Anguckallergie und Assoziationskettenrasseln. Inez Maus

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Anguckallergie und Assoziationskettenrasseln - Inez Maus

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erste Diktate erwiesen sich als genauso unverständlich wie seine frühe Sprache: „Herlst. Im Herlst renet es fot. Aebr heute schint die Sonne. Der Wind bält die Bätter von den Bäumen. Die bunter Darnchen steien hoch. Jeser Kind feuer sind.“ (Herbst. Im Herbst regnet es viel. Aber heute scheint die Sonne. Der Wind bläst die Blätter von den Bäumen. Die bunten Drachen steigen hoch. Jedes Kind freut sich.) Da unser Sohn die phonematische Struktur eines Wortes nicht erfasste, war es ihm nur möglich, ganzheitlich eingeprägte Wörter richtig zu verschriften. Daraufhin stellte Frau Ferros bei der Schulleitung einen „Antrag auf Überprüfung einer LRS“ (Lese- und Rechtschreibschwäche), informierte uns darüber und forderte unser Einverständnis für eine Untersuchung durch die zuständige Schulpsychologin. Wir verweigerten dieses Einverständnis, da wir aus unserer negativen Erfahrung wussten, was dabei herauskommen konnte, wenn unbekannte Fachleute unseren Sohn überprüfen wollten, stattdessen sollte Benjamin diesbezüglich unserer Psychologin Frau W. vorgestellt werden. Frau Ferros äußerte ihr Unverständnis darüber und unterstellte uns, unserem Sohn eine schnelle Hilfe verweigern zu wollen. Trotzdem blieben wir bei dieser Entscheidung. Außerdem teilte ich Frau Ferros mit, dass bei Benjamin allenfalls eine Rechtschreibschwäche, aber keinesfalls eine Leseschwäche vorliegen konnte, da er zumindest zu Hause fleißig und sinnerfassend las, was sie ein halbes Jahr später bestätigte: „Während er, bedingt durch seine Artikulationsprobleme, Lesetexte noch fehlerhaft vorliest, hat er stilllesend keine Probleme auch bei ungeübten Texten den Sinn nahezu vollständig zu erfassen.“

      Obwohl die Frage einer vorliegenden Rechtschreibschwäche bei unserem Sohn noch nicht geklärt war, versorgte uns Frau Ferros mit einseitigem Informationsmaterial und drängte uns, unseren Sohn bei einem ganz bestimmten Nachhilfeinstitut anzumelden. Sie arrangierte auch ein Gespräch zwischen mir und einer Kollegin, deren Enkel in diesem besagten Institut einen Sommerkurs belegt hatte. Diese Kollegin war zwar mit den Fortschritten ihres Enkels zufrieden, gab aber zu bedenken, dass Benjamin, den sie aus einigen Vertretungsstunden kannte, dort nicht die richtige Förderung erhalten würde. Daraufhin wendete ich mich persönlich an diese Einrichtung und musste erfahren, dass die dort tätigen Pädagogen bis jetzt erst ein einziges Kind mit autistischen Zügen unterrichtet hatten und dass diese Therapie nach drei Stunden wegen Erfolglosigkeit abgebrochen worden war. Damit hielten wir es für unwahrscheinlich, dass Benjamin dort angemessene Förderung erhalten konnte. Unsere Weigerung zur Zusammenarbeit mit der Schulpsychologin hatte zur Folge, dass ich zum Schulleiter zitiert wurde, der ebenfalls versuchte, mich umzustimmen, was ihm aber nicht gelang. Wieso versuchten die beteiligten Personen in der Schule uns immer das Gefühl zu vermitteln, das Falsche für unseren Sohn zu tun?

      Bis zu unserem Termin in der Klinik für Audiologie und Phoniatrie in den Sommerferien konnte es nicht schaden, sich mit dem Thema Lese- und Rechtschreibschwäche zu beschäftigen, damit wir, falls Benjamin davon betroffen war, darauf vorbereitet sein würden. Wir mussten sehr schnell feststellen, dass es eine Fülle an Literatur zu diesem Thema gab, welche aber keinesfalls für Klarheit oder gar Aufklärung zu sorgen vermochte. In der Fachwelt herrschte keine Einigkeit darüber, wann eine Lese-Rechtschreib-Schwäche oder auch Legasthenie vorliegt, welche Kriterien für eine Diagnose erfüllt sein müssen, welche Tests sich für die Diagnostik eignen … „Zu den Merkmalen, die am häufigsten beobachtet werden, zählen gravierende Lese-, Rechtschreib- und Schreibschwäche sowie die Verkehrung von Symbolen. Dazu kommen oft Verwirrung im Bereich von Raum und Zeit, Desorientierung und erschwertes Begreifen gewisser Dinge.“4 Von dieser Aufzählung an Merkmalen traf auf unseren Sohn jedoch nur zu, dass er Rechtschreibprobleme und ein schlechtes Zeitgefühl hatte, welches ich jedoch nicht als „Verwirrung“ bezeichnen würde. Verwirrend wirkten auf uns allerdings seitenlange Auflistungen möglicher Ursachen und die ausführlichen Beschreibungen misslungener Schulkarrieren von Betroffenen. In diesem Zusammenhang war Folgendes gut zu wissen: „Legasthenie-Diagnosen haben – im Vergleich zu anderen medizinischen Diagnosen – eine relativ hohe Fehlerquote. Fehldiagnosen sind hier durchaus keine Seltenheit, obgleich Ärzten und Psychologen ein vielfältiges Test-Instrumentarium zur Verfügung steht. Dies hat seinen Hauptgrund darin, daß sich die Experten bis heute nicht auf die Festlegung eindeutiger Legasthenie-Diagnose-Kriterien verständigen konnten und – etwas überspitzt ausgedrückt – jeder Schulpsychologe mehr oder weniger seine eigenen Maßstäbe von Normalität bzw. Abnormalität zugrundelegt.“5

      Trainingsmethoden zur Verbesserung der Lese- und Rechtschreibleistungen gab es in Hülle und Fülle, ebenso mangelte es im Fachhandel nicht an diversem Übungsmaterial. Da jedoch keine typischen Legasthenie-Fehler existieren, sondern vielmehr jedes Kind seine eigenen Fehler macht, schien es uns sinnvoll, an dieser Stelle anzusetzen. Wir analysierten Benjamins Fehler und stellten sehr schnell fest, dass ihm nie Fehler beim Setzen von Satzzeichen sowie bei der Groß- und Kleinschreibung unterliefen. Schon früher war uns aufgefallen, dass unser Sohn die deutsche Sprache nicht wie seine Muttersprache, sondern wie eine Fremdsprache erlernte. Zwangsläufig fragten wir uns deshalb, ob Benjamins bildhaftes Erfassen der ihn umgebenden Welt als seine eigentliche „Muttersprache“, oder wohl eher als sein „Urdenken“, anzusehen war. Des Weiteren unterliefen unserem Sohn beim Schreiben von Diktaten am Computer auffallend weniger Fehler im Vergleich zu handschriftlichen Diktaten (in das Schreibprogramm von Benjamins Computer war zur damaligen Zeit keine Rechtschreibkontrolle implementiert). Der Grund hierfür war wohl darin zu sehen, dass die feinmotorische Anstrengung beim Schreiben mit der Tastatur weitgehend wegfiel und unserem Sohn so mehr Energie zur Konzentration auf die Rechtschreibung zur Verfügung stand. Die Verknüpfung dieser beiden Beobachtungen brachte mich auf die Idee, für Benjamin Computerprogramme zu besorgen, die für Ausländer, welche die deutsche Sprache erlernen wollen, konzipiert waren. Diese Programme erklärten auch Dinge, welche für Muttersprachler selbstverständlich sind. Benjamin nahm diese Übungen gut an und zeigte keine Probleme damit, dass die Aufgaben ausnahmslos für Erwachsene gedacht waren. Einige Fragen, wie beispielsweise „Bist du verheiratet?“, verwirrten ihn anfangs, aber unsere Erklärung, dass dies ein Programm für Erwachsene ist, genügte ihm als Begründung. Besonders große Erfolge bescherte uns Lernsoftware vom Auralog-Verlag, weil diese Programme über eine Spracherkennung verfügten. Für Benjamin war es ausgesprochen effektiv, auf dem Monitor eine Kurve zu sehen, die ihm zeigte, wie gut sein gesprochenes und mit einem Mikrofon aufgenommenes Wort mit dem Idealbild des Wortes übereinstimmte. Er brauchte eine Weile, bis er akzeptierte, dass die Kurven nie ganz gleich sein würden. So trainierte er nicht nur Schreiben, sondern auch Hören und Sprechen. Je besser er die Wörter hören und sprechen konnte, desto fehlerfreier wurde ihre Verschriftung. Wir registrierten jedoch umgekehrt auch den Effekt, dass unser Sohn jetzt Wörter deutlich aussprechen konnte, von denen er die korrekte Schreibweise gelernt hatte. So gelang ihm zum Beispiel nach knapp einem Übungsjahr die verständliche Aussprache des beliebten Satzes „Die Griechen kriechen nicht.“ Auch wenn sich diese Schilderungen jetzt einfach anhören, so stellten sich dauerhafte Erfolge erst nach jahrelangem, zähem Üben ein.

      Schulferien, egal ob kurze oder lange, brauchten für Benjamin immer eine feste Struktur, andernfalls pflegte sein Wohlbefinden erheblich gestört zu sein, was für alle Beteiligten äußerst anstrengend und unangenehm werden konnte. Einfach einmal so in den Tag hinein leben, das war etwas, was unseren Sohn außerordentlich verunsicherte und beunruhigte. Deshalb begann ich in diesem Sommer damit, Ferienpläne zu schreiben. Ich erstellte für jedes Kind eine Liste mit Aktivitäten, die in verschiedene Unterkategorien aufgeteilt waren, und legte für unbekannte Orte und Tätigkeiten Informationsmaterial bereit. Jeder konnte nun in der Liste ankreuzen, was er gern tun wollte. Der Sinn und Zweck der ganzen Aktion bestand darin, dass ich nicht mehr nur wie ein Animateur für Benjamin auftreten wollte, sondern dass unser Sohn selber entscheiden sollte, was er tun möchte und was nicht, denn Entscheidungen zu treffen, fiel ihm sehr schwer. Meistens traf er eine Alles-oder-Nichts-Entscheidung und um dem vorzubeugen, gab es auf meiner Liste Punkte, die Pflicht für Benjamin waren. Weiterhin forderte ich meinen Sohn auf, eine bestimmte Mindestanzahl an Aktivitäten aus jedem Block auszuwählen, wobei meine erste Liste aus folgenden Blöcken bestand: Partys, Innenaktivitäten (Brettspiele, Experimentierkästen, Basteln), Außenaktivitäten (Sportspiele, Museen und Gärten, Baden), Essenswünsche und Nachtaktivitäten. Während Pascal und Conrad über die maximal mögliche Anzahl

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