Bin kaum da, muss schon fort. Sabine Herold

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Bin kaum da, muss schon fort - Sabine Herold

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sie nicht mehr weitergeführt. Diese Arbeit war auch Balsam für meine Seele. Auf den Fotos konnte ich so viel Schönes noch einmal durchleben. Wie reich beschenkt war ich doch mit meiner Familie!

      Trotzdem war es eine sehr traurige Weihnachtszeit. Stets wurde ich wieder an das Erlebte erinnert, und oft fühlte ich mich allein. Klar trauerte auch mein Mann. Für ihn war es aber trotzdem nicht das Gleiche. Er war diesem Kind noch nicht sehr nahe gewesen, hatte es weder gesehen noch gespürt. Er hatte sich auch kaum Gedanken über die Zukunft gemacht. Da sind wir Frauen einfach viel näher am Kind. Für ihn war jedoch nach der Fehlgeburt sofort klar, dass er weiterhin ein drittes Kind wollte – unbedingt, oder jetzt erst recht. Er war auch sehr zuversichtlich und optimistisch. Das half mir manchmal; manchmal machte es mir Angst. Was, wenn es nicht mehr klappen sollte?

      Trotz meiner Fehlgeburt wollte ich sofort wieder schwanger werden. Es gab da für mich kein Warten. Ich stürzte mich in meine Arbeit als Lehrerin, Mutter und Hausfrau. Zwischendurch ließ ich meinen Gefühlen freien Lauf, weinte und trauerte still für mich. Die Umwelt vergaß die Fehlgeburt schnell. Das tat manchmal weh! Ein Gedanke tröstete mich aber stets: Ich wusste, dass unser verlorenes Kind jetzt bei Gott war. Dort ging es ihm gut – es war glücklich und dem himmlischen Vater nahe. Es würde im Himmel auf mich warten, und eines Tages würde ich es sehen und in meine Arme nehmen können. Dieser schöne Gedanke gab mir auch eine andere Sicht auf den Tod. Bisher hatte ich mit etwas Angst an den Tod gedacht. Nun aber bekam er einen anderen Geschmack. Mein Kind wartet im Himmel auf mich. Darauf freue ich mich heute.

      Im Februar wurde ich noch einmal heftig mit meiner Fehlgeburt konfrontiert. Bei drei Frauen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis wurde nämlich langsam ein Bäuchlein sichtbar. Irgendwie war es schon gemein. Diese Frauen hatten das, was ich mir auch so fest gewünscht hatte. So gerne hätte ich jetzt auch mein wachsendes Bäuchlein gezeigt. Eine dieser Frauen hatte den gleichen Geburtstermin, den ich mit meinem Baby gehabt hätte – den 8. Juli 2004. So sehr ich mich für diese Frauen freute, so groß war auch mein Schmerz. Doch dieser Schmerz ging wieder vorbei – es war nur eine kurze Attacke.

      Dann im März, nach nur drei Monaten, war auch ich wieder schwanger. Der errechnete Geburtstermin war der 19. November. Also würde ich noch in diesem Jahr ein Kindlein in den Armen halten können, und dies, noch bevor die Fehlgeburt sich jähren sollte. Im ersten Moment war ich außer mir vor Freude, doch sehr bald stellte sich Angst ein. Heute denke ich, dass ich die Fehlgeburt noch zu wenig verarbeitet hatte. Die Wunde war noch zu wenig verheilt.

      Viele Gedanken kreisten in den ersten Tagen und Wochen in meinem Kopf. Was, wenn sich meine Erfahrung einer Fehlgeburt wiederholen würde? Wieso sollte ich gerade dieses Kind behalten können? Es gibt schließlich Frauen, die haben mehrere Fehlgeburten nacheinander. Zu meinem eigenen Schutz wollte ich mich noch nicht zu früh freuen. Bald ging ich zum Frauenarzt. Dieser nahm mich ernst und untersuchte mich in den darauf folgenden Wochen häufiger, als es üblich ist. Er wollte mir dadurch Sicherheit vermitteln und mir die Ängste nehmen. Er meinte auch, dass meine Ängste berechtigt wären. Eine Fehlgeburt hinterlasse immer Spuren. Ich solle aber zuversichtlich sein, denn es bestehe kein Grund zur Besorgnis. Ich war ihm dankbar für sein Verständnis. Es verlief dann auch alles sehr gut, und das Baby entwickelte sich prima.

      Etwa in der zwölften Schwangerschaftswoche versicherte mir der Arzt, dass ich dieses Kind behalten würde und mir wirklich keine Sorgen zu machen bräuchte. Bei mir wollte sich aber trotzdem noch keine Freude breit machen. Ich kannte Frauen, die hatten ihr Kind auch später noch verloren. So sagte ich mir, dass ich es erst in der 15., 16. Woche glauben würde. Und so schob ich diesen Termin hinaus und weiter hinaus. In der 17. Schwangerschaftswoche spürte ich dann die ersten Kindsbewegungen. Das war genau am 5. Juni. Wir waren unterwegs zu einer Hochzeitsfeier. Es waren ganz feine Bewegungen, fast wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Jetzt wollte ich glauben, dass es gut gehen würde mit dieser Schwangerschaft.

      Ich wurde jedoch weiterhin von Ängsten und Sorgen geplagt. Irgendetwas würde noch passieren, so sagte ich mir. Zudem hatte ich ständig das Gefühl, es würde bluten. Wie oft habe ich ein WC aufgesucht und nachgesehen, ob ich Blut entdecken würde. Zu Hause, bei Freunden, in der Stadt oder wo auch immer. Täglich!

      Inzwischen war ich in der 22. Schwangerschaftswoche, und zusammen mit meinem Mann und den Buben waren wir beim Arzt. Bei der Ultraschalluntersuchung sahen wir das kleine Menschlein. Alles war in bester Ordnung. Doch vor dieser – und auch jeder anderen Untersuchung – hatte ich große Angst. Bereits auf dem Weg zum Arzt hatte ich weinen müssen und war ganz verkrampft und angespannt gewesen. Nach der Untersuchung – dem Baby ging es gut – war die Erleichterung so groß, dass ich wieder nur weinen konnte. Ich war nervlich sehr, sehr angespannt.

      Im September überrollte mich dann das Ganze wie eine riesige Welle. Ich konnte meine Gedanken und Gefühle nicht mehr steuern und hatte mich selbst nicht mehr im Griff. Am Morgen konnte ich kaum mehr aufstehen und den Alltag bewältigen. Ich war müde und völlig erschöpft. So suchte ich am 14. September notgedrungen den Arzt auf, denn ich spürte, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Der Arzt begriff sofort, in welchem Zustand ich mich befand. Er kannte mich schließlich schon ziemlich gut. Er ließ mich sofort krankschreiben. Ich befände mich in einer Depression und sollte meine Ängste noch vor der Geburt in den Griff bekommen. Ansonsten wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass es nach der Geburt noch schlimmer würde und ich postnatale Depressionen bekäme. Ich war völlig niedergeschlagen. Bereits bei Levi, unserem zweiten Kind, hatte ich eine Schwangerschaftsdepression gehabt, und nun schon wieder? Das hatte ich nicht gewollt. Ich hatte mich bisher heftig dagegen gewehrt, sonst hätte ich die ersten Anzeichen viel früher ernst genommen (denn Anzeichen einer Depression waren schon lange vorhanden). Bei dieser außerordentlichen Untersuchung machte der Arzt zu meiner Beruhigung noch einen Ultraschall. Das Baby war wohlauf, schien zufrieden und munter.

      Da ich nun ab sofort nicht mehr unterrichten musste, hatte ich Freiraum gewonnen und Zeit, mich meiner Depression voll und ganz zu stellen. Ich ging nun jede Woche zu einer speziell ausgebildeten Hebamme (wie bereits bei Levi) und versuchte, mit ihr das Ganze aufzuarbeiten. Sie hatte früher viele Jahre lang als Hebamme gearbeitet und betreute nun Frauen mit Problemen während und nach der Schwangerschaft. Diese Treffen waren immer sehr intensiv, oft schmerzlich und mit Tränen verbunden. Im Gespräch wurde viel aufgedeckt und ans Licht gebracht. So musste ich feststellen, dass ich mich aus Angst und Misstrauen noch kaum auf das Kind gefreut hatte. Dabei hatte ich mir eine weitere Schwangerschaft so schön vorgestellt. Ich wollte glücklich sein und mich freuen. Was hatte ich bloß aus dieser Schwangerschaft gemacht? Ich machte mir riesige Vorwürfe und hatte ein schlechtes Gewissen dem ungeborenen Kind gegenüber. Ich liebte es ja bereits aus vollem Herzen, doch wie musste sich dieses Kind bei meinen instabilen Gemütszuständen fühlen? Eine solche Mutter hatte es nun wirklich nicht verdient!

      Allmählich ging es mir besser. Ich kam wieder zu Kräften und spürte, wie ein Druck von mir wich. Ich versuchte, positiv zu denken und mich zu freuen. Das gelang mir mal mehr, mal weniger. Auch versuchte ich nun, mehr Kontakt mit dem Kind aufzunehmen. Bisher hatte ich sehr wenig mit ihm gesprochen, den Bauch selten gestreichelt. Ich wollte, dass es spürte, dass ich da war und mich freute! Dabei versuchte ich, die Buben mit einzubeziehen. Sie sangen dem Baby Lieder vor, redeten mit ihm und beteten. Solche Momente waren berührend und schön. Levi massierte mir zwischendurch sogar den Bauch.

      Am 12. November 2004 kam dann unsere Tochter Mia Noeme zur Welt. Die Geburt verlief reibungslos und so gut wie noch nie. Mia ist ein gesundes, munteres und total süßes Kind. Sie ist pflegeleicht und macht uns viel Freude. Ich bin sehr glücklich und denke manchmal, dass mich Gott jetzt für viel Durchgestandenes belohnt. Ich bin ihm von Herzen dankbar und bin sicher, dass alles seinen Sinn hat! Ich weiß nicht, ob ich so denken würde, wenn ich nicht mehr schwanger geworden wäre. Vielleicht wäre ich jetzt verbittert. Ich schätze mich sehr glücklich und hoffe, dass viele Frauen mit einer Fehlgeburt ein ebenso glückliches Ende erfahren dürfen!

       Andrea Berger, Burgdorf, CH

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