Das Elend der Medien. Michael Meyen
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Das Elend der Medien - Michael Meyen страница 4
Dass die Krise der Demokratie auch eine Krise des Journalismus ist, hat Colin Crouch in seinem Konzept der »postdemokratischen Gesellschaft«17 schon vor gut zwei Jahrzehnten herausgestellt. Während »Heerscharen von Wirtschaftslobbyisten« unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf den Hinterbühnen der Politik operieren würden, diene der »medienindustrielle Komplex« allein der Aufmerksamkeitsproduktion.18 Dass in einer multioptionalen Welt, die Orientierung erwartet, aber nur komplexe Wahrheiten bietet,19 die Krise als ›Normalzustand‹20 sehr viel mit Medien zu tun haben muss, zeigt allein die Inflation von Begriffen wie ›Fake News‹, ›Mainstream‹, ›Framing‹, ›Lügenpresse‹, ›Verschwörungstheorie‹ oder ›Desinformation‹. Deshalb der zweite Teil unseres Titels.
Unabhängig vom Titel gibt es in der Kommunikationswissenschaft mit der Media Malaise seit Ende der 1940er-Jahre die These, dass Medien die Ursache für negative Einstellungen gegenüber der Politik und demokratischen Prozessen sind: Paul Lazarsfeld und Robert Merton warnten vor einer »narkotisierenden Dysfunktion der Medien«,21 und Michael Robinson führte in den 1970er-Jahren den wachsenden Zynismus gegenüber der Politik auf die Präsentationsformen des Fernsehens zurück und prägte das Schlagwort Videomalaise.22 Video- und Media-Malaise-Forscher untersuchen seither, ob Skandalisierung, Negativismus, Konflikthaftigkeit oder Personalisierung für die steigende Politikverdrossenheit verantwortlich sind.23
Auf großes Interesse stießen die Erkenntnisse aber weder in der Öffentlichkeit noch in den Redaktionen oder in der Politik.24 Das dürfte auch an der Zielvariable Politikverdrossenheit gelegen haben. Lange hat man zwar das Sinken der Wahlbeteiligung vor laufenden Kameras mit Krokodilstränen beklagt, solche Symptome aber als Wohlstandsapathie ad acta gelegt, solange sich nicht abzeichnete, dass sich dahinter eine fundamentale Systemkritik verbergen könnte und möglicherweise eine Medienwirkung.25
Ganz anders heute. Die PEGIDA-Demonstranten haben ihre Systemkritik ab 2014 über den Begriff ›Lügenpresse‹ transportiert. Und der Brexit sowie die Wahl Trumps zeigten wenig später, dass sich liberaldemokratische Verhältnisse tatsächlich ändern können, womöglich herbeigeführt durch einen Strukturwandel der Öffentlichkeit, der eng mit digitalen Plattformen wie Facebook oder Twitter zusammenhängt. Veränderungen der öffentlichen Kommunikation sind seither Chefsache in Politik, Journalismus und Wissenschaft – und damit auch die Frage, wer oder was das Elend in den Medien ist.
Wie aus Elend Zukunft wird
Das Elend sei »vielgesichtig«, schreibt Bourdieu, »unformuliert« und »unformulierbar«. Manchmal drücke es sich mangels legitimer Mittel nur in Hass oder Wahn aus.26 Dieses Buch zeigt viele Gesichter des Elends der Medien. Wir sammeln schlechte Nachrichten für den Journalismus – gefunden bei Bürgern, Medienprofis am Rande des journalistischen Feldes und bei denen, die in der Nähe des Machtpols arbeiten und dennoch nicht nur Gutes zu sagen haben. Indem wir Medienkritik aus unterschiedlichen Feldpositionen in ihrer habituellen Verknüpfung darstellen, betreiben wir Ursachenforschung. Wo liegen die Wurzeln der Medien- und Demokratie-Malaise?
Für dieses Buch treiben uns ein Reformgedanke und der Glaube an den »transformativen Einfluss« von Wissen an. Mit Anthony Giddens gehen wir davon aus, dass Akteure (Medienmacher, Medienpolitiker, Mediennutzer) Strukturen (also Regeln für soziale Praktiken sowie Ressourcen) im Handeln nicht nur reproduzieren, sondern auch modifizieren können.27 In der Strukturationstheorie ist die Veränderung gewissermaßen eingebaut – im Unterschied zur herkömmlichen Mediensystemforschung, die Strukturen wie die Mediengesetzgebung, Aufsichtsbehörden, die journalistische Berufsideologie oder soziale Tabus eher als restriktiv konzeptualisiert.28 Bei Giddens schränkt Struktur Handeln nicht nur ein, sondern ermöglicht es auch (Dualität von Struktur). Außerdem (das ist für den Wunsch nach Reformen wichtig, der dieses Buch trägt) existiert Struktur nicht »unabhängig von dem Wissen, das die Akteure von ihrem Alltagshandeln haben«: »Handelnde wissen immer, was sie tun« – auch wenn dieses Wissen möglicherweise auf der Ebene des praktischen Bewusstseins bleibt, Grenzen hat (»uneingestandene Bedingungen und unbeabsichtigte Folgen des Handelns«) und auf der diskursiven Ebene keineswegs immer adäquate Entsprechungen findet.29 Bourdieu formuliert das so: »Was die Gesellschaft hervorgebracht hat, kann die Sozialwelt mit einem solchen Wissen gerüstet auch wieder abschaffen.«30 In Kurzform: Wir müssen ein Bewusstsein für Missstände schaffen, um das Negative im Sinne des Friedensforschers Robert C. Jungk31 sowie des US-Soziologen Erik Olin Wrights in »reale Utopien«32 zu verwandeln.
Warum es nötig ist, Kritik an Medien zu sammeln, aufzuschreiben und in den Diskurs zu tragen, zeigt der folgende Blick auf die Kommunikationswissenschaft und auf das dominante politische Narrativ. Die substantielle Kritik am Bestehenden ist leise – viel leiser jedenfalls als ein Deutungsmuster, indem allzu oft a priori programmiert ist, wer die Guten und wer die Bösen im »Medienkrieg«33 sind.34
Orthodoxer Desinformations-Frame: der Feind im Internet
Wie die Geschichte über das Elend der Medien gewöhnlich beginnt, lehrt exemplarisch eine Regierungserklärung von Angela Merkel vom 29. Oktober 2020: Öffentliche Kritik an den Corona-Maßnahmen sei unverzichtbar, so Merkel, »aber Lüge und Desinformation, Verschwörung und Hass beschädigen nicht nur die demokratische Debatte, sondern auch den Kampf gegen das Virus.« Die Bundeskanzlerin definiert damit das Problem im öffentlichen Kommunikationsraum – so, wie es unabhängig von Corona dem herrschenden Narrativ der vergangenen Jahre entspricht. »Wir müssen lernen, mit Fake News als Teil der hybriden Kriegsführung umzugehen«, sagte Merkel 2019 bei der Einweihung der BND-Zentrale in Berlin.35 Den »Kampf gegen Desinformation« führt Deutschland auf EU-Ebene gemeinsam mit Frankreich. Die Regierung von Emmanuel Macron, einst liberaler Wirtschaftsminister der sozialistischen Partei, warf Russland 2019 vor, durch Falschmeldungen über die sozialen Netzwerke die Proteste der Gelbwesten anzuheizen.36 »Putins Medien«, wie Macron Sputniknews und Russia Today nennt, hätten bereits 2017 im Präsidentschaftswahlkampf sein Privatleben thematisiert. Nach dem Wahlsieg Macrons folgte Frankreich dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz und erließ ein ›Fake-News-Gesetz‹, das nach Einschätzung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung »nicht grundlos« als »Anschlag auf die Pressefreiheit« bezeichnet werden könne.37