GegenStandpunkt 3-16. Группа авторов
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Die Herausforderung der Digitalisierung
Bei allem Stolz auf das Erreichte warten Politiker neben dem Lob für die spitzenmäßigen Rationalisierungserfolge auch mit Ermahnungen auf: Der Industriestandort Deutschland dürfe sich nicht auf seinen Erfolgen ausruhen und die Herausforderung der Zukunft verschlafen, die sie ehrfürchtig „Digitalisierung“ nennen, als wäre sie ein übermächtiges anonymes Subjekt, dem „man“ nicht entkommt. Gemeint sind die großartigen Perspektiven, die die Informations- und Kommunikationstechnologie eröffnet und die so gewinnversprechend sind, dass sie todsicher geschäftlich wahrgenommen, also wahr gemacht werden. Dazu gehören nicht nur interessante neue Konsumgüter, sondern entscheidende Mittel zur Optimierung der Produktion: In und zwischen den „smart factories“ der Zukunft soll eine standardisierte Maschine-Maschine-Kommunikation die flächendeckende Automatisierung der betriebsübergreifenden Koordination und Kooperation der Produktionsprozesse ermöglichen. Deren Kontrolle und Steuerung lässt sich zunehmend Programmen übertragen; durch deren Entwicklung und mithilfe der automatisierten Auswertung der gespeicherten Datenflut aus Sensoren und Aktoren lassen sich stets neue Potenziale zur Optimierung des vernetzten Produktionsablaufs gewinnen; und am Ende wird mithilfe der kontinuierlich erhobenen Daten der industrielle wie individuelle Kunde automatisch mit den Angeboten versorgt, die seiner Bedarfslage perfekt entsprechen.
Wofür diese wunderbare Entwicklung der Produktivkräfte gut ist, ist keine Frage: Sie erlaubt die Einsparung von bezahlter Arbeit an den verschiedensten Stellen, also ihren kommerziellen Anwendern gewinnträchtige Fortschritte beim Ausschluss ihrer Belegschaften vom produzierten Reichtum – reihenweise rechnen Studien vor, in welchem Umfang „die Digitalisierung“ Arbeitsplätze und ganze traditionelle Berufszweige überflüssig zu machen beschlossen hat –, und stellt deswegen ihren Entwicklern einen weltweiten Markt in Aussicht, der den Spitzenreitern traumhafte Renditen verspricht.
Deutsche Politiker sehen diese Entwicklung als große Chance für die Behauptung und den Ausbau deutscher Technologieführerschaft, sodass sie sich gleich selbst zum Anführer der diesbezüglichen Revolution ausrufen und ihrem ganzen Industriestandort auch gegen skeptische Mittelständler ein digitalisiertes Durchrationalisierungs-Update 4.0 verpassen wollen. Politisch protegiert wird auch der Revolutionsexport durch die Maschinenbauer, auf dass denen gelinge, mit einem Quantensprung in der Rationalisierungstechnik flächendeckend bestehende Produktionsmittel tendenziell kapitalistisch unbrauchbar zu machen, was ein schönes Geschäft und ein bedeutender Fortschritt in Sachen Dominanz der industriellen „Wertschöpfung“ zu werden verspricht. Die weltweite Verbreitung der vernetzungsfähigen Maschinen mit deutschen Kommunikationsstandards ließe nicht nur allerorten die Notwendigkeit wachsen, zum Kunden der deutschen Technologieführer zu werden, sondern verbaute in gleichem Maß Anbietern mit konkurrierenden Kommunikationsstandards Absatzchancen; idealerweise erlaubt der technische Vorsprung auf diesem Gebiet – und etwas anderes als der Vorsprung interessiert die kapitalistische Welt an arbeitssparender Technik sowieso nie – die Monopolisierung der Schlüsselstelle, von der die weltweiten Produktionsanstrengungen abhängen. Daher kann der Fortschritt gar nicht rasch genug gehen.
Die digitale Technik lässt sich zweitens kapitalistisch noch in ganz anderer Hinsicht revolutionär benutzen, nämlich im Bereich der Dienstleistungen: Die Shooting Stars unter den Global Players entwickeln ausgehend von den eroberten Besitzständen im Bereich der privaten Kommunikation (Facebook), der Navigation in virtueller und realer Welt (Google), als Zentrale des Handels (Amazon) usw. usf. Technologien für die Auswertung und geschäftliche Nutzbarmachung von gesammelten Datenmengen, zentralisieren damit „den Markt“ in ihren Händen und bewirtschaften ihn nach den Maßstäben, unter denen Bedürfnisse in der Marktwirtschaft eben einzig interessieren. Die Bereiche von Marktforschung und Werbung sind bei weitem nicht das einzige Feld, auf dem sie traditionelle Geschäftsmodelle technologisch revolutionieren, ökonomisieren und effektivieren und sich so, auf Kosten etablierter Unternehmen und deren überkommener Geschäftsmodelle samt Arbeitsplätzen, für den Rest der Geschäftswelt interessant bis unentbehrlich machen; ihre Kompetenzen als führende Datenstaubsauger und -verarbeiter befähigen sie und ihresgleichen zum Vordringen in stets neue Sphären, sodass kein sachverständiger Bericht über die digitalisierte Ökonomie mehr ohne das Wort „Disruption“ auskommt. Für etablierte Industriekonzerne wird einerseits die Ausstattung ihrer Produkte mit internetbasierten Applikationen für die Marktfähigkeit unentbehrlich – selbst die Produkte führender Autofirmen werden zunehmend zu „Smartphones auf Rädern“. Andererseits wird die Nutzung der technischen Möglichkeiten für eine effektive Vernetzung mit ihren Kunden und mit ihren Geschäftspartnern zunehmend unwiderstehlich, wodurch allerdings auch die Kompetenz zur Gestaltung der Nachfrageseite auf ihrem Absatzmarkt – mit ihrer Modellpolitik, ihrer Werbung usw. – auf die neuen Organisatoren der Kundenwünsche übergeht. Sogar klassische Autohersteller haben die Notwendigkeit erkannt, sich zu „Mobilitätsdienstleistern“ weiterzuentwickeln, um nicht fremde Geschäftemacher definieren zu lassen, wie viele und welche von ihren traditionellen Produkten in einer „sharing economy“ noch nachgefragt werden.
Auch auf diesem Feld versprechen also die Vorsprünge in Sachen digitaler Vernetzung – namentlich auf dem Wege der Standardisierung von Kernbereichen wie Betriebssystemen etc. – Schlüsselelemente zu monopolisieren, um die weltweiten Wertschöpfungsketten zu dominieren. Das ist in diesem Fall, weil der diesbezügliche Fortschritt in den USA entwickelt wird, eine grauenhafte Vorstellung für die Propagandisten des digitalen Updates für den deutschen Standort – und in ihrem Gefolge für alle europäischen Moralwachteln, Datenschützer, Kulturfexe usw., die die Amerikanisierung der Kommunikations-, Einkaufs- und Datenerhebungskultur mit äußerster Skepsis, die Degeneration der hiesigen Sitten und Persönlichkeiten betreffend, sehen. So undenkbar ist es für sie, dass die weltumspannende Kooperation einem anderen Zweck dienen könnte als dem, für den sie und ihresgleichen sie politisch vorantreiben, nämlich um die damit gestifteten Abhängigkeiten unbarmherzig zum einseitigen nationalen Vorteil auszunutzen. So droht dem deutschen Standort nicht nur ein großes Geschäftsfeld der Zukunft zu entgehen, was ja schon schlimm genug ist, sondern auch, dass sein bewährtes Mittel zur Dominanz der Weltmärkte ausgehebelt wird. Denn, so die Sorge, was ist weltrekordmäßig arbeitssparende Fertigungstechnik noch wert, wenn sie zum ausführenden Organ eines fremdbestimmten Wertschöpfungsprozesses wird?! Und zu was sind Spitzenprodukte noch nutze, wenn die Welt durch ökonomischeren gemeinsamen Gebrauch ausreichend davon hat?! Die politischen Verwalter des Standorts fragen sich sogar, ob sie nicht perspektivisch ihre Handlungsfreiheit gegenüber der Macht verlieren, deren Firmen sie das Funktionieren ihres ganzen gesellschaftlichen Innenlebens verdanken. Was daraus folgen muss, ist sonnenklar: Um nicht in verhängnisvolle Abhängigkeiten verstrickt zu werden – positiv ausgedrückt: um seinerseits fremde Standorte und Souveränitäten in derart vielversprechende Abhängigkeiten verstricken zu können –, braucht es eine erfolgreiche nationale Konkurrenzoffensive zur Eroberung „digitaler Souveränität“: Alle überseeischen Standards für die „Schnittstellen“, an denen Unternehmen und individuelle Konsumenten unter- und miteinander „vernetzt“ werden, müssen politisch „offen und frei zugänglich“ für das Eindringen europäischer Konkurrenten gehalten, die Marktmacht der digitalen Vorreiterkonzerne politisch eingehegt werden, und schnellstmöglich ist mit „Wagnis-Kapital“ und einer eigenen „Start-Up-Kultur“ die Aufholjagd in Angriff zu nehmen.
Diese Offensive schließt ein Update für die Welt der Arbeit ein.
„Neue Arbeitswelten“
Wie es sich für die Einschwörung auf ein umfassendes Erneuerungsprogramm gehört, mahnen die zuständigen MinisterInnen, vor lauter Freude über die Möglichkeiten des digitalen Fortschritts die Wirkung auf die arbeitenden Menschen nicht zu vergessen – als wäre der Umgang mit diesem Kostenfaktor vergessen worden! –, und laden die sozial gesinnte Öffentlichkeit zum ergebnisoffenen, herrschaftsfreien Dialog über die rhetorische Frage ein: „Wie wollen wir arbeiten in der digitalen Welt?“ In diesem Diskurs werden die Verheißungen einer neuen