Linda Haselwander. Irina Wittmer
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Die Idylle, hinter der das Rasiermesser lauert. Wie das niedliche, blonde Mädchen den Leuten aus der Stadt seinen Bauernhof zeigt. Die Küken wollen unter die Glucke flüchten, die sich im warmen Sand eine Kuhle gebuddelt hat. Linda fängt eines und setzt es in die Hände von Tante Lübchen, die ganz weich sind. Onkel Lübchen photographiert, es ist der erste Urlaubstag. Das Kind am Brunnen, das Kind, das über den Gartenzaun geklettert ist, und das nun inmitten der blökenden Schäfchen steht.
Die Großmutter hat es nicht gerne, wenn ihr die Fremden im Stall und im Garten herumlaufen. Sie stören. Ihrer Ansicht nach sollen sie spazieren gehen oder auf der Wiese hinten in den Liegestühlen sitzen, und ansonsten können sie auf ihren Zimmern bleiben. Obwohl die Großmutter in Bad Hohenbirch aufgewachsen ist, wo ihre Eltern ein Juwelier- und Uhrengeschäft betrieben haben, lebt sie ganz für die Landwirtschaft. Sie ist eine kräftige, beherzte Frau. Auch an Werktagen, wenn sie die Ställe mistet, trägt sie eine helle Bluse und ihre zweireihige Perlenkette. Nach dem Tod ihres Mannes hat sie sich mit dem Bauern vom Nachbarhof geeinigt. Sie stellt ihm ein großes Waldstück pachtfrei zur Verfügung. Er kann da abholzen, soviel er will. Dafür mäht er ihr die Wiesen und fährt das Heu ein. Auch sonst hilft er, wenn es notwendig ist. Deshalb braucht sie kein Fuhrwerk und keinen Traktor. Auf deren Platz in der Scheune steht der schwarze, immer auf Hochglanz polierte Mercedes ihres Sohnes, der davon träumt, die Landwirtschaft aufzugeben und dafür ein Café zu eröffnen. Aber die Großmutter sagt, solange ich lebe, wird der Stall nicht leer gemacht. Sie versorgt ihre Tiere, den Garten und die Wäsche. Ihre Schwiegertochter, die schwächlich ist, hat den Laden und nebenher die Küche. Damit sie überhaupt fertig wird, muß die dicke Hieberin jeden Tag ein paar Stunden lang helfen. Die Hieberin putzt auch die Fremdenzimmer.
Das Ehepaar Lübchen nimmt die Photos am selben Nachmittag auf, an dem sich Lindas Mutter töten will. Erst als Erwachsene wird sich Linda alles zusammenreimen können. Die Großmutter schreit, Herrmann, Herrmann, aus dem Bad oben, und auf der Treppe geht ein Poltern los. Die Rheinländer nehmen Linda, die sich heftig sträubt, zwischen sich und zerren sie hinaus, Richtung Wald, weil sie sehen wollen, ob schon die Rehe herauskommen. Wenn man ihnen etwas Salz auf die Schwänze streut, werden sie ganz zahm, heißt es. Wer bringt Linda abends ins Bett? Weil die Mutter fehlt, weint Linda bitterlich. Am nächsten Morgen will es mit dem Kämmen nicht klappen. Da nimmt die Großmutter die angerostete Küchenschere und schneidet Linda die Haare ab. Sogar der Vater ließ einen Entsetzensschrei, als er Linda danach sah.
Als die Mutter aus ihrer Erholung zurückkam, schien sie Linda viel kleiner als vorher, und immerzu sagte sie, du bist doch alles, was ich habe, ich lebe nur wegen dir. Linda durfte nichts passieren, nur sie konnte die Mutter, die oft in der Küche saß und weinte, trösten.
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Durch eine Kriegsverletzung hinkte Herrmann Haselwander, sein rechtes Knie war steif, so daß er das Bein nachziehen mußte. Außerdem war er heftig und versprühte beim Sprechen schlecht riechende Spucketröpfchen. Er liebte fertige Sätze. Jeder ist seines Glückes Schmied. Wie man sich bettet, so liegt man. Wenn ihn, was selten vorkam, seine Frau um etwas bat, sagte er unter einer leichten Verneigung: Dein Wunsch ist mir Befehl. Dazu lächelte er süffisant. In seiner Nähe konnte Linda immer nur wenig Luft einatmen, und oft tat ihr der Bauch weh. Dabei war sie stolz auf den Vater, er backte die schönsten und besten Torten, sogar zwei- und dreistöckige. Aus der ganzen Umgebung, auch aus Bad Hohenbirch, riefen Leute an und gaben Bestellungen auf. Linda gefiel es, wenn der Vater sie mitnahm und sie nebeneinander in den Polstern des schwarzen Wagens saßen und langsam ins Dorf rollten. Sie winkte gerne hinaus, außer ihnen fuhr nur noch der Metzger, der in seiner Freizeit Jäger war, einen Mercedes, aber dieser war grün und hatte eine Anhängerkupplung.
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Es ist Samstag. Das Geschäft ist schon geschlossen. Als Mittagessen hat es Linsensuppe gegeben. Die Hieberin schrubbt die Ladenstaffel. Oben im Bad hat die Großmutter den Ofen angeheizt. Sie badet als erste. Dann, nach seinem Mittagsschlaf, der Vater und zum Schluß die Mutter. Wenn sie fertig ist, ruft sie Linda herein. In dem Bad ist eine trockene Hitze, und es riecht nach Fichtennadel-Badesalz. Linda bekommt Gänsehaut, als sie sich in das heiße Wasser setzt. Sie fährt ihr Plastikschiff hin und her, es ist ein Ozeandampfer. Die Mutter steht am Waschbecken. Sie hat ihren hellblauen Spitzenunterrock an und kämmt sich. Ihr Haar ist noch feucht, es fällt bis zu den Hüften hinunter. Vor anderen Leuten trägt sie es nie anders, als zu einem Knoten geschlungen. Aber samstags, nach dem Waschen, bleibt es offen, und für Linda ist die Mutter dann eine Märchenkönigin mit einem kostbaren Schleier.
Auf der Holzkiste liegen frische Wäsche und das Sonntagskleid für Linda. Sie haben es bei Leinwebers in Bad Hohenbirch gekauft, sein Koller ist mit einer Spitze verziert. Dazu wird Linda weiße Strümpfe und weiße Stiefel tragen. Immer darf sie samstags nach dem Baden schon das Sonntagskleid anziehen. Die Mutter wäscht Linda und ist ganz sanft.
Morgen ist erster Advent. Vom Wohnzimmer her tönen das Harmoniumspiel und der Gesang der Großmutter. Sie singt, Auf, auf, ihr Reichsgenossen, eur König kommt heran! Empfanget unverdrossen den großen Wundermann. An den Samstagabenden arbeitet sich die Großmutter durch das Kirchenjahr. Nachdem Linda angezogen ist, geht sie in das Wohnzimmer, sie soll am Kachelofen sitzen und die Haare trocknen. Wenigstens für einen Pferdeschwanz sind sie schon wieder lang genug.
Am nächsten Morgen liegt ein wenig Schnee und die Sonne scheint. Die Glocken werden schon geläutet. Es ist ein spiegelblanker Tag. Linda geht zwischen der Mutter und der Großmutter zur Kirche hinunter. Der Vater will mit dem Auto nachkommen. Linda liebt es, im Takt der Glocken zu gehen und ist immer enttäuscht, weil die Glocken für den Weg nach Hause nicht geläutet werden. Es ist, als würde ihren Beinen etwas fehlen, sie gehen dann so ins Leere.
Vor der Kirche treffen sie zwei Schwestern ihrer Mutter. Die Else, zu der Linda nicht Tante sagt, obwohl sie ihre Tante ist, hat mal wieder verschlafen. Sie bewundern Lindas neuen Mantel und sagen, mach auf, damit wir auch das Kleid sehen können. Aber die Großmutter drängt, sie will nicht wieder in der letzten Bank sitzen. Die Kirchenhälfte, die beim Hineingehen links ist, gehört den Männern, die rechte den Frauen. Wenn Gott vom Altar her ins Kirchenschiff schaut, sitzen die Männer zu seiner Rechten. Sonntags riecht die Großmutter immer nach Lavendel. Sie schiebt sich auf der Bank dicht an Linda heran und schwebt jauchzend mit ihrem Gesang über der Gemeinde.
Sonntag nachmittags, wenn die Küche sauber ist, geht Linda mit der Mutter und der Großmutter zum Pfarrsaal. Er wirkt festlich, denn er hat gelbe Fensterscheiben, durch die auch an trüben Tagen ein Licht hereinkommt, als scheine