Die Bande vom Vorwald. Siegfried Böck
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Diebstahl im Wald
Es verspricht ein wunderschöner Sommertag zu werden, als der alte Forstmeister Sägebrecht, frühmorgens um halb sieben, in seinen Geländewagen steigt und sich zur Arbeit in seinen Wald aufmacht.
Die Sonne scheint schon kräftig von einem sattblauen Himmel und dieses Blau wird heute Morgen von keinem noch so kleinen Wölkchen getrübt. Im Autoradio verkündet der Wetterfrosch, dass das Wetter auch in den nächsten Tagen warm und niederschlagsfrei bleiben wird. Es ist also ein perfekter Morgen und nichts deutet darauf hin, dass der Tag weniger perfekt verlaufen könnte.
Langsam rumpelt der Wagen den Feldweg Nummer 3 entlang in Richtung Stadtwald. Am Steuer sitzt ein bestens gelaunter Forstmeister, der die Dauer der Fahrt nutzt, um sich noch ein paar Gedanken über den Ablauf des anstehenden Arbeitstages zu machen. Wie es sich für seinen Berufsstand so gehört, ist er ganz in Grün gekleidet, also grüne Hose, grünes Hemd und darüber noch eine grüne Lodenjacke mit großen Taschen. Neben ihm auf dem Beifahrersitz liegt zudem noch ein großer Försterrucksack, natürlich ebenfalls in Grün. In einer der Jackentaschen befindet sich selbstverständlich seine gut gefüllte Schnupftabakdose, denn ohne seinen geliebten Schnupftabak macht unser guter Forstmeister keinen Schritt aus dem Haus.
Habe ich ihn auch wirklich eingesteckt?
Seine rechte Hand löst sich vom Steuerrad und betastet die besagte Tasche. Erst als er die Konturen der Dose spürt, greift er wieder beruhigt zum Lenkrad und widmet sich weiter seiner Arbeitsplanung.
Da wäre die morsche Fichte im Nadelholzforst, die dringend gefällt werden muss. Diese anstrengende Arbeit will Forstmeister Sägebrecht möglichst noch in den kühleren Morgenstunden angehen. Später wird er den Baum noch entasten und den Stamm in grobe Klötze zersägen. Morgen Früh soll dann der junge Forstanwärter Horst Förster das ganze Zeug mit dem Ladewagen abholen. Übrigens: Der junge Forstanwärter heißt wirklich Förster und es hat wohl mit seinem Nachnamen zu tun, dass er seit seiner Kindheit davon träumt, nicht nur Förster zu heißen, sondern auch Förster zu werden.
Mittlerweile hat der Geländewagen den Feldweg Nummer 3 verlassen und ist auf einen unbefestigten Forstweg abgebogen. Der Weg führt zuerst durch einen Mischwald, dann wird die Lichtung Tannengrün durchquert und nach weiteren 500 Metern Holperstrecke hat der Forstmeister sein Ziel erreicht. Da hinten, im Nadelwaldstück, steht die Fichte. Es war einmal ein recht stattlicher Baum, aber die dürren Äste, die nur noch an wenigen Stellen mit braunen Nadeln bestückt sind, zeugen von seinem schlechten Zustand. So schlecht, dass der Forstmeister ihn bereits letzte Woche mit einem roten Farbkreis zum Fällen markiert hat.
Für einen erfahrenen Forstmeister sind solche Arbeiten nichts Besonderes, aber manchmal gibt es Tage, an denen nicht einmal die alltäglichsten Tätigkeiten gelingen wollen. Noch ist Forstmeister Sägebrecht aber damit beschäftigt, fröhlich vor sich hinpfeifend, Axt, Beil, Keile und Motorsäge auszuladen, und er kann natürlich nicht wissen, was heute noch alles auf ihn zukommen wird.
Dabei ist es doch wirklich ein herrlicher Tag. Die Sonne scheint immer kräftiger vom Himmel und dem Forstmeister wird es bei der Arbeit mit Axt und Motorsäge schnell warm in der dicken Försterjacke.
„Puh, ist das heiß!“, ächzt er und wischt sich mit seinem grünen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Schwerfällig schält er sich aus der Jacke und schaut sich suchend um. Er will die gute Jacke nicht einfach so auf den Waldboden legen, denn der ist mit einem Teppich aus dürren Fichtennadeln bedeckt und dürre Fichtennadeln auf der Lodenjacke sind etwas, was seine liebe Frau, die Forstmeisterin Waldtraud Sägebrecht, einfach nicht ausstehen kann.
„Waldemar, wie oft muss ich es dir denn noch sagen! Fichtennadeln lassen sich von der Lodenjacke nur ganz, ganz schwer abbürsten. Also, Waldemar, leg deine Jacke bitte nicht einfach so auf den Waldboden, ich bekomme sie sonst nicht mehr sauber!“ Genau so hat ihn Frau Sägebrecht schon öfters gescholten und auf neuerliche Zurechtweisungen ist Forstmeister Sägebrecht nicht sonderlich erpicht.
Sein suchender Blick fällt auf einen hohen Pfahl. Besser gesagt auf einen Wegweiser, denn auf der Spitze des Pfahles ist ein Schild mit der Aufschrift „Zur Lichtung Tannengrün 500 m“ angeschraubt.
Sieh an, das ist doch der ideale Kleiderständer, denkt sich der Forstmeister und ein paar Sekunden später hängt die Jacke sicher an der Pfahlspitze. Dort oben kann das gute Stück bestimmt nicht schmutzig werden. Zufrieden mit seiner Lösung wendet er sich wieder seiner Arbeit zu.
Aber die hat heute ihre Tücken. Immer wieder verkantet sich die Kettensäge in dem verwachsenen Holz der Fichte und klemmt so fest, dass er das Sägeschwert nur mit viel Mühe, viel Schweiß und mithilfe etlicher Keile wieder freibekommt.
„Verflixt und zugenäht, so ein störrisches Biest! Das hab ich ja seit meiner Lehrzeit nicht mehr erlebt“, brummelt er verdrießlich in sich hinein. Prüfend betrachtet er sein bisheriges Werk.
Der Einschnitt hinten ist eigentlich tief genug. Jetzt noch ein Einschnitt hier vorne, dann müsste der Baum doch fallen, überlegt er sich und setzt, keuchend vor Anstrengung, die Motorsäge noch einmal an. Die Säge jault auf, frisst sich ins Holz und dann passiert etwas, was einem altgedienten Forstmeister nie und nimmer passieren darf. So etwas dürfte nicht einmal dem jungen Horst Förster passieren und wenn, würde ihm gehörig der Marsch geblasen werden. Die Stelle für den Einschnitt war wohl falsch gewählt, denn die störrische Fichte fällt zwar endlich um, aber nicht in die Richtung, in die sie eigentlich fallen sollte. Nein, sie fällt ganz anders, und zwar genau auf den Holzpfahl mit dem Wegweiser „Zur Lichtung Tannengrün 500 m“ und damit auch auf die Försterjacke, die da hängt, um nicht mit Nadeln verschmutzt zu werden. Was für ein gewaltiges Knistern und Knacken, als der stürzende Baum den Wegweiser mitsamt der Försterjacke umreißt und dann mit einem ohrenbetäubenden Plumps zu Boden fällt. Wäre das Knistern und Knacken der fallenden Fichte nicht so laut gewesen, hätte man in einer Tasche der Försterjacke noch ein anderes, leiseres Knacken hören können. So ein typisches Geräusch, als wenn etwas Wertvolles zu Bruch gehen würde.
„Verflixt und zugenäht, das darf doch nicht wahr sein!“, schimpft Forstmeister Sägebrecht und betrachtet missmutig seine Schnupftabakdose, die er gerade aus der Tasche seiner jetzt über und über mit dürren Fichtennadeln bespickten Jacke gezogen hat. Es ist die schöne Dose aus goldglänzendem Metall und mit dem Waldbild auf dem Deckel. Das zerknautschte Ding, das er jetzt in der Hand hält, hat allerdings kaum mehr Ähnlichkeit damit und das Schlimmste daran ist – aus einem großen Loch auf der Unterseite der einstmals schönen Dose rieselt ein schwarzbraunes Pulver.
„Mein guter, teurer Schnupftabak!“, ruft Forstmeister Sägebrecht entsetzt und presst seinen dicken Zeigefinger so fest auf das Loch, dass kein einziger Krümel es mehr schafft, zu entfliehen. Mit dem Zeigefinger auf dem Loch in der Dose rennt er dann, so schnell ihn seine alten Beine tragen, zu seinem Rucksack, den er ein Stück weiter weg an einem Buchenstamm abgelegt hat. Der gute Schnupftabak muss gerettet werden, koste es, was es wolle. Und unser Forstmeister hat auch schon eine Idee. Im Inneren des Rucksackes befindet sich neben verschiedenen Sachen, die ein Forstmeister eben so braucht, wie Jagdmesser, Feldflasche und Regenumhang, auch ein leckeres Vesperbrot, welches Frau Forstmeisterin Sägebrecht heute Morgen liebevoll mit Schinken und Käse belegt hat. Dabei erinnert er sich noch gut an ihre Worte.
„Waldemar, hör mir zu! Deine Vesperdose ist kaputt. Ich verpack dein Vesperbrot heute ausnahmsweise in eine Aluminiumfolie und besorge dir heute noch im Supermarkt eine neue Dose.“ So hat seine Waldtraud heute Früh doch gesprochen. Frau Sägebrecht denkt sehr umweltbewusst und will die wertvolle Alufolie wirklich nur für diesen Notfall als Vesperbrotverpackung benützen.
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