GegenStandpunkt 3-16. Группа авторов

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GegenStandpunkt 3-16 - Группа авторов

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vermeiden, ist allgemein Bestandteil der lohnabhängigen Existenz.

      Die zweite Herausforderung ist die Einteilung der knappen Zeit. Wer von Lohnarbeit lebt, kann sich zwar einbilden, nach der Arbeit beginne das Leben; immerhin verbleibt ihm ja rechnerisch nach einem durchschnittlichen Arbeitstag noch die andere Hälfte des wachen Tages zur anderweitigen Nutzung. Er kann aber auch merken, wie wenig ihm die „Freizeit“ für eigene, frei gewählte Zwecke zur Verfügung steht. Schon dass er dann nicht mehr einem Arbeitgeber zur Verfügung steht, ist in vielen Fällen keine ausgemachte Sache; sogar dass ein Arbeitnehmer noch ein wenig übriggebliebene Arbeit, ein paar berufliche Telefonate usw. zu Hause erledigen darf, kommt vor, ist bei „selbstständigen“ Anbietern der Arbeitskraft sogar die Regel; aber es gibt auch die „guten“ Betriebe, in denen durchgesetzt ist, dass zumindest für einen Teil der Freizeit die dauernde „Erreichbarkeit“ der Mitarbeiter per Handy und Mail auch mal ein Ende hat. Frei von Berufsnotwendigkeiten ist der Mensch aber noch lange nicht, bloß weil er nicht mehr von seinem Arbeitgeber kommandiert wird. Der „Feierabend“ beginnt mit dem Erfordernis, Distanz zum Betriebsalltag zu gewinnen, und das nicht nur im geografischen Sinn des Nachhausewegs, der ja auch seine Zeit in Anspruch nimmt. Weil die Inbeschlagnahme von Hirn und Nerven durch die Arbeit sich mit dem Verlassen des Betriebsgeländes nicht von selbst abstellt, wird „Abschalten“ zu einer eigenen, aktiven Beschäftigung. Dafür bietet die Unterhaltungsindustrie tausenderlei Varianten, die Sinne so intensiv zu okkupieren, dass der Kopf zwar nicht frei wird, aber für Gedanken an den Betriebsalltag kein Platz mehr ist; und manch einer muss sich selbst ermahnen, auch mal wieder auszuschalten, was er einschaltet um abzuschalten, weil ja auch noch andere Notwendigkeiten zu erledigen sind. Einiger Aufwand ist dafür verlangt, dass der nach allen Regeln der Rentabilität beanspruchte Körper wieder zu Kräften kommt, die der Betrieb verbraucht, sowie zur unerlässlichen „Entspannung“ – und ein milliardenschweres Geschäft mit der Gesundheit lebt davon, dass das flächendeckend nicht gelingt. Natürlich betreibt der Arbeitnehmer die Wiederherstellung seiner Aufmerksamkeit und körperlichen Kräfte für sich – dem Arbeitgeber, der sie vernutzt, fällt er mit dieser Notwendigkeit nicht zur Last; auch für die Vernachlässigung büßen muss ja nur er –, deswegen kümmert er sich auch effektiv darum, sodass Fast-Food-Restaurants und Mahnungen zu „gesundem Essen“ ebenso boomen wie Fitnessstudios, in denen sportliche Betätigung zeitsparend unter Abstraktion von allem Genuss auf ihre erwünschte Nebenwirkung, die Herrichtung der beruflich arg beanspruchten körperlichen Leistungsfähigkeit, reduziert wird. Denn sonst hat man ja am Ende gar keine „Zeit für sich selbst“, in der man die halbwegs wiederhergestellte Aufmerksamkeit und körperlichen Kräfte für eigene Interessen benutzen kann, ehe die feststehende Vernutzung derselben durch den Betrieb wieder ansteht.

      Die frei gewählten Betätigungen für die Zeit, die lohnarbeitende Menschen aus ihrer Freizeit herauszuschinden wissen, sind ein letzter Beweis, dass die abhängigen Knechte des Kapitals auch nach Arbeitsende ihrer Rolle nicht entkommen. Die Freizeitgestaltung der arbeitenden Klasse – ihr „Freizeitstress“ – ist nicht nur in ihrem Ausmaß, sondern auch in ihrer Beschaffenheit Index der Lebenslage, die durch die Lohnarbeit definiert ist. Die Jahre im Betrieb, die einer nach erfolgreichem Ausschluss aus den bürgerlichen Bildungsinstituten verbracht hat, schlagen sich im Verstand des arbeitenden Menschen genauso nieder wie in seiner Physis. Die Genussfähigkeit, die von einem funktionierenden Intellekt eben abhängt, ist erheblich beeinträchtigt bei Leuten, denen die Verausgabung von „Hirn, Muskel und Nerv“ abverlangt wird in einer Weise, die außerhalb der Arbeit keine Betätigung mehr zulässt, die Aufmerksamkeit, Konzentration und Intelligenz erfordert. Neben „vernünftigen“ Proleten, die gesund leben, sich fit halten, fernsehen und am Wochenende ins Grüne fahren, gibt es deswegen auch eine gewaltige Anzahl von Leuten, die es mit der Reproduktion als Freizeitauftrag nicht so ernst nehmen und die ihrem ruinierten und verrohten Gemüt entsprechenden Genüsse suchen. Der Alkohol hat in dem Übermaß, in dem ihn das deutsche Proletariat genießt, nicht nur die Wirkung, die Ausbeutung erträglich zu machen. Er beschleunigt den körperlichen und geistigen Ruin und vollendet das Werk des Kapitals am Arbeitsplatz. Die Bundesliga hat ihre Geschäftsgrundlage in den Fans, die unabhängig vom Vergnügen, das ihnen „ihre“ Mannschaft durch ihr Spiel bietet, zu ihr halten – was so aussieht, dass jedes Wochenende Tausende ihr Geld und ihre Zeit opfern, um am Spieltag pünktlich und schon leicht betrunken an Ort und Stelle zu sein, sodass die Polizei insbesondere beim Zusammenstoß gegnerischer Parteien einiges an Gewalttaten zu verfolgen hat; Fensterscheiben und dergleichen gehen ohnehin zu Bruch – und das alles, weil so das Bedürfnis von Leuten aussieht, die – ganz zum Material der Ausbeutung erniedrigt – sich einmal ganz frei einen Zweck setzen, dem sie sich bedingungslos verschreiben. Die Mitglieder der ‚Generation Internet‘ haben in der virtuellen Welt eine Heimat gefunden, in der sie im wohltuenden Gegensatz zur wirklichen die Helden sind, die anderen keine Chance lassen. Die Volkserzieher des dritten Jahrtausends begegnen dem „Realitätsverlust“, den sie durch dieses Vergnügen beim nationalen Nachwuchs befürchten, neben wenig überzeugenden Angeboten an „Sinn“ in der realen Welt vor allem mit der Propaganda, dass keine Chance hat, wer sich der „Realität“ der Konkurrenz entzieht. Derartige Überzeugungsarbeit macht natürlich aus dem kapitalistischen Zirkus auch keine Attraktion, wird von der Jugend aber nicht mit einer Kritik an solch herrlichen Verhältnissen, sondern lieber mit Sinnkrisen beantwortet, welche ihre Konkurrenztauglichkeit auch nicht befördern. An der Rolle, die Sex und Verbrechen in der Unterhaltung der armen Leute spielen, lässt sich ganz nebenbei ermessen, was im Verhältnis der Geschlechter los ist. Die häuslichen Verhältnisse, allesamt Folgen des streng marktwirtschaftlich ermittelten Verhältnisses von Leistung und Lohn, sind Quellen dauernder Streitigkeiten, die oft genug die Arbeitenden mehr belasten als ihnen das Arbeitsleben erträglich machen. „Familiendramen“ beschäftigen immer wieder die Nachrichten und das Kindeswohl die Jugendämter. Der deutsche Normalmensch indes kommt mit allem zurecht. Mit dem Handwerkszeug der bürgerlichen Moral beurteilt er sich und seine Stellung in der Welt. Dabei entwickelt er das Arsenal an öffentlich angesagten Stellungnahmen zu dem, was mit ihm alles angestellt wird. Gegenüber dem Erfolg der Erfolgreichen empfindet er Neid und Missgunst und verlegt seinen ganzen Ehrgeiz in Sphären, in denen seine Überlegenheit zum Tragen kommt. Unzufriedenheiten mit den eigenen Lebensumständen lebt er bevorzugt in der Form der Empörung über Ungehörigkeiten aus – für publikumswirksame Hasstiraden und Shitstorms gegen alles, was sich nicht gehört (und alle, die nicht hierher gehören), wird das Internet weidlich genutzt. Wenn ihm mal der Eindruck kommt, er würde im Verhältnis zu seiner Leistung zu wenig Geld bekommen, dann nicht, um Kommunist zu werden, sondern um kleinliche Gehässigkeiten gegen seinesgleichen anzuzetteln. Keiner gibt ehrliche Auskunft über sein Einkommen. Und es zu nichts gebracht zu haben, will sich schon gleich niemand nachsagen lassen.

      Die Politiker in Merkels Land sind die letzten, die ihrem Volk die Verleugnung seiner Armut abnehmen. Anlässlich einer weitverbreiteten nationalistischen Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik der Regierung fallen dem obersten Sozialdemokraten, der in seinem Ressort die Reichtumsproduktion im Land so betreut, wie es zum Wohle der Menschen im Land am besten ist, lauter missliche Lebensumstände ein, die sich allzu leicht so verstehen lassen, als vernachlässige die Regierung ihr Volk. Konkret fallen ihm Wohnungssuchende, Familien mit kleinen Kindern und Rentner als Beispiele für Bevölkerungsgruppen ein, deren Lage ohne zusätzliche Zuwendung unerträglich ist.

      Die Kanzlerin hält den Eindruck irgendwelcher Volksteile, „dass ihre Bedürfnisse ... unter die Räder geraten“ (Gabriel), für eine vollkommene Fehlwahrnehmung und rät, ihr sozialdemokratischer Vize solle sich mal nicht so „klein machen“ und „sein Licht nicht so unter den Scheffel stellen“. Schließlich kümmere sich ihre gemeinsame Regierung seit Jahr und Tag um alles, was man von einem fürsorglichen Sozialstaat verlangen kann. In allen sozialen Notlagen, die dieses Land für seine Insassen bereithält, steht ihnen der Staat mit einer bedarfsgerechten Unterstützungsmaßnahme bei. Was soll es da für einen Grund zur Unzufriedenheit geben?!

      – Der Tatsache zum Beispiel, dass mit dem Wachstum von Ballungsräumen irgendwie automatisch für normale Menschen dort eine Behausung zunehmend

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