Weisheit des Lebens für Dummies. Marco Kranjc
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Kapitel 2
Weisheit verstehen: Von den antiken Mythen bis zur heutigen Forschung
IN DIESEM KAPITEL
4500 Jahre Weisheit
Was weise scheint: Ptahhotep schreibt
Weisheit und Religion
Heute: Weisheit wird erforscht
Religion und Spiritualität werden in diesem Buch nur eine kleine Rolle spielen: Weisheit im Sinne von praktischer Lebensklugheit kann, muss nicht zwangsläufig mit spirituellen oder religiösen Übungen verbunden werden. Die Frage nach der Weisheit und nach dem guten Leben zieht sich durch die Menschheitsgeschichte, seit man begonnen hat, Gedanken aufzuschreiben. Alte Mythen und Sagen werden von weisen und törichten Menschen bevölkert. Viele Religionen haben sich Gedanken zum Thema Weisheit gemacht und die Bandbreite dessen, was sie zur Weisheit sagen, ist groß: von Empfehlungen zum weisen Handeln bis zur eher entmutigenden Aussage, dass es für einen Menschen gar nicht möglich ist, weise zu werden. Wie Sie sehen werden, ist das Verhältnis von Weisheit und Religion nicht immer unproblematisch. Besonders für eher »ungläubige« Menschen.
Dieses Kapitel schlägt einen großen Bogen von der Weisheitsliteratur der alten Ägypter über griechische Mythen und die Weltreligionen bis hin zu einem heutigen Forschungsprojekt an der Universität in Klagenfurt.
Alte Weisheit: Von Lehrern, Mythen und Märchen
Weise ist es, Dinge zu tun, die vernünftig und hilfreich sind. Weise ist auch, Dinge zu lassen, die einem selbst das Leben vermiesen und vom ins Auge gefassten Ziel abbringen würden. Wie aber kann man weises Handeln lernen, ohne jeden Fehler selbst zu machen und ohne erst achtzig Jahre alt werden zu müssen? Das ist eine Frage, die Menschen anscheinend schon zu allen Zeiten bewegt hat.
Weisheit eines pharaonischen Beamten
Achille Constant Théodore Émile Prisse d'Avesnes – toller Name, aber merken kann man ihn sich nicht. Jedenfalls war er ein berühmter französischer Ägyptologe und lebte von 1807 bis 1879. Irgendwann kaufte er in der ägyptischen Gräberstadt (Fachleute nennen sie »Nekropole«) Theben einen Papyrus, dessen Verfasser ein anderer Mann mit schwer zu merkendem Namen war: Ptahhotep. Soweit man heute weiß, lebte Ptahhotep um 2000 v. Chr. und war ein Tjati, das heißt ein hoher Regierungsbeamter, eigentlich der zweite Mann nach dem Pharao. Was wahrscheinlich bedeutet, dass er die ganze Arbeit machte, während der Pharao einfach nur gut aussah. Heute nennt man diese Schrift Ptahhoteps das älteste Weisheitsbuch der Welt.
Ptahhotep schrieb irgendwann einige Lehren auf, die er aus seinem Leben gezogen hatte. Diese 37 Regeln oder Prinzipien bilden den ältesten Weisheitstext, den wir kennen. Ptahhotep ging es nicht darum, genau zu definieren, was Weisheit ist. Er beschrieb einfach die Handlungen, die er für weise hielt, und die, die er für dumm hielt.
Hier ein paar Beispiele, ich habe mir allerdings die Freiheit genommen, die Texte ein klein wenig lesbarer zu gestalten:
§ 1 Niemand ist vollkommen. Deshalb sollte man nicht stolz auf seine Bildung sein, sondern sich mit Gebildeten und mit Ungebildeten beraten.
§ 18 Wenn du willst, dass eine Freundschaft Bestand hat, dann lass die Frau des Freundes aus dem Spiel.
§ 20 Sei nicht habgierig und verlange nicht mehr als deinen Anteil. Sei nicht habgierig (geizig) gegen deine Mitmenschen. Man hat mehr Respekt vor dem Freundlichen als vor dem Strengen.
§ 25 Wenn du Macht hast, verschaffe dir Respekt durch Bildung und durch Zurückhaltung beim Reden.
In Ptahhoteps Aufzeichnungen wird deutlich, wie wenig sich das, was Menschen vor 4000 Jahren weise fanden, sich von dem unterscheidet, was wir heute für weise halten.
Selbst Behördengänge sahen vor mehr als 4000 Jahren schon ähnlich aus wie heute, davon spricht § 13:
Wenn Du aufs Amt gehst, verhalte dich deiner Stellung entsprechend und benimm dich!
Der, der angemeldet ist, wird beachtet, und der, der einen Termin beim Amt hat, kommt auch dran.
Auf dem Amt hat alles seine Ordnung und alles geht nach Vorschrift.
Ich vermute aber, dass es auch vor 4000 Jahren schon Menschen gab, die daran ihre Zweifel hatten.
Natürlich kann man davon ausgehen, dass es Weisheit nicht erst seit den Tagen gibt, als man sie aufgeschrieben hat. Wenn von »der ältesten« oder sogar »der ersten« Weisheitsliteratur die Rede ist, bedeutet das natürlich nur, dass das die älteste oder erste Literatur ist, die wir kennen. Die Weisheit an sich gibt es aber wohl schon so lange, wie Menschen anderen Menschen etwas über das Leben beibringen. Also irgendwie schon immer.
Nicht umsonst gibt es viele Bücher, die Weisheitssprüche sammeln, seien es »Weisheiten der Indianer«, »Weisheiten aus der Wüste« oder Großmutters Weisheiten. Weisheitssprüche sind leicht zugänglich, auch jahrhundertealte Sprüche sind für uns oft gleich nachvollziehbar. Ein wenig schwieriger wird es, wenn »Anleitungen« für ein gutes Leben in Geschichten verpackt werden.
Griechische Mythologie: Geschichten für heute
Wahrscheinlich hat jeder Mensch seinen schwachen Punkt, seine Achillesferse. Und wenn es nur der Neid auf den Nachbarn ist, der anscheinend reich ist wie Krösus. Außerdem sieht er aus wie Adonis. Na, mit unseren Argusaugen werden wir schon sehen, wenn er sich einmal etwas zuschulden kommen lässt! Schon diese wenigen Beispiele zeigen, wie sehr die Mythen und Sagen der alten Griechen noch immer gegenwärtig sind. Sie werden nach wie vor gelesen und in Filmen, Romanen und Nachdichtungen verarbeitet. Wenn sich aber Geschichten so lange halten und nicht vergessen werden, dann treffen sie wohl irgendwo einen Nerv, der Menschen zu verschiedenen Zeiten immer wieder anspricht.
Dabei können sich die gleichen Mythen auch hier und da voneinander unterscheiden, denn jeder Mythos wird zu verschiedenen Zeiten wieder neu und anders verstanden und erklärt. So gibt es in Wolfgang Petersens Film »Troja« (2004) keine Götter und auch Achilles ist kein Halbgott, sondern einfach nur ein guter Krieger. Andere neuere Verfilmungen betonen gerade die Götter und Monster: Es bietet sich eben an, sie durch Computer zum Leben zu erwecken, und natürlich wird da oft die Geschichte dem Schaueffekt geopfert.
Wo ist aber in diesen alten Geschichten die Weisheit zu finden? Geschichten, Mythen und Märchen machen es uns nicht so leicht wie Weisheitssprüche. Wie gesagt, bei einem Weisheitsspruch oder Sprichwort ist die Aussage leicht zu erkennen (zum Beispiel »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold«). Wo aber ist die Weisheit in der Geschichte vom Trojanischen Krieg? Wo steckt sie in den Irrfahrten des Odysseus? Meist muss man darüber erst ein wenig nachdenken.
Lexikon der Dummheit: Trojas Untergang
Ein zentrales Ereignis der griechischen Mythologie ist der Trojanische Krieg. Die Kurzfassung: Paris, der Sohn der trojanischen Königs Priamos, entführte Helena, die Frau