Tiefraumphasen. Группа авторов

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Tiefraumphasen - Группа авторов

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      Jorge ist ein Produkt meines erschöpften Gehirns. Er ist eine ausschließlich für mich sichtbare Manifestation von Wunschdenken. Fragt sich nur, warum ich ihm dann nicht endlich mal den Splitter aus dem Kopf entferne und seine aus den Fugen geratenen Gesichtsproportionen geraderücke.

      »Das sagst du nur, um es mir leichter zu machen.«

      »Stimmt.«

      »Bitte, Jorge. Tu‘s für mich. Wenn es schiefgeht, stürzen wir eben ab, und dann hast du deinen Willen.«

      »Eigentlich könnten wir auch einfach über den Rand marschieren. Wenn du einen Absturz von mehreren Kilometern Höhe überlebst, sollte das hier doch ein Klacks sein, oder?«

      »Machst du es?«

      Jorge lächelt und schüttelt den Kopf, bevor er, aufreizend langsam, in die Wände hineindiffundiert.

      »Na schön, du Arsch. Dann schaffe ich es eben allein«, knurre ich.

      Ich taste mich vorwärts, mit dem ersten Bein, dem zweiten, kippe den Kriecher in die Wand. Ich bin hellwach, hochkonzentriert.

      6.

      Ja, ich weiß, der Zeitverlust, und die Tagzone ist bedrohlich nahe. Es ist heißer geworden, brütend, dumpf, fiebrig. Aber noch nicht lebensgefährlich. Und ich habe wieder festen Grund unter mir, es geht weiter, Stunde um Stunde um Stunde. Jorge ist bisher nicht wieder aufgetaucht. Jorge kann mich mal!

      Der Kriecher ist voller Lärm, intensiv, dröhnend, bohrend, und ich vertreibe mir die Zeit damit, alle möglichen Muster da rein zu hören, mir Stimmen auszudenken, die zu mir sprechen. Ob ich schlafe oder träume oder nicht, ist mir mittlerweile egal.

      Irgendwann bemerke ich, dass Jorge zurückgekehrt ist. Er schweigt, grimmig und mit verschränkten Armen. Vielleicht, weil ich immer noch lebe.

      Und zwischen dem ganzen Geknatter und Geschnatter höre ich plötzlich, vollkommen klar, eine Frauenstimme: »Wir haben hier was«, sagt sie. »Eine kleine Einheit, am Boden unterwegs. Aus Nordwest.«

      Und eine Männerstimme antwortet: »Hey ho, lebt da etwa noch wer?«

      »Nicht, dass der uns noch was anlockt«, sagt die Frau.

      »Wieso, weiß doch niemand, dass die hier sind.«

      »Trotzdem. Kümmert euch drum.«

      Mein Mund ist furchtbar trocken, meine Stimme viel zu hoch, ich habe Mühe, verständliche Worte rauszubringen: »Hier Somma Sanktus Zwo vom Erkunder Smoot. Ich bin in einem Kriecher unterwegs Richtung Süden und in einer Notlage, bitte helfen Sie mir. Können Sie mich hören?«

      Ich wiederhole den Notruf, beschleunige, bin aufgeregt.

      Jorge legt mir eine Hand auf den Arm. »Besser nicht.«

      »Aber sie müssen ganz nah sein!«

      Das waren echte menschliche Stimmen. Ich bin mir sicher, keine Wahnvorstellung, die mein Hirn generiert, weil es um jeden Preis überleben will. Das war echt. Und ich bin wach.

      »Somma, lass es lieber. Mach es nicht so.«

      »WAS willst du von mir? Dass ich so tue, als wären wir allein hier draußen? Damit ich krepiere, so, wie du das die ganze Zeit schon willst? Ich sag dir was, ich will aber leben!«

      »Das wird aber furchtbar unwürdig.« Jorge klingt resigniert. Was soll er auch tun, er kann mich ja nicht zwingen.

      Der Kriecher wird zum Läufer, ich steuere manuell, renne zwischen schlanken Felsschaumnadeln hindurch, die sechzig, siebzig Meter weit aufragen.

      »Der Grund ist hier kühler und fester«, rufe ich atemlos in den Lärm hinein. »Der Untergrund ist nicht das Problem«, sagt Jorge.

      Und dann sehe ich es. Ganz nah.

      Eine Förderfabrik, wie man sie aus großen Frachtern absetzt. Sie sieht alt aus, krustig, schwärzlich, hässlich. Und doch ist es der schönste Anblick, den ich mir vorstellen kann.

      »Warum hast du denn das nicht vorher gesehen?«, frage ich die KI.

      Ich lausche, ob etwas aus Richtung der Förderfabrik zu hören ist. Nichts deutet auf ein Gebäude, auf Maschinen hin. Ich muss näher ran, muss die Wände anfassen, um es zu glauben.

      Jorge verfolgt mit dem Blick eine Bewegung am dunklen Himmel, einen schiefen Blitz, der auf uns zuzuckt.

      Ich reagiere instinktiv, der Kriecher macht einen Satz. Für einen bangen Moment steckt ein Bein im Boden fest, doch ich kann es losreißen, und wir rennen los. Nicht fort vor dem, was sie nach uns werfen, sondern darauf zu.

      »Begreifst du jetzt?«, sagt Jorge.

      Ja, ich begreife. »Wahnsinnswavemaschine. Gute Tarnung.«

      Jorge nickt. »Offenbar waren die vor uns hier. Und sie wollen nicht teilen.«

      »Aber warum kann ich sie sehen?«

      »Du bist nicht bei Verstand, schon vergessen?«

      Was immer es für ein Waffentyp ist, den sie benutzen, das Geschoss schlägt hinter uns ein. Ich lasse den Kriecher weiterrennen, schneller und schneller.

      Jorge schaut auf seine Hände. Er wirkt bedrückt, so kenne ich ihn gar nicht.

      »Hätte ich die Nachricht an die Korpo nicht abgesetzt, hätten sie sie nicht abfangen können, hätten sie uns nicht entdeckt, hätten sie uns nicht die Hülle weggeschossen, wären wir nicht abgestürzt, hättest du deine Rezeptoren noch, wären ...«

      Plötzlich erfasst mich ein Anflug von Zärtlichkeit für Jorge. Er war wirklich noch sehr jung, schade um ihn. Ich habe noch nie versucht, ihn in diesem Zustand zu berühren. Jetzt tue ich es, nehme seine Hand, drücke sie kurz.

      »Du konntest es ja nicht wissen.«

      Das nächste Geschoss schlägt ein, verfehlt uns um wenige Meter. Meine Güte, haben die denn hier keine Energiewaffen? Keine Zielerfassung, nichts, womit sie mich auch in vollem Galopp treffen könnten?

      Auf der Außenhülle der Fabrik wird ein Logo erkennbar, ein ineinander verschlungenes, schwarzweißes Zeichen mit zwei Punkten. Habe ich noch nie vorher gesehen. Vielleicht gehört es zu einer vergessenen Korporation, vielleicht zu irgendwelchen Piraten. Macht keinen Unterschied.

      Ich könnte versuchen, eine Nachricht abzusetzen, ohne Siegel, könnte sie verraten. Dann hätten sie einen Krieg hier in ein paar Monaten. Oder ich erledige die Sache einfach selbst, so Zahn um Zahn, auch wenn ich keinen Zahn mehr habe. Ich kann ihnen ein Loch in den Wanst rennen und sie mit meiner Wut zu Asche verbrennen.

      7.

      Das Ende kommt dann ziemlich plötzlich. Zwei der vorderen Arme sacken in den Grund, die hinteren Arme fuchteln nutzlos durch die Luft. Eine Halterung ist gebrochen, Inventarkisten sind ins Rutschen gekommen. Ich bin eingeklemmt und zu schwach, um die Kiste, die auf mir liegt, wegzudrücken.

      »Jorge?«, frage

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