikanische was?“
„Amerikanische Juden.“
Ich bin überrascht über diese Wendung des Gesprächs.
„Was ist mit ihnen?“
„Sie lachen über uns. Sie sind so verdammt bösartig … sie fressen die ganze verdammte Welt auf.“
„Amerikanische Juden sind …? Sie sprechen mit einem kanadischen Juden.“
„Ungarischen Juden, habe ich gehört.“ Ralphs trübe Augen haben einen bösartigen Glanz und sein mürrisches Stirnrunzeln verwandelt sich in ein Grinsen.
„Kanadischer und ungarischer Jude“, gebe ich zu.
„Ungarischer