Methoden in der Politikwissenschaft. Rolf Frankenberger
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1. Stimmt die Explanandum-Aussage mit den Tatsachen überein?
2. Können die »Wenn-Dann«-Aussagen innerhalb ihrer Randbedingungen als empirisch wahr gelten?
3. Waren die Randbedingungen auch tatsächlich gegeben?
4. Lagen die Anfangsbedingungen auch wirklich vor?
5. Sind die einzelnen Aussagen und die Gesamtstruktur logisch konsistent?
Ein Beispiel für eine solche deduktiv-nomologische Erklärung ist die folgende, die sich auf das Entstehen neuer Parteien bezieht:
Explanans bzw. Gesetz: Wenn im Parlament vertretene Parteien die in der Bevölkerung vorhandenen Interessen nicht ausreichend repräsentieren, dann können neue Parteien entstehen.
Explanandum: Es gibt eine neue Partei.
Randbedingung: Die Interessen der Bevölkerung werden durch die im Parlament vertretenen Parteien nicht repräsentiert.
Am konkreten Beispiel – etwa der Entstehung der Partei »Die Grünen« – müsste aufgezeigt werden, dass die Randbedingung beim Entstehen vorlag. Zunächst müsste analysiert werden, welche Interessen und Themen die neue Partei vertrat. Das waren bei den Grünen vor allem Frieden und Umwelt. Dann müsste gezeigt werden, dass die Randbedingung vorliegt, dass erstens Umwelt und Frieden wichtige Themen für die Bevölkerung sind (z. B. durch Umfragen) und dass zweitens diese nicht ausreichend von den im Parlament vertretenen Parteien repräsentiert wurden (z. B. durch Analysen ihrer Parteiprogramme).
Schwierig ist bei solchen Formen der Erklärung oft, die Prämissen (also das was, als gegeben angenommen wird) oder Allaussagen zu begründen. Denn dies kann nicht durch Deduktion oder empirische Prüfung geschehen. Der Versuch würde entweder zu der Notwendigkeit immer neuer Prämissen, zu logischen Zirkelschlüssen oder zu Dogmen führen. Daher ist es sinnvoll, Theorien aus der Empirie heraus zu entwickeln und so die Problematik der Begründbarkeit von Prämissen zu umgehen.
Eine besondere Schwierigkeit in den Sozialwissenschaften besteht darin, dass es kaum unumstößliche Gesetze gibt und so die ideale Form der deduktiv-nomologischen Erklärung nicht möglich ist. Theorien sollten also als mögliche Erklärungen, die geprüft werden müssen, angesehen werden. Deshalb kommen in der empirischen Politikforschung häufig Erklärungen vor, die induktiv-statistisch oder probabilistisch sind. Im Unterschied zu deduktiv-nomologischen Erklärungen werden Gesetze durch Wahrscheinlichkeitsaussagen ersetzt:
Probabilistisches Explanans: Für 95 % der Fälle gilt: Wenn Staaten mehr als 20.000 € durchschnittliches Bruttoinlandsprodukt pro Kopf aufweisen, dann sind sie demokratisch.
Explanandum: Staat x ist demokratisch.
Randbedingung: Staat x hat mehr als 20.000 € durchschnittliches Bruttoinlandsprodukt pro Kopf.
Daraus ergeben sich zwei wichtige Unterschiede. Erstens ist eine logische Deduktion von Explanans auf Explanandum ausgeschlossen. Ein Land mit entsprechendem BIP ist nicht automatisch, sondern nur sehr wahrscheinlich demokratisch. Zweitens ist es möglich, dass mehrere probabilistische Aussagen zur Erklärung eines Phänomens dienen und daraus logische Widersprüche resultieren.
Eine weitere wichtige Unterscheidung von Erklärungen ist die zwischen Kausal-, Funktional- und Intentionalerklärungen (Føllesdal u. a. 1988).
Kausalerklärungen nehmen die Grundform von deduktiv-nomologischen Erklärungen an. Sie bestehen aus den Elementen Gesetz, Randbedingung und Phänomen. Sie umfassen auch induktiv-statistische Erklärungen, da bei beiden ein kausaler Zusammenhang angenommen wird. Das Kausalitätsprinzip besagt: »Für jedes Ereignis muss es eine Ursache oder auch eine komplexe Menge von Ursachen geben« (Kromrey 2009, 17). Ursache und Wirkung sollten dabei in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen, wobei Ursache vor Wirkung kommt. Eine Ursache-Wirkung-Relation kann durch die Prinzipien Determinismus (alles hat eine Ursache) und lokale Kausalität aufgezeigt werden. Letzteres bedeutet, dass es keine Abstandswirkung geben kann, daher sollten räumliche und zeitliche Distanz zwischen Ursache und Wirkung gering sein. Alternativ müssen Kausalketten bestehen, die beide miteinander verbinden.
Funktionalerklärungen versuchen, ein Phänomen mittels seiner Wirkung zu erklären. Die häufigste Variante ist die der günstigsten Wirkung. Phänomene existieren, weil sie eine positive Wirkung auf das Gemeinwesen haben. Solche Argumentationsmuster finden sich in struktur-funktionalistischen Ansätzen der Politikwissenschaft, etwa den systemtheoretischen Ansätzen nach David Easton. Hier wird ausgehend von der grundlegenden Annahme, dass Systeme zum Selbsterhalt streben, gefragt, wie dies generell möglich ist. Die Antwort aus dieser Perspektive: durch funktionale Differenzierung. Es gibt also bestimmte Funktionen, die erfüllt werden müssen, wie etwa das Durchsetzen der allgemeinverbindlichen Regeln. Die Existenz von Justiz und Polizei lässt sich dann darüber erklären, dass sie diese Funktion für eine Gesellschaft in einer guten Art und Weise erfüllen, sodass Konflikte durch sie verregelt werden. Dies kann belegt werden durch die Angabe der Verbindung zwischen günstiger Wirkung und dem Phänomen, das diese hervorbringt. Oder durch die Angabe von Personen, die das Phänomen bewusst auswählen. Im ersten Fall werden sie also in Kausalerklärungen überführt und im zweiten Fall in Intentionalerklärungen.
Intentionalerklärungen erklären ein Phänomen mit seiner beabsichtigten Wirkung. Sie nehmen folgende Struktur an: Eine Person legt ein bestimmtes Verhalten (beobachtbare Körperbewegung) an den Tag. Der Person werden Wünsche und Annahmen zugeschrieben und Verhalten, Wünsche und Annahmen zueinander in Bezug gesetzt, sodass aus dem Verhalten eine bewusste, durch die Wünsche geleitete und auf ein Ziel ausgerichtete Handlung wird. Es muss dabei aufgezeigt werden, dass die Person davon ausgeht, dass ihr Verhalten ein Mittel zur Verwirklichung des Wunsches ist, dass ihr Verhalten durch Wunsch und Annahmen verursacht wird. Wird also beispielsweise der Einsatz von Gewalt gegen Demonstrant:innen untersucht, so müsste aufgezeigt werden, dass die:der Regierungschef:in bewusst abgewogen und willentlich entschieden hat, dass die Sicherheitskräfte Gewalt einsetzen sollen und einen entsprechenden Befehl erteilt hat. Das Verhalten kann beobachtet werden, die Wünsche und Annahmen wären durch eine Befragung oder die Studie von Protokollen herauszufinden.
2.3 Methoden als Werkzeugkasten der Forschung
So wie Handwerk:innen zum Ausüben ihres Berufs besondere Werkzeuge benötigen, brauchen auch Wissenschaftler:innen zur Beantwortung von Forschungsfragen Werkzeuge. Diese Werkzeuge werden oft unter dem Begriff Methoden zusammengefasst. Eine Methode ist nach Alemann und Forndran (1995, 33) »das, was Wissenschaftlichkeit des Forschens und Argumentierens auszeichnet. Alles andere, was nicht präzise und kontrolliert und von anderen nachvollziehbar vorgeht – und das heißt Wissenschaftlichkeit –, bleibt Spekulation oder common sense«. Wir benötigen solche Methoden, weil wir viele Phänomene, die wir untersuchen wollen, gar nicht direkt mit unseren Sinnesorganen erfassen können. Wir haben zum Beispiel kein Sinnesorgan zum Erfassen von Dingen wie Demokratiequalität oder Bruttosozialprodukt. Wir können diese weder sehen noch hören, riechen, schmecken oder fühlen. Und auch Motivationen und Handlungen können wir nicht immer unmittelbar erfassen. Das gilt auch für historische Prozesse oder gesellschaftliche Verhältnisse. Wenn wir etwa die soziale Ungleichheit einer Gesellschaft erfassen wollen, müssen wir uns verschiedener Hilfsmittel bedienen. Wenn soziale Ungleichheit als ungleiche Teilhabe an Herstellung, Verteilung und Konsum materieller und immaterieller Güter verstanden wird, dann muss diese Teilhabe gemessen werden. Dies kann zum Beispiel über Fragen nach Bildung, Berufstätigkeit, Einkommen und frei verfügbarem Einkommen geschehen. Man benötigt also einen Fragebogen als Werkzeug bzw. die