Salzburgsünde. Manfred Baumann
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»Wo bist du her?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wer sandte dich dieses Weges?«
»Das weiß ich nicht.«
Auch bei diesem schlichten Dialog war Merana von der in jeder Szene deutlich spürbaren Einfühlsamkeit des Basssängers begeistert gewesen. Julian Bremach machte das großartig. Hanno Flesch als Parsifal wirkte dagegen ein wenig steif. Stimmlich gut, aber etwas hölzern in der Bewegung. Das hatte sich im zweiten Akt besser angelassen. In Klingsors Zaubergarten schlug sich Flesch als zwar immer noch naiver, aber allmählich doch heranreifender und immer mehr an Einsicht gewinnender Jungritter ganz gut. Und eines hatte Merana deutlich mitbekommen. In der Szene mit der rätselhaften Kundry, die Parsifal verführen sollte, ließ der Tenor sich voll auf den Spielduktus seiner Bühnenpartnerin ein. Mati Tamm übernahm, gab Tempo und Intensität vor, und Flesch folgte passabel.
Auf der Bühne war ein Stöhnen zu hören. Es kam aus Richtung des angedeuteten dunklen Strauches auf der linken Seite. Gurnemanz, der in der Bühnenmitte stand, nahe am Orchestergraben, reagierte.
»Mich dünkt, ich kenne diesen Klageruf.«
Er eilte hinüber, entdeckte unter dem Strauch eine auf dem Boden liegende Gestalt.
»Ha! Sie! – wieder da?
Das winterlich raue Gedörn hielt sie verdeckt
Nochmals ein kurzes Stöhnen.
Auf! Kundry! Auf!
Der Winter floh, und Lenz ist da!
Erwache!«
Es würde eine Weile dauern, bis Kundry sich tatsächlich erhob. Das war Merana bekannt. Leider würde er die eindrucksvolle Gesangsstimme der großartigen Mezzosopranistin bis zum Schluss nicht mehr hören. Denn Kundry hatte im dritten Aufzug nicht mehr allzu viel zu tun. Sie hatte noch ein wenig Parsifal zu betreuen, ihn mit Quellwasser zu besprengen, ihm beim Ablegen der Rüstung behilflich zu sein. So stand es zumindest in den Regieanweisungen des Librettos. Merana war gespannt, ob man das alles in dieser Inszenierung so überhaupt zu sehen bekam.
Parsifal würde bald im dritten Aufzug erscheinen. Und wie immer der Regisseur die Szene angelegt hatte, Parsifal würde vielleicht gar keine Rüstung tragen, aber wohl den Speer mit sich führen. Den hatte er im zweiten Akt aus Klingsors Zaubergarten zurückgewonnen. Damit würde er die Wunde des Amfortas schließen und gleichzeitig die gesamte Gralsgesellschaft erlösen. Ja, dachte Merana, in dieser Geschichte ging es viel um Schuld und Sühne. Auch um Sünde.
»Von sündigen Welten mit tausend Schmerzen«, singen die Jünglinge bereits im ersten Akt. »Ich, einz’ger Sünder unter allen«, bedauert König Amfortas. Auch Parsifal selbst, der anfängliche reine Tor, der viele Fehler macht, klagt über Sünde und Schuld.
Auch bei diesem Spektakel erging es ihm so wie oft, wenn er ein Spiel auf der Bühne beobachtete, wenn er den Geschehnissen eines Stückes, manchmal auch eines Filmes, folgte. Er saß hier nicht nur als kunstinteressierter Zuschauer, sondern auch als Polizist. Das konnte er nicht abstreifen. Er verfolgte die Handlung. So wie jeder andere auch. Aber ihn interessierten besondere Details, die sich oft gar nicht offenkundig präsentierten. Versteckte Motive, mögliche Gelegenheiten zur Tat, Dialoge, die an Vernehmungen erinnerten, Handlungsstränge, die so konzipiert waren, dass sie von der eigentlichen Wahrheit im Hintergrund ablenkten. Er schrieb oft im Kopf sein völlig eigenes Libretto. Oder, besser ausgedrückt, viele Fußnoten, Anmerkungen, Ermittlerfragen zum Libretto. Er konnte einfach nicht anders. Er war und blieb Kriminalpolizist. Und zwar ein guter.
Ja, dieser junge Mann, der jetzt mit dem Speer auftauchte, hatte einen Fehler gemacht. So erzählte es die Geschichte. Einen entscheidenden Fehler. Er hatte im ersten Akt die falsche Entscheidung getroffen. Er hatte gezögert. Er hatte nicht die richtige Frage gestellt. Er hatte überhaupt keine Frage gestellt. Hätte er sich anders verhalten, hätte er dem siechen Amfortas helfen können. Aber war er deshalb schuldig zu sprechen? Merana versuchte immer, aus solchen literarischen Stücken viel mitzunehmen. Auch für seine Arbeit. Die Parsifal-Handlung bestärkte einen in der Auffassung, dass man niemals zögern durfte, die richtigen Fragen zu stellen. Schon gar nicht als Polizist. Und zwar rechtzeitig, bevor es zu spät ist.
Es zu versäumen, konnte schwerwiegende Auswirkungen haben. Das zeigte sich auch bei diesem Bühnenspiel. Gurnemanz war von Parsifals Verhalten enttäuscht. Er verjagte ihn. Für Gurnemanz war Parsifal schuldig. Eindeutig. Merana war immer froh, dass er nicht über Schuld zu entscheiden hatte. Er war Ermittler. Er war kein Richter. Er hatte kein Urteil zu fällen. Wollte er auch nicht. Weder hier bei diesem fiktiven Spiel noch draußen in der Wirklichkeit.
5
Nach der Aufführung war er im Da Sandro eingekehrt. Er hatte sich zuvor einen Tisch reserviert. Das Nudelgericht, das ihm der Küchenchef und zugleich Lokalbesitzer kredenzte, war wie immer hervorragend.
»Ottimo, amico mio. Wunderbar. Bestens.«
Der kleine Sizilianer grinste übers ganze Gesicht.
»É così che deve essere, amico commissario. Wenn so ist, dann gut. Du musst … äh stentare, tormentare … wie man sagt in Deutsch?«
»Quälen?«
»Giusto. Du musst quälen dich, molte ore, für Stunden so viele, bei musica von diese sehr eigenwillige compositore tedesco, diese Maestro Wagner. Dann du verdienst zu bekommen immerhin jetzt eine gute Eindruck von bella cultura italiana.«
Er deutete mit der Hand auf den Teller.
»Pasta alla Norma. Das ist wie musica. Ganz anderes als bei Ricardo Wagner.«
Merana war klar, worauf Sandro hier anspielte. Das Nudelgericht galt als Hit der sizilianischen Küche, fein abgeschmeckt mit Ricotta salata, einen für Sizilien typischen Schafsfrischkäse. Und es ist benannt nach einer Oper, nach Norma, von Vincenzo Bellini, der aus Sizilien stammte.
»Grazie, maestro della cucina. Ja, die musica des compositore tedesco Ricardo Wagner hat wirklich lange gedauert, da gebe ich dir recht. Aber ich habe sie dennoch sehr genossen.« Er wies zum Teller. »Noch eine Frage: Von wo hast du denn dieses Mal diese köstliche Melanzane hergezaubert?«
»Quello, signor commissario ammirato, rimane un segreto, diese bleibt mein Geheimnis. Rifornitore giusto. Man muss kennen die richtige Lieferant.« Das Lachen des Sizilianers erfüllte den Raum, erwärmte Merana. Zusammen mit dem hervorragenden Nero d’Avola, der ihm zum Essen angeboten wurde.
Merana war am frühen Vormittag im Pinzgau aufgebrochen. Er hatte seinen Wagen auf dem Parkplatz der Polizeidirektion abgestellt und war dann zu Fuß in die Innenstadt geschlendert. Nachdem er im Da Sandro einen Espresso genossen hatte, machte er sich auf den Rückweg. Es war angenehm warm. In der Altstadt herrschte belebende Regsamkeit. Das gefiel Merana. In den Gassen, auf den Plätzen. Touristengruppen, Tagesausflügler, Gäste der Osterfestspiele, und dazwischen immer wieder viele Einheimische. Die im Freien stehenden Kaffeehaustische waren bestens gefüllt. Viele genossen die Ostermontag-Festtagsatmosphäre inmitten der barocken Pracht der Salzburger Altstadt. Auf dem Mozartplatz trat ihm eine junge