Wo der Hund begraben liegt. Beate Vera
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Dann erfasste der Lichtstrahl ihres Smartphones ein Büschel beinahe lachsroter Haare, die aus dem mit schwarzem Blut verklebten oberen Teil des Kopfes herausragten, fast so, als hätte jemand mit Haargel nachgeholfen. In dem Moment, als sie den Mann an seiner auffälligen Haarfarbe erkannte, winselte dessen Hund. Lea ging um die Bank herum und fand den Beagle, der ein paar Meter weiter im Gras lag. Sie wählte die 110 auf ihrem iPhone und sah sich die Hündin ihres Nachbarn genauer an.
Keine halbe Stunde später war die Szene in grelles Licht getaucht. Lea hatte das Fluchen des Kriminalhauptkommissars in der unwirklichen Betriebsamkeit deutlich hören können, als die Scheinwerfer der Spurensicherung auf ihre Fußabdrücke im Blut der Opfer gefallen waren. Der Fundort – noch wusste niemand, ob es sich auch um den Tatort handelte – war mit dem rot-weißen Absperrband der Polizei gesichert, und die in weiße Schutzanzüge gekleideten Gestalten der Spurensicherung waren dabei, Fotos zu machen und eben Spuren zu sichern. Lea hatte ihre Laufschuhe abgeben müssen, und die Beamtin hatte ihr dabei in Aussicht gestellt, dass man auch ihre restliche Kleidung noch im Laufe der Nacht werde mitnehmen müssen. Gerade hatte sie Ersatzschuhe aufgetrieben, und Lea sah sie mit einem Paar Flipflops in der Hand zusammen mit dem Hauptkommissar auf sich zukommen.
»Kriminalhauptkommissar Glander, LKA Brandenburg. Sie haben die Leichen also gefunden? Was machen Sie denn um diese Zeit hier draußen?«
Ein Mann von Takt und großer Zurückhaltung, dachte Lea mit einem Anflug von Ironie und konnte sich eines Zuckens um die Mundwinkel nicht erwehren. Glander entging das unterdrückte Lächeln nicht. Er war ungefähr einen halben Kopf größer als sie selbst, die mit ihren 1,78 Meter auch nicht gerade klein war. Seine Haare waren kurz und straßenköterblond. Er trug eine vermutlich schlammfarbene Cargohose und ein ungebügeltes Polohemd in dunklem Oliv oder vielleicht auch Grau, die Farben waren in dem kalten Licht nicht so genau zu erkennen. Seine Füße steckten in leichten Trekkingschuhen. Der Kommissar wirkte kräftig und trainiert, wie jemand, der regelmäßig Sport trieb, ohne es zu übertreiben. Sie fand ihn attraktiv, doch das Flüstern in ihrem Hinterkopf warf erneut ein, dass das ein gänzlich unpassender Gedanke war. Lea gab der Stimme recht.
»Ich kann nicht schlafen«, entgegnete sie und sah ihn an. Er hatte stahlblaue Augen, und auf einmal wusste sie ganz genau, an wen er sie erinnerte: Er war eine moderne und erheblich kernigere Version von Steve McQueen, es fehlte nur der im Hintergrund geparkte Ford Mustang.
Glander fragte sich derweil, ob die Frau vor ihm, wenngleich zweifelsfrei äußerst ansehnlich in ihren knappen Sportsachen, bescheuert war. Wer trieb sich denn mitten in der Nacht freiwillig auf so einer abgeschiedenen Strecke rum? »Und da fällt Ihnen nichts Besseres ein, als hier joggen zu gehen? Ist ja nicht gerade ungefährlich, so ganz alleine auf dem Mauerstreifen rumzustreunen.«
Etwas an seinem Tonfall musste Talisker missfallen haben, denn er erhob sich ein paar Meter hinter Lea und knurrte leise.
»Himmel, gehört der zu Ihnen?« Glander starrte den Hund an, der ihn fixierte.
»Das ist Talisker. Tagsüber ist er ein Lamm, aber nachts freelanct er als mein Bodyguard.«
»Mondkalb trifft es wohl eher. Was ist das denn für eine Rasse? Der wiegt doch sicher fünfzig Kilo.«
»›Der‹ ist ein Scottish Deerhound, und er wiegt genau 42,5 Kilo. Er ist recht schlank, weil wir viel laufen.«
»Na gut, das erklärt, wieso Sie sich bei der Dunkelheit nicht fürchten. Meine Kollegin bringt Sie jetzt erst mal nach Hause. Ich komme etwas später bei Ihnen vorbei, um mich weiter mit Ihnen zu unterhalten. Sie wissen ja«, er räusperte sich, »dass wir Ihre Kleidung für die Spurensicherung mitnehmen müssen.« Damit drehte er sich abrupt um und ging wieder hinüber zu den Leichen.
Lea sah die Polizistin an. »Ist er immer so charmant?«
»Wie würden Sie sich denn fühlen, wenn man Sie um diese Zeit aus dem Bett klingelt und zu zwei Leichen holt?«
»Ich wäre froh, wenn ich bis jetzt geschlafen hätte.«
2
Weitere zehn Minuten später stand Lea in ihrem Badezimmer und zog ihre Sportsachen aus. Die Polizistin – Polizeimeisterin oder so ähnlich – Griese stand im Türrahmen und sah ihr dabei zu.
»Hätten Sie wohl die Güte …«
»Tut mir leid, aber ich muss sicherstellen, dass ich Ihre Kleidung vollständig erhalte. Wenn Sie die Sachen bitte hier hineintun würden …« Griese reichte Lea einige große durchsichtige Plastiktüten.
Lea zuckte mit den Schultern. Sie war nicht prüde, und sie wusste, dass sie eine gute Figur hatte. Damals, nach der Geburt ihres Sohnes, hatte sie hart daran gearbeitet. Die Schwangerschaft war kompliziert verlaufen, Lea hatte sich im fünften Monat aufgrund einer Gebärmutterhalsschwäche kaum mehr bewegen dürfen und fünfzehn Kilo zugenommen. Sie hatte sich damit getröstet, dass sie wenigstens zu Hause bleiben konnte und nicht die restlichen Monate im Krankenhaus verbringen musste – zumal ihr die Ärzte gesagt hatten, dass dies mit großer Sicherheit ihre einzige Schwangerschaft bleiben würde. Duncan war im Mai per Kaiserschnitt geboren worden, und sobald der Arzt ihr grünes Licht gegeben hatte, war sie jeden Tag stundenlang mit dem Kinderwagen durch die Gegend gelaufen. Im folgenden Herbst hatte sie ernsthaftes Lauftraining aufgenommen, das sie im tiefen Winter auf das Laufband in ihrem neuangebauten Wintergarten verlegt hatte. Ihre Figur hatte sich dann im Laufe der folgenden Jahren verändert, ihr Busen war etwas voller geblieben, auch ihre übrigen Kurven hatten sich erhalten. Sie hatte ihre alte Schlaksigkeit verloren, und ihre Bewegungen hatten eine athletische Geschmeidigkeit angenommen. Auch fast zwanzig Jahre später, mit Mitte vierzig, hatte sie diese sportliche Figur, seit dem letzten Jahr war sie eher noch drahtiger geworden. Sie war wirklich viel unterwegs gewesen.
Lea gab der Polizistin die Plastiktüten mit den Klamotten und trat in ihre ebenerdige Dusche. Die Beamtin zog sich zurück, vermutlich würde sie sich im Haus umschauen, dachte Lea, und es war ihr total egal. Sie war von Natur aus ordentlich und schätzte es, wenn alles seinen Platz hatte. Mark war da ganz anders gewesen, und Duncan hatte den Hang zu offenen Schranktüren und leeren Milchkartons im Kühlschrank von seinem Vater geerbt. Doch keiner der beiden war da, und so wirkte das Haus keineswegs unordentlich.
Sie hörte die Klingel und anschließendes Stimmengemurmel, während sie in ein knielanges Sommerkleid mit Paisleymuster in Grau- und Blautönen schlüpfte. Talisker folgte ihr die Treppe hinunter und knurrte leicht, als er Glander im Wohnzimmer sah.
»Calm, boy! Down! In your corner!«
Talisker strich vorbei an Glander, der sich unweigerlich versteifte, und warf sich auf die Decken in seiner Ecke.
»Sie sprechen englisch mit Ihrem Hund?«
»Ja, er ist ein schottischer Jagdhund. Wir haben ihn vor sechs Jahren von einer Züchterin aus Schottland übernommen, da war er schon die englischen Befehle gewohnt.«
»Wir?«
»Mein Mann Mark und ich.« Lea wusste, was nun gleich