Die Bande vom Vorwald. Siegfried Böck
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„Zit, zit, selber schuld“, pflegte Herr Kleiber dann zu sagen, „zit, zit, wer so groß und vollgefressen ist wie dieser dumpfbackige Konrad Kohlmeise und seine noch vollgefressenere Gattin Carolina Kohlmeise, na ja, der hat eben Pech gehabt und muss draußenbleiben, zit, zit.“
Ein Eingangstor zu verkleinern, ist für Herrn Kleiber von Haus aus eine leichte Übung, denn wie der Name Kleiber schon aussagt, ist er ein Meister im Zukleben oder Zukleibern. Vor allem mit dem Baustoff Lehm kennt Herr Kleiber sich glänzend aus und er weiß daher natürlich auch, wo es den besten Lehm im ganzen Brommelshausener Stadtwald gibt. Natürlich weiß er auch, wie man den feuchten Lehm mithilfe von eigenem Speichel und anderen Zutaten fachgerecht an den Rändern eines zu großen Einflugloches anklebt und wie man auf die erste Schicht Lehm eine zweite, eine dritte und, wenn es sein muss, noch viele weitere Schichten aufträgt. Selbstverständlich weiß Herr Kleiber auch, wie lange der Lehm trocknen muss, bis aus dem weichen Lehmbrei eine steinharte Mauer entstanden ist.
Trotz all dieser meisterlichen handwerklichen Fertigkeiten von Herrn Kleiber war die Durchführung dieser Torverkleinerung mehr als eine Mammut-Heidenarbeit, denn das Tor war riesig und Herr Kleiber dagegen winzig klein. So sahen die staunenden Nachbarn einen lehmverschmierten Herrn Kleiber mehrere Tage emsig hin und her fliegen. Jedes Mal, wenn Herr Kleiber zurückkam, hatte er ein kleines Kügelchen Lehm in seinem spitzen Schnabel. Er klebte dieses Kügelchen sorgfältig an die vorgesehene Stelle am Eingangsloch, flog wieder davon, kam mit einem neuen Kügelchen zurück, klebte dieses Kügelchen an eine andere Stelle und hörte erst dann mit dem Gekleibere auf, bis wirklich nur noch er selbst sich durch die enge Einflugöffnung zwängen konnte. Kopfunter am Stamm der Kiefer hängend, betrachtete Herr Kleiber nun stolz und zufrieden sein Werk.
„Zet, zet, ich muss wirklich sagen, das Bauwerk ist mir meisterlich gelungen. Das ist jetzt mein Heim und meine Burg, zet, zet!“
Nachdem er dieses der Nachbarschaft lautstark mitgeteilt hatte, verschwand ein sichtlich erschöpfter Herr Kleiber für den Rest des Tages hinter seinen Burgmauern, die ihm jetzt niemand mehr streitig machen konnte.
Seither gehört Herr Kleiber zu den Bewohnern der Spechtsiedlung und hat hier in den Frühlings- und Sommermonaten, zusammen mit einer gewissen Frau Kleiber, auch schon mehrere Generationen kleiner, lärmender Spechtmeisen aufgezogen. Sobald die kleinen Kleiberlinge jedoch selbstständig geworden waren, war auch diese Frau Kleiber auf einmal verschwunden. Angeblich flog sie dann immer auf Kur, um sich von den Strapazen der Kindererziehung zu erholen. Nun gut, am Anfang wurde in der Nachbarschaft noch ein bisschen über die Kleibers und speziell über diese Frau Kleiber getratscht, dann immer weniger und irgendwann überhaupt nicht mehr und da fing man an die Kleibers zu akzeptieren. Denn trotz seiner Eigenheiten und seiner etwas gewöhnungsbedürftigen Art erwies sich Herr Kleiber letztendlich doch als umgänglicher und verträglicher Mitbewohner in der Wohngemeinschaft der mächtigen, allein stehenden Kiefer.
Die anderen beiden Wohnungen in der Spechtsiedlung blieben ohne feste Bewohner, wenn auch ab und zu eine namenlose Fledermaus den Tag in einer der beiden Höhlen verdöste. Bei Einbruch der Dämmerung verschwanden diese scheuen Besucher aber so heimlich, wie sie gekommen waren. Einmal übernachtete eine durchreisende Dohle in einer Spechtwohnung, aber auch dieser Gast blieb nur eine Nacht und flog am nächsten Morgen wieder seiner Wege.
Neben einer Vielzahl anderer Wohnungen und Nester gibt es in der Hochhaussiedlung der mächtigen, allein stehenden Kiefer auch eine Art von Supermarkt, ganz ähnlich dem großen Supermarkt in der Brommelshausener Hochhaussiedlung, und in beiden Märkten finden die hungrigen Besucher alles, was an Nahrungsmitteln für den täglichen Bedarf notwendig ist.
Die Abteilung für verpackte Lebensmittel befindet sich direkt unter der borkigen Rinde der Kiefer. Sie enthält ein sehr reichhaltiges Angebot an köstlichen, knackigen Käfern, leckeren Maden und delikaten Spinnen in allen Sorten, Größen und Geschmacksrichtungen. Der hungrige Besucher des Kiefern-Supermarktes braucht nur die Rinde mit dem Schnabel etwas anzuheben, dann vielleicht noch ein kurzer gezielter Schnabelhieb und schon liegt die Ware ausgepackt und schnabelfertig zubereitet vor ihm.
Wem das Auspacken zu anstrengend ist, kann sich auch mit unverpackten Lebensmitteln begnügen. Diese bestehen aus gefüllten Raupenspezialitäten, appetitlichen Fliegen, wunderbar süß schmeckenden Läusen, sauer zubereiteten Ameisen und manch anderen Leckereien. Die offene Ware ist für jeden gut sichtbar im Nadelwerk und auf den Ästen der Kiefer verteilt, allerdings muss der Kunde ein wenig beweglich sein, da manche der Leckereien die Angewohnheit haben, einfach davonzufliegen, sobald ein Schnabel oder eine Kralle nach ihnen greifen will.
Für Vegetarier hat der Supermarkt auch noch die Samen der Kiefernzapfen auf Lager, aber die sind so gut verpackt, dass nicht jeder diese schmackhaften Happen erreichen kann, außer man heißt zufällig Eichhörnchen oder Rötelmaus. Manchmal kann sich auch ein vegetarisch gesinnter Specht oder sogar ein Kleiber an den Samen-Leckereien erfreuen, aber das ist dann mehr die Ausnahme und passiert eigentlich nur im Herbst oder Winter, wenn die fleischliche Küche anfängt knapp zu werden.
Natürlich wird der Kiefern-Supermarkt tagein und tagaus von vielen Kunden besucht, schon allein, weil ja alles umsonst ist und wer kann dann schon solchen geschmackvollen Gratisangeboten widerstehen? Da sind natürlich die Kleibers, die sich hier bestens auskennen und genau wissen, wo sie die leckersten Spezialitäten mit ihren spitzen Schnäbeln ergattern können. Meike Himmelblau, die Blaumeise, die neuerdings den Nistkasten bei der Lichtung Tannengrün bezogen hat, ist ebenfalls ein häufiger Kunde im Supermarkt der Kiefer. Ebenso ihre Verwandtschaft aus den Sippen der Kohlmeisen und Tannenmeisen. Grünspechte, Buntspechte und Schwarzspechte bevorzugen ausschließlich die Ware, die verpackt unter der Rinde gelagert ist. Übrigens: Fidelius Klopfer ist seit seinem überhasteten Auszug kein Kunde mehr im Supermarkt.
Weil das Lebensmittelangebot so reichhaltig ist, genehmigen sich auch Emil Elster und seine Gefährtin Ella Elster ab und zu ein paar besondere Leckerbissen aus dem Angebot der Kiefer, aber nur wenn es sich gerade so ergibt. Ansonsten suchen sie ihr Essen lieber auf den Feldern und Wiesen in der Umgebung. Das gemächliche Abschreiten der Wiesen im Tal, wobei jeder Stein umgedreht wird, um an die dicken Asseln und Spinnen zu gelangen, oder das Stochern nach saftigen Regenwürmern im Morast beim Krähenbach macht einfach viel mehr Spaß. Zwischendurch können es auch ruhig mal ein Pilz, ein paar heruntergefallene Beeren oder, wenn es schon mal passiert, auch eine unvorsichtige Feldmaus sein. Vogeleier und kleine Vogelkinder schmecken zwar auch nicht schlecht, aber erstens bekommt man sie nicht alle Tage und zweitens sind diese Dinge in der Wohngemeinschaft des Hochhauses absolut tabu. Emil und Ella Elster stammen aus dem Geschlecht der Rabenvögel und in dieser großen Familie ist es eigentlich üblich, dass alle Mitglieder rabenschwarze Anzüge tragen, und das nicht etwa, weil alle Krähen und Raben ausgesprochene Trauerklöße sind, sondern weil es sich einfach so gehört und weil es schon immer so war. Raben und Krähen mögen Elstern schon deshalb nicht leiden, weil Elstern sich weigern, schwarze Anzüge zu tragen, sondern schwarz und weiß gemusterte Federkombinationen vorziehen. Aber ich glaube, das alles wurde schon einmal erwähnt und braucht deshalb nicht mehr weiter vertieft zu werden.
Emil und Ella Elster wohnen schon lange im Kiefernhochhaus, länger als die ganze Nachbarschaft zusammen. Hoch oben, im wogenden Wipfel der Kiefer, hat das Elsternpaar schon vor Jahren die riesige, mit derben Zweigen und Ruten überdachte Elsternburg bezogen. Die Bezeichnung „Burg“ ist dabei wirklich nicht übertrieben, denn dieses stolze Bauwerk ist bestimmt mehr als fünfmal so groß wie ein gewöhnliches Elsternnest. Das ursprüngliche Nest, so sagt man, wurde gar nicht von Elstern gebaut, sondern soll vor langer Zeit die Heimstätte des letzten großen Greifvogelpaares im Brommelshausener Forst gewesen sein (ob es wirklich Adler waren, konnte mir keiner bestätigen). Erst nach dem endgültigen Verschwinden der großen Vögel wurde der riesige Horst von einem baufreudigen Elsternpaar in Besitz genommen und mit viel Müh und Plage elsterngerecht