Die Unerwünschten. Owen Jones

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Die Unerwünschten - Owen Jones

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hatte.

      In den Bergen gab es außer Menschen keine Raubtiere mehr, weil schon vor langer Zeit alle Tiger zum Zweck der Verwertung in der chinesischen Medizinbranche getötet worden waren. Herr Lee hatte dabei gemischte Gefühle. Einerseits wusste er, dass das eine Schande war, aber andererseits hatte er auch keine Lust, jede Nacht seine Ziegen gegen umherstreifende Tiger zu verteidigen. Bis zu Beginn seiner Krankheit vor etwa einer Woche hatte er fast dreißig Jahre lang Ziegen gehütet, daher kannte er die Berge so gut wie die meisten Leute ihre örtliche Parkanlage.

      Er wusste, welche Gebiete man wegen Landminen und Strychnin-Päckchen meiden musste, die die Amerikaner in den 70er Jahren abgeworfen hatten, er kannte die Gebiete, die geräumt waren, wobei die Pioniere wohl ein paar übersehen hatten, wie eine seiner Ziegen vor nur einem Monat erfahren musste. Es war eine Schande, obwohl ihr Kadaver nicht verweste und sie auch ein schnelles Ende gefunden hatte. Ein losgetretener Stein hatte eine Mine zur Explosion gebracht, sie himmelwärts geschossen und dabei den Kopf sauber abgetrennt.

      Der Weg war zu weit, den Kadaver nach Hause zu transportieren, also hatte Herr Lee einige Tage in den Bergen verbracht und sich vollgestopft, während sich seine Familie daheim auf dem Hof zu Tode ängstigte.

      Herr Lee war ein zufriedener Mann. Er genoss seine Arbeit und das Leben im Freien und hatte sich seit langem mit der Tatsache abgefunden, dass er nie reich sein oder nochmals ins Ausland kommen würde. Deswegen waren er und seine Frau jetzt froh, dass sie nur zwei Kinder hatten. Er liebte sie beide gleichermaßen und wollte nur das Beste für sie, aber er freute sich auch, dass sie nicht mehr zur Schule gingen und deshalb den ganzen Tag auf dem Hof arbeiten konnten, wo seine Frau Kräuter und Gemüse anbaute und drei Schweine und einige Dutzend Hühner hielt.

      Herr Lee überlegte, in welchem Maß er durch die zusätzliche Hilfe seinen Hof vergrößern könnte. Vielleicht ein weiteres Dutzend Hühner und ein paar Schweine mehr halten und ein Feld mit Zuckermais anlegen?

      Er erwachte aus seinen Fantasien. „Was, wenn es etwas Ernstes ist, Mud? Ich habe bis jetzt nichts gesagt, aber diese Woche bin ich zweimal in Ohnmacht gefallen und zwei oder drei Mal war ich nahe dran.“

      „Warum hast du mir das nicht schon vorher erzählt?“

      „Naja, ich wollte dir eben keine Angst machen und du hättest sowieso nichts machen können, oder?“

      „Nein, ich selber nicht, aber hätte dich schon früher zu deiner Tante geschickt und dich vielleicht überredet, dass du zu einem Arzt gehst.“

      „Ach, du kennst mich doch, Mud. Ich hätte gesagt ‚Warten wir mal ab, was Tante dazu sagt, bevor wir das ganze Geld ausgeben.‘ Trotzdem gebe ich zu, dass ich mich ab und zu ganz schön komisch fühle und ich habe schon ein bisschen Angst davor, was Tante morgen sagen wird.“

      „Ja, ich auch. Fühlst du dich wirklich so schlecht?“

      „Manchmal schon, aber ich habe einfach überhaupt keine Kraft mehr. Ich konnte doch immer zusammen mit den Ziegen rennen und herumspringen, aber jetzt werde ich schon müde, wenn ich ihnen nur zusehe!“

      „Irgendetwas stimmt nicht, da bin ich sicher.“

      „Schau, Paw.“ Sie verwendete für ihn den fantasielosen Kosenamen, der auf Thailändisch ‚Papa‘ bedeutete. „Die Kinder sind am Tor. Willst du sie jetzt in die Sache einweihen?“

      „Nein, du hast recht, warum sollen sie sich jetzt Sorgen machen, aber ich glaube, die Tante wird mich morgen am späten Nachmittag holen lassen. Erzähl ihnen, dass wir zum Abendessen eine Familienkonferenz abhalten und sie dabei sein sollen.

      Ich glaube, ich gehe jetzt ins Bett. Ich bin schon wieder müde. Mit Tantes Spucke bin ich eine Weile in Schwung gekommen, aber die Wirkung ist wieder vorbei. Sag ihnen, dass ich in Ordnung bin, aber bitte Den, dass er morgen die Ziegen für mich hinaustreibt, ja? Er muss sie nicht weit weg führen, nur den Fluss hinunter, damit sie ein bisschen Flussgras fressen und Wasser trinken können … ein oder zwei Tage macht ihnen das nichts aus.

      Wenn du zehn Minuten Zeit hast, koche mir doch bitte deinen Spezialtee. Den mit Ingwer, Anis und den anderen Zutaten … Das sollte mich etwas aufmöbeln … Oh, und ein paar Melonen- oder Sonnenblumenkerne … vielleicht kannst du Din sagen, dass sie sie für mich knackt?“

      „Was ist mit einem Becher Suppe? Es ist deine Lieblingssuppe …“

      „Ja, gut, aber wenn ich schlafe, stell sie einfach auf den Tisch und ich trinke sie später kalt.

      Hallo, Kinder, ich gehe heute früh ins Bett, aber macht euch keine Sorgen, ich bin schon in Ordnung. Eure Mutter erzählt euch dann die Einzelheiten. Ich glaube, ich habe nur irgendeinen Infekt. Gute Nacht zusammen.“

      „Gute Nacht, Papa“, erwiderten alle. Din sah besonders besorgt drein, als sie zuerst Herrn Lees Rückzug beobachteten und sich dann gegenseitig ansahen.

      Als Herr Lee in der stillen Dunkelheit lag, fühlte er, wie seine Körperseiten noch stärker pochten, wie ein fauliger Zahn, der nachts im Bett immer schlimmer weh tat. Er war aber so erschöpft, dass er nach kurzer Zeit schon fest schlief, noch bevor man ihm seinen Tee, die Suppe und die Samen brachte.

      Draußen in der Dämmerung diskutierten die übrigen Mitglieder der kleinen Familie auf dem großen Tisch Herrn Lees schlimme Lage in gedämpftem Ton, obwohl laute Gespräche auch niemand gehört hätte.

      „Wird Papa sterben, Mama?“, fragte Din, den Tränen nahe.

      „Nein, meine Liebe, natürlich nicht“, antwortete diese. „Wenigstens … glaube ich es nicht.“

      1 2 DIE ZWICKMÜHLE DER FAMILIE LEE

      Wie das auf dem Land so üblich war, schliefen alle zusammen im einzigen Raum des Hauses: Mama und Papa in einem Doppelbett, die Kinder jeweils in Einzelbetten, jedes Bett war mit einem Moskitonetz geschützt. Als dann alle bei Tagesanbruch aufwachten, schlichen sie auf Zehenspitzen herum, um Heng nicht zu wecken.

      Sie wussten, dass etwas nicht stimmte, weil er normalerweise als Erster aufstand und sich auf den Weg machte, sogar wenn der Morgen sehr kalt war. Sie lugten durch das Moskitonetz in sein leichenblasses Gesicht und sahen besorgt aus, bis sie die Mutter hinausscheuchte.

      „Din, tu uns einen Gefallen, Liebes. Mir gefällt nicht, wie dein Vater aussieht, dusch dich schnell, lauf zur Tante und finde heraus, ob sie uns schon etwas sagen kann, sei so gut. Wenn sie noch nicht fertig ist, weil es so früh ist, dann bitte sie, sich für ihren Lieblingsneffen besonders zu bemühen bevor es zu spät ist.“

      Din fing an zu weinen und rannte zur Dusche. „Tut mir leid, Liebes, ich wollte dich nicht erschrecken!“, rief Wan hinter ihrer Tochter her.

      Als Din eine Viertelstunde später bei ihrer Großtante eintraf, war die alte Schamanin bereits wach und angekleidet, saß auf dem großen Tisch vor dem Haus und aß Reissuppe.

      „Guten Morgen, Din, schön dich zu sehen, magst du eine Schale Suppe? Sie schmeckt sehr fein.“ Da war in ihre Großnichten vernarrt, besonders in Din, aber als sie hörte, was diese zu sagen hatte, konnte sie nicht anders: Sie musste einfach loswerden, dass ihre Mutter eine Menge verlangte, wenn sie in so einem Fall innerhalb von 24 Stunden eine ordentliche Diagnose erwartete.

      „Deine Mutter, also wirklich! Nun gut, sehen wir mal, was wir tun können … dein Paw sieht schlecht aus?“

      „Ja, Tante

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