Bin kaum da, muss schon fort. Sabine Herold

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Bin kaum da, muss schon fort - Sabine Herold

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Verlust der Zwillinge konnte ich am Anfang nicht mehr beten. Ich hatte innerlich immer das Gefühl: Gott hat mir die beiden auch genommen, weil ich ihn ja darum gebeten hatte, dass er mir das Kind davor nimmt. Ich zweifelte daran, dass Gott gerecht ist und dass er richtig macht, was er macht.

      Inzwischen habe ich die Fehlgeburten verarbeitet, aber ich denke noch immer an die Kinder, auch an den Moment, als sie starben. Es ist so ein furchtbares Gefühl, wenn ich mich daran erinnere, wie mein Kind ins WC fiel und wie ich das kleine Wesen von ein paar Zentimetern sah und wusste, dass ich nicht helfen konnte. Ich stand ohnmächtig daneben.

      Inzwischen ist Zeit verstrichen, und wenn ich das Erlebte heute betrachte, kann ich sagen: In unserer jetzigen Situation würde ich es mit drei Kindern mehr oder mit Zwillingen menschlich gesehen nicht schaffen. Die Aufgabe wäre zu groß.

      Es stimmt schon, dass die Zeit Wunden heilt und dass ich mittlerweile auch besser darüber reden kann.

      Ich bin allerdings inzwischen sehr vorsichtig geworden, wem ich von meinen Fehlgeburten erzähle. Ich frage zuerst, wie es der anderen geht, wie sie es erlebt hat und ob sie darüber reden will, statt dass ich alles von mir erzähle und dann kommt nichts zurück. Ich merke, dass das Thema bei vielen ein Tabu ist, da man sehr verletzlich ist oder auch schnell verletzen kann.

       Anonym

      Im Oktober 2003 entschlossen wir uns, uns noch einmal auf das Abenteuer Schwangerschaft, Geburt und ein drittes Kind einzulassen. Bis dahin hatten wir bereits zwei gesunde, muntere und liebe Buben. Wir hatten uns nie Gedanken darüber gemacht, wie viele Kinder wir einmal wollten, hatten uns aber stets mehrere Kinder vorgestellt. Der Zeitpunkt im Oktober 2003 schien uns günstig. Die Jungs waren jetzt zwei und fünf, und einen zu großen Abstand zwischen dem zweiten und dritten Kind wollten wir nicht unbedingt. Nun waren wir sehr gespannt, das heißt vor allem ich. Die Erinnerung an die zweite Schwangerschaft war mir nämlich noch ziemlich präsent. Damals war ich ein ganzes Jahr lang nicht schwanger geworden. Deshalb schwang bei unserem Entschluss, noch einmal ein Kind zu bekommen, auch ein bisschen Angst mit. Vielleicht musste ich mich ja noch einmal auf eine längere Wartezeit gefasst machen. Vielleicht würden wir auch gar kein Kind mehr bekommen. Wer wusste das schon. Ich war also so ziemlich auf alles gefasst. Nur nicht auf Folgendes:

      Ich wurde nämlich prompt schwanger! Kein Warten, Bangen und Hoffen! So schnell war ich noch nie schwanger geworden! Für mich war das eine absolute Überraschung, eine überaus positive Erfahrung, und ich war total glücklich und selig! Wie dankbar war ich auch Gott gegenüber! Er meinte es so gut mit mir! Er beschenkte mich und unsere Familie auf ganz wunderbare Weise. Von da an war jeder Tag viel leichter und beschwingter. Ich erlebte Gott sehr intensiv und fühlte mich ihm so nahe wie schon lange nicht mehr. Jeden Tag musste ich an unser Kind unter meinem Herzen denken, schmiedete Pläne und stellte mir vor, wie es dann im nächsten Sommer sein würde. Ich überlegte mir, wie und wann wir unsere Buben über den Familienzuwachs informieren wollten, dachte mir schon Namen und Paten aus. Es ging sehr viel in meinem Kopf und Herzen vor.

      Umso schmerzlicher war dann der Tag, an dem ich dieses Kind wieder hergeben musste. Ich kann mich sehr gut an diesen Tag erinnern. So etwas brennt sich ein in Herz und Seele. Am Tag vor dem ersten Advent hatte ich mehr Ausfluss als gewöhnlich. Das beunruhigte mich schon ein bisschen. Am Abend entdeckte ich dann plötzlich Blut. Für mich brach eine Welt zusammen. Ich wusste sofort, was dies zu bedeuten hatte. Typischerweise war auch noch Wochenende. Meinen Arzt konnte ich unmöglich erreichen. So rief ich meine Schwägerin an, die Gynäkologin ist. Sie erklärte mir ziemlich kühl und sachlich, dass ich dieses Kind mit größter Wahrscheinlichkeit verlieren würde. Ich machte mir selbst auch nichts vor. Ich spürte innerlich, dass es so kommen würde. Trotzdem hätte ich mir von meiner Schwägerin ein bisschen Hoffnung gewünscht – irgendeinen Strohhalm, an den ich mich hätte klammern können. Noch war ja nichts Schlimmes passiert. Bloß ein bisschen Blut, wenn ich aufs WC musste.

      Die nächsten 24 Stunden verbrachte ich ausschließlich zu Hause im Bett. Am Sonntagmorgen rief ich dann in meiner Verzweiflung eine Hebamme an. Diese Frau war sehr mitfühlend und warmherzig. Ihre Anweisung war Bettruhe. Es könne in einer Schwangerschaft mal bluten, das habe noch nichts zu bedeuten. Im Verlauf des Sonntags nahm aber dann die Blutung zu, und wenn ich aufs WC musste, entdeckte ich auch kleine Blutklümpchen im Urin. Ich wusste Bescheid.

      Am Abend des ersten Advents ging dann ein etwa mandarinengroßer Klumpen weg – weg in die Kanalisation. Jetzt war es doch passiert. Ich hatte dieses bereits geliebte Kind in der neunten Schwangerschaftswoche verloren. Ich war todunglücklich und untröstlich.

      Die Tage darauf waren sehr schlimm. Ich lag meistens im Bett. Meine Buben wurden von meiner Mutter umsorgt. Sie konnten mich in diesen Tagen wohl nicht verstehen und wussten nicht, weshalb ihre Mami im Bett lag und so viel weinte. Ich nahm mich ihnen gegenüber so gut wie möglich zusammen. Wir klärten sie nicht über die wahren Gründe auf. Das kam erst viel später. Im Nachhinein würde ich unseren älteren Sohn sofort informieren. Es wäre für ihn wahrscheinlich einfacher gewesen, und er hätte meinen Seelenschmerz schon verstanden. Nachher ist man sowieso meistens klüger.

      Die ersten Tage nach der Fehlgeburt war ich sehr müde und fühlte mich leer. Ich wurde immer wieder von Weinkrämpfen geschüttelt und schrie den Schmerz ins Kissen. Wo war da Gott? Weshalb hatte er mir dies angetan? Ich verstand ihn nicht. Ich fühlte mich von ihm betrogen: So, als hätte er mir den Speck durch den Mund gezogen. Ich nahm es Gott ziemlich übel und machte ihn lange für mein Unglück verantwortlich.

      Am nächsten Tag stellte der Arzt bei einer Ultraschalluntersuchung fest, dass das Kind wirklich weg war. Das tat sehr weh. Wieder ein paar Tage später musste ich dann ins Krankenhaus zur »Auskratzung«. Das war am 6. Dezember 2003. Auch dort konnte ich meinen seelischen Schmerz nicht unterdrücken. Ich weiß noch gut, wie mir die Tränen ununterbrochen über die Wangen liefen und ich unterwegs in den Operationssaal von zwei Krankenschwestern betreut wurde, die mir sachte übers Haar strichen und mit mir über den Verlust dieses Kindes sprachen.

      Ganz lieb war an diesem Tag meine Schwiegermutter. Sie saß beim Aufwachen aus der Narkose schon an meinem Krankenbett und weinte mit mir. Sie hatte selbst ein paar Kinder verloren und konnte richtig mit mir mitfühlen. Sie konnte mir mit ihrer Gegenwart etwas geben, was nicht einmal meine Mutter gekonnt hätte. Heute kann ich sagen, dass diese Fehlgeburt meine Schwiegermutter und mich näher zueinander gebracht hat – und das ist sehr wertvoll! Meine Freundin war auch gleich zur Stelle. Sie war eine der wenigen, die von meiner Schwangerschaft überhaupt wussten. Sie hatte sich zusammen mit ihrem Mann so fest auf das Kind gefreut. Nun brachte sie mir ein ganz schönes und besonderes Geschenk mit ins Krankenhaus. Es war eine Tonfigur zum Aufstellen: ein Engel (ein Kind) mit einem kleinen Engel (einem Baby) im Arm. Heute steht diese Figur in unserem Schlafzimmer und erinnert mich immer wieder an unseren kleinen Engel im Himmel. Am meisten Trost, Kraft und neuen Lebensmut haben mir in dieser Zeit aber meine beiden Buben gegeben. An ihnen konnte ich mich freuen! Ich hatte ja bereits zwei gesunde Kinder, die mich brauchten und für die ich da sein wollte. Sie waren im ganzen Leid mein allergrößter Trost.

      Auch mein Mann versuchte, mich in diesen schweren Stunden zu verstehen und zu trösten. Er fühlte sich aber selbst so hilflos und war in gewisser Weise überfordert. Überfordert mit mir und der ganzen Situation. So widmete er sich bald wieder seiner Arbeit und schaute positiv nach vorne. So schnell konnte ich das nicht. Ich musste zuerst noch mit dem Erlebten fertig werden. In diesem Punkt war ich allein, da musste ich selbst durch.

      Doch es war erstaunlich, wie offen und mitfühlend sich die meisten Leute um mich herum verhielten. Viele Frauen berichteten mir von gleichen oder ähnlichen Erlebnissen. Ich war also nicht allein. Ich war überrascht, wie viele Frauen eine oder mehrere Fehlgeburten erlebt hatten. So etwas kann auch verbinden. Das berührte mich sehr und half mir über den Verlust

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