Big Ideas. Das Wirtschafts-Buch. John Farndon
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Das Tableau économique
Das physiokratische System des wirtschaftlichen Kreislaufs ist in Quesnays Tableau économique dargestellt, das zwischen 1758 und 1767 mehrmals veröffentlicht und überarbeitet wurde. Dieses Diagramm illustriert den Fluss von Geld und Gütern zwischen drei Gesellschaftsgruppen: Landeigentümern, Bauern und Handwerkern. Die Güter sind Agrar- und Produktionsgüter, hergestellt von Bauern und Handwerkern. Quesnay nahm Getreide als Beispiel für ein landwirtschaftliches Produkt.
Am besten lässt sich Quesnays Modell an einem Beispiel verdeutlichen. Man stelle sich vor, jede der drei Gruppen besitzt anfangs 2 Mio. Euro. Die Landbesitzer produzieren nichts. Sie geben ihre 2 Mio. Euro aus, und zwar zu gleichen Teilen für landwirtschaftliche und handwerkliche Produkte, die sie vollständig verbrauchen. Sie erhalten 2 Mio. Euro an Pacht- und Mieteinnahmen von den Bauern, was die Bauern sich gerade eben leisten können, weil sie die einzige Gruppe sind, die einen Nettogewinn erzielt – die Landbesitzer stehen also am Ende wieder da wie zuvor. Die Bauern sind die produktive Gruppe. Mit einem Ausgangskapital von 2 Mio. Euro produzieren sie landwirtschaftliche Erzeugnisse im Wert von 5 Mio. Euro über den Eigenbedarf hinaus. Davon verkaufen sie Waren im Wert von 1 Mio. Euro an die Landbesitzer zu deren Verbrauch. Waren im Wert von 2 Mio. Euro verkaufen sie an die Handwerker, zur Hälfte zum Verbrauch und zur Hälfte als Rohmaterial. Bleiben 2 Mio. Euro für die nächste Wachstumsperiode übrig. Was die Produktion angeht, stehen sie wieder genauso da wie am Anfang. Aber sie besitzen zusätzlich 3 Mio. Euro aus Verkäufen, von denen sie 2 Mio. Euro an Pacht ausgeben und 1 Mio. Euro für handwerkliche Produkte (wie Werkzeug und Geräte).
Quesnays Tableau économique zeigt den Zickzackfluss des Wohlstands zwischen Bauern, Landeigentümern und Handwerkern. Es war der erste Versuch, das Funktionieren einer Volkswirtschaft zu erklären.
Quesnay bezeichnete alle Gruppen außer den Bauern und Landeigentümern als »steril«, er glaubte, sie könnten keinen Gewinn erzielen. Die Handwerker im Beispiel setzen ihr Startkapital von 2 Mio. Euro ein und produzieren 2 Mio. Euro an Gütern über den Eigenbedarf hinaus, die sie zu gleichen Teilen an Landeigentümer und Bauern verkaufen. Aber sie geben ihre gesamten Einnahmen für landwirtschaftliche Produkte aus: 1 Mio. Euro für den Eigenbedarf und 1 Mio. Euro für Rohmaterial. Damit konsumieren sie alles, was sie besitzen.
Quesnays Modell stellt nicht nur eine Art Jahresbilanz dar – es zeigt auch, wie Güter und Geld das ganze Jahr hindurch zirkulieren und warum das so wichtig ist. Der Verkauf von Produkten zwischen den verschiedenen Gruppen erzeugt Einnahmen, die eingesetzt werden, um weitere Produkte zu kaufen, die noch mehr Gewinn bringen. Ein »Multiplikatoreffekt« tritt ein, ähnlich dem, den John Maynard Keynes in den 1930er-Jahren vorstellt.
»Die Gesamtsumme des Einkommens trete in die jährliche Zirkulation ein und durchlaufe sie in ihrer ganzen Ausdehnung.«
François Quesnay
Die Wirtschaft analysieren
Quesnay war einer der ersten, die versuchten, die allgemeinen Gesetze der Wirtschaft zu entschlüsseln. Dazu zerlegte er das wirtschaftliche Geschehen in seine Bestandteile und analysierte die Beziehungen zwischen den Teilen. In seinem Modell gab es Input, Output und die gegenseitige Abhängigkeit der verschiedenen Sektoren. Quesnay meinte, sie existierten möglicherweise in einer Art Gleichgewicht, eine Vorstellung, die später Léon Walras zu einem grundlegenden Prinzip der ökonomischen Theorie weiterentwickelte.
Quesnays Ansatz, die Gesetze der Ökonomie zu quantifizieren, macht das Tableau économique zum vielleicht ersten empirischen Modell der Makroökonomie. Die Zahlen in diesem Diagramm waren das Ergebnis einer genauen Studie der französischen Wirtschaft. Sie ließen vermuten, dass die Agrartechnologie es den Bauern ermöglichte, einen Nettoertrag von mindestens 100 Prozent zu erwirtschaften: In unserem Beispiel beginnen sie mit Getreide für 2 Mio. Euro und erhalten es mit einem Nettoertrag von 2 Mio. Euro zurück, den sie für Pacht aufwenden. Moderne Ökonomen verwenden solche empirischen Resultate, um über die Auswirkungen einer veränderten Politik nachzudenken. Quesnay nutzte sein Tableau zu einem ähnlichen Zweck. Er argumentierte, wenn die Bauern zu hohe Steuern zahlen müssten, würden sie weniger in landwirtschaftliche Technologie investieren, und die Produktion würde unter das Niveau sinken, das zum Wohlergehen der Wirtschaft erforderlich war. Daher forderten die Physiokraten, es solle nur eine Steuer geben: auf den Pachtwert des Landes.
Auf der Grundlage seiner empirischen Ergebnisse sprach Quesnay weitere politische Empfehlungen aus. Er machte sich stark für Investitionen in die Landwirtschaft, für die Ausgabe aller Einnahmen, die Vermeidung des Anhäufens von »Schätzen«, für niedrige Steuern und Freihandel. Er glaubte, Kapital sei besonders wichtig, weil unternehmerisch eingestellte Bauern günstige Kredite brauchten, um die Verbesserung der Böden zu bezahlen.
Den Physiokraten zufolge waren Investitionen in die Landwirtschaft der Schlüssel zum nationalen Wohlstand. Durch freie Exporte sollte die Nachfrage erhalten und die Macht der Kaufleute begrenzt bleiben.
Klassische Vorstellungen
Quesnays Grundgedanke der produktiven und unproduktiven Sektoren taucht in der Geschichte des ökonomischen Denkens immer wieder auf. Sei es, dass die Ökonomen sich Gedanken über die Industrie im Vergleich zum Dienstleistungssektor machten oder über den privaten Sektor im Vergleich zum Staat. Seine starke Fokussierung auf die Landwirtschaft mag aus moderner Sicht engstirnig erscheinen, weil wir heute wissen, dass die Wertschöpfung in der Industrie und im Dienstleistungssektor für das Wachstum einer Wirtschaft entscheidend ist. Doch seine Betonung der »realen« Seite der Wirtschaft war ein wichtiger Schritt in Richtung auf das moderne ökonomische Denken. Ganz offensichtlich hat er die moderne volkswirtschaftliche Gesamtrechnung vorweggenommen. Diese beruht auf dem zirkularen Fluss der Einnahmen und Ausgaben durch die Wirtschaft. Der Wert des Gesamtprodukts einer Wirtschaft entspricht dem Gesamteinkommen, das verdient wird – eine zentrale Vorstellung in Quesnays Theorie. Im 20. Jahrhundert drehte sich ein Großteil der volkswirtschaftlichen Analyse um den keynesianischen Multiplikator. Keynes zeigte, wie Staatsausgaben durch einen »Multiplikatoreffekt« weitere Ausgaben anstoßen können. Diese Idee steht offensichtlich in Verbindung zu Quesnays Kreislauftheorie.
Die gegenseitige Abhängigkeit von Verbrauchern und Produzenten wurde erstmals von Quesnay dargestellt. Die Verbraucher sind abhängig von den Herstellern, die ihnen Waren und Dienstleistungen liefern. Die Hersteller sind abhängig von den Verbrauchern – ihren Käufern und Arbeitskräften.
»Und dennoch kommt diese Wirtschaftsordnung … unter allen Systemen, die bislang als Gegenstand der Politischen Ökonomie entwickelt worden sind, der Wahrheit vielleicht am nächsten.«
Adam Smith
Vielleicht am wichtigsten ist, dass Quesnays Vorstellungen von Mehreinnahmen und Kapital für die klassischen Ökonomen bei ihrer Analyse des Wachstums zu einer Schlüsselvorstellung wurden. Ein typisches klassisches Modell konzentriert sich auf drei Produktionsfaktoren: Land, Arbeit und Kapital. Landeigentümer erhalten Pacht und geben sie verschwenderisch für Luxusgüter