Mit Dem Wind. Elizabeth Johns
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Charles fragte sich, wie viel sie gehört hatte.
„Ja, mylady“, sagte Edward, als er sich umdrehte, um sie anzusehen. Selbst aus gut einem Meter Entfernung konnte Charles erkennen, dass ihre strahlend blauen Augen voll ungeweinter Tränen waren.
„Was kann ich sagen, damit Sie Ihre Meinung ändern?“, fragte sie leise.
„Lady Anjou, Sie verstehen nicht, wie das für Sie sein würde. Ein Handelsschiff ist nicht der richtige Ort für eine wohlerzogene Dame aus gutem Hause. Ihr Bruder sollte Ihnen eine Überfahrt auf einem Postschiff organisieren, das dafür ausgelegt ist, auch weibliche Passagiere zu transportieren“, sagte Edward mit überraschender Freundlichkeit, die im Gegensatz zu dem Spott stand, den Charles von ihm erwartet hatte.
„Ich verstehe das, und ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen oder Ihren Männern nicht in den Weg kommen werde. Ihr Schiff ist schneller als die Passagierschiffe und ich will so schnell wie nur möglich reisen.“
„Und warum?“, fragte er. In seiner Stimme schwang ein Hauch von Neugierde mit.
„Ich möchte nicht länger auf dem Schiff verbringen als unbedingt nötig. Bitte gestatten Sie mir die Überfahrt, Sir. Ich glaube nicht, dass ich noch einmal den Mut aufbringen werde, wenn Sie Nein sagen.“
Edward sah auf das Meer und nahm einen langen, tiefen Atemzug. Er begann davonzugehen, dann blieb er stehen und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare.
„Gehen Sie auf das Schiff, bevor ich meine Meinung ändere.“
Anjou spürte, wie ihr Bruder an ihrem Arm zupfte und sie zum Landungssteg führte. Das Schiff erschien ihr so klein, als sie die vielen derben Seeleute sah, die hin und her liefen. Keiner von ihnen sah so aus, als wisse er, was ein Bad oder ein Rasiermesser waren. Einige glotzten, andere spuckten aus, und wieder andere pfiffen - bis ein scharfes „Schluss jetzt!“ von ihrem Kapitän erklang.
Nach diesem Kommando wurde es still, also ging sie davon aus, dass es aus seinem Mund eine schlimme Drohung war. Sie sah nach oben zu den Unmengen an Seilen und Tauen und den hohen Masten, die hin und her zu schaukeln schienen. Wie sollte so etwas aufrecht im Wasser bleiben?
Sie hatte sich bereits damit abgefunden, dass sie zurückgelassen würde, und jetzt konnte sie nicht klar genug denken, um einen Fuß vor den anderen zu setzen. Es war auch nicht besonders hilfreich, dass ihre Beine zitterten. Charles schien ihr Zögern zu verstehen und führte sie schnell zu einer winzigen Kabine mit holzgetäfelten Wänden und nur einer Laterne als Lichtquelle.
Sie konnte spüren, wie das Schiff unter ihren Füßen vibrierte und klammerte sich an den nächstbesten befestigten Pfosten, den sie greifen konnte. Sie schloss ihre Augen und wiederholte leise und immer wieder Aidan, Aidan, Aidan, um sich daran zu erinnern, warum sie diese Entscheidung getroffen hatte. Sie öffnete ihre Augen wieder und sah sich um. Der Raum war kleiner als irgendeiner der Räume der Bediensteten in den Häusern ihrer Eltern. Es gab eine kleine Koje, neben der ihre Truhe stand, und eine Hängematte baumelte an zwei Haken.
Ihr Bruder hielt immer noch ihren anderen Arm fest. „Bist du dir sicher, dass du das kannst? Wenn wir erst einmal die Segel gesetzt haben, gibt es kein Zurück mehr.“
Anjou sah zu ihrem Bruder auf, dessen schwarze Locken und blaue Augen den ihren so ähnlich waren, und der sie mit liebevoller Sorge betrachtete. Sie nickte, während sie ein Taschentuch aus ihrem Beutel zog und über ihre Nase hielt. Der Gestank in der Nähe des Piers war der von vergammeltem Fisch und schmutzigem Wasser. Es war so ähnlich wie in einem feuchten Keller und sie sah sich nach einer Möglichkeit um, etwas frische Luft in den Raum zu bringen.
„Wo ist das Fenster?“, fragte sie.
„Es gibt keine Fenster, außer im Quartier des Kapitäns, aber ihm gehört das Schiff. Du kannst mit Hannah oder mir nach draußen gehen, falls du frische Luft brauchst - aber niemals allein, hast du verstanden? Ich glaube, ich bin bei Edward in der Kabine untergebracht. Kann ich dich für eine Weile allein lassen? Ich muss sichergehen, dass auch meine eigene Truhe ankommt. Ich werde dir Hannah schicken.“
Sie nickte wieder und fiel weinend auf die Knie, sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte.
„Wie soll ich das nur schaffen? Aber wie könnte ich es nicht tun?“
Sie ergriff ihre Kette mit dem Medaillon, in dem sich ihr dünner Ehering befand und das einzige Bild, das sie von Aidan besaß. Die intensiven, schwarzen Augen in seinem jungen Gesicht sahen zu ihr auf, voller Unschuld und Lebenslust. Es war nun schon ein Jahr her, seit jemand ihn gesehen oder von ihm gehört hatte. Selbst das Kriegsministerium hatte ihn für verschollen erklärt.
Sie presste ihre Augen fest zusammen und versuchte, sich an seinen Duft zu erinnern, seine Berührung, aber sie schaffte es nicht, egal, wie sehr sie sich auch bemühte. In einem Anflug von Panik öffnete sie ihre Truhe und durchwühlte ihre Habseligkeiten nach einer Schachtel. Als sie sie fand, riss sie den Deckel ab und holte einen seiner geliebten Briefe heraus. Sie hob ihn an ihre Nase und versuchte, seinen Duft zu erfassen. Er war schwach, aber deutlich genug, um ihre Nerven zu beruhigen.
„Ja, das ist er“, flüsterte sie.
Sie setzte sich auf die kleine Koje, verbarg ihr Gesicht in den Händen und begann nervös zu lachen.
„Ich werde noch verrückt, bevor wir überhaupt abgelegt haben.“
Sie lag für ein paar Minuten ruhig da, lauschte dem Knarzen und Stöhnen der Wind. Es war lange genug, um sich wieder zu beruhigen, obwohl sie die Besatzung rufen und singen hörte, als sich das Boot zu bewegen begann. Sie hatte einen Tagtraum von dem ersten Mal, als sie Aidan begegnet war. Er war zusammen mit Charles für die Ferien aus der Schule gekommen und sie war, wie immer, Fremden aus dem Weg gegangen. Aber als die Tage vergingen, erwischte sie sich dabei, wie sie ihn neugierig hinter ihrer Bratsche oder einem Buch hervor beobachtete. Er war freundlich und ruhig, was gut zu Anjous scheuer Introvertiertheit passte. Er vermittelte Ruhe und Sicherheit, obwohl er gerade erst den Kinderschuhen entwachsen war, als er in den Krieg zog.
Sie erinnerte sich an das erste Mal, dass sie mit Aidan sprach, als sie am Fluss saß und in ein Buch vertieft war.
Sie blickte auf und sah ihn in seiner Kniehose stehen, strumpflos, und mit einer Forelle, die am Ende seiner Angelschnur baumelte.
Er war sanft, sogar beim Angeln; er zog den Fisch mit Leichtigkeit ans Ufer. Als er sich endlich umdrehte und sie sah, lächelte er freundlich. „Guten Tag, Lady Anjou. Mir war nicht aufgefallen, dass Sie dort lesen. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie gestört habe.“
„Woher wissen Sie, welche Schwester ich bin?“
Er überlegte für einen Moment. „Ich weiß es einfach. Sie sind anders als ihre Schwestern.“
„Das bin ich ...“ Sie ließ ein wenig den Kopf hängen, da sie es als Schwäche empfand.
Mit nur wenigen, ruhigen Schritten durch das Wasser kam er zu ihr. Er kniete sich hin und hob ihr Kinn an.
„Es war als Kompliment gemeint.“