Fleischbrücke. Gerd Hans Schmidt
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Dr. Ruschka nimmt Ilse und mich zur Seite.
»Dass euch beiden das widerfahren musste. Ausgerechnet in der Hochzeitsnacht. Ich muss gestehen, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Da muss doch ein Wahnsinniger gewütet haben. Ihr geht jetzt nach Hause. Ich kann das hier mit den übrigen Kollegen übernehmen.«
»Meinen Sie, Chef, wir könnten uns jetzt auf unser Sofa setzen, gleich da drüben in der Winklerstraße, und noch einen Sekt trinken vor dem Schlafengehen? Der Anblick reicht mir für die nächsten zehn Jahre oder noch mehr. Ich bin da nicht so empfindlich, aber das übersteigt selbst meine Vorstellungskraft.«
»Sie haben nichts gesehen, also außer dem Toten?«
»Nein, wir waren mit uns beschäftigt, als wir über den Hauptmarkt gegangen sind. Aber ich denke, da war auch niemand außer uns, oder Wolff?«
»Nein, ich habe niemanden bemerkt. Aber lange kann das nicht her gewesen sein, das Blut lief noch aus den Wunden, wenn man überhaupt von Wunden sprechen darf. Nein, nein, auch als ich auf die Brücke gegangen bin, war da kein anderer.«
Der Chefpathologe aus Erlangen trifft gerade ein und macht sich an seine Arbeit. Ohne Rechtsmediziner darf die Spurensicherung die Leiche in so einem gravierenden Fall nicht abtransportieren, auch wenn sonst alle Spuren festgehalten und dokumentiert sind. Auch Staatsanwalt Gastner ist erreicht worden und kommt zu uns herüber.
»Meine Herrschaften, dass so etwas in Nürnberg möglich ist. Ich habe es schon gehört, Frau Merkel, Herr Schmitt, sie hätten sich den Ausklang dieser Nacht auch anders vorgestellt. Es gibt keine Hinweise oder Anhaltspunkte?«
»Gar nichts, Gastner, tut uns leid. Wir haben nur im Dunklen auf der Brücke etwas wahrgenommen und ich habe mir das natürlich näher ansehen müssen. Aber wir haben sonst niemanden beobachtet. Es war, ja, wie soll ich es sagen, totenstill um diese Zeit.«
Der Chef kommt mit dem Pathologen Dr. Rosser zu uns herüber.
»Ja meine Herren, die Dame, das ist das Entsetzlichste, was mir in meiner ganzen Laufbahn untergekommen ist. Ich hatte schon die schlimmsten Opfer, vor allem Unfallopfer. Aber dass das jemand vorsätzlich getan hat, ist unvorstellbar, aber leider wahr. Wann sagten Sie, haben Sie die Leiche gefunden?«
»Das war so kurz nach halb vier, richtig Ilse?«
Sie nickt mir zu.
»Dann haben Sie den oder die Täter nur kurz verpasst. Ich schätze mal, dass das nicht früher als so um drei geschehen ist. Genaueres kann ich erst im Institut feststellen. Ich kann mir hier nur ein grobes Bild von der Situation machen, was aber wichtig für die nachfolgenden Untersuchungen ist. Und ich muss Ihnen gestehen, mein Magen war kurz davor …!«
»Vorausgesetzt, es ist hier auf der Brücke passiert.«
»Eher ja. Wie gesagt, ich muss das alles genau untersuchen, aber die Blutspuren auf dem Pflaster sprechen dafür. Außerdem wäre es eine logistische Meisterleistung gewesen, diesen so zugerichteten Körper hierher zu transportieren.«
»Es war ein Wahnsinniger?«
»Kann man nie wissen. Es gibt Täter, die so emotional überfordert sind, dass sie einfach völlig die Kontrolle verlieren. Aber es spricht einiges für ein pathologisches Tätermuster.«
Herbert Wagner kommt zu Fuß um die Ecke. Er hat hier in Nürnberg in der Nähe der Burg eine schöne Zweizimmerwohnung, seine Frau starb schon vor einigen Jahren und so zog er vom Eigenheim auf dem Land lieber in die Innenstadt. Er hatte ebenfalls noch nicht geschlafen und war am Handy erreicht worden.
»Leit, Leit, wos muss ich do hör’n? So ein Massaker mitten in unserer schönen Stadt. Ich muss mer des anschaun.«
»Tu dir das nicht an, mein alter Freund. Das übersteigt unsere Vorstellungskraft.«
»Ach Wolff, ich hob in mein’ Leben scho so viel g’sehn, ich denk’, des schaff ich ah no. Außerdem, wenn ich mitermitteln soll, dann muss ich des g’sehn hob’n.«
Nach drei Minuten kommt Herbert schweigend zurück.
»Du host recht, Wolff, so wos glaubt ka Mensch. Und des wor auch ka Mensch, der des g’macht hot. Ich bin etz neunafuchzich, aber in meiner gesamten Laufbahn, na ja, bis zum Oberkommissar hob ich’s bracht, ist mir so wos net begegnet. Grausam. Unwirklich. Net vorstellbar.«
Dr. Ruschka nimmt mich am Arm beiseite und flüstert mir ins Ohr.
»Herr Schmitt, ich denke, wir werden am Montag anderes zu tun haben, als Beförderungen zu feiern. Und da Herr Wagner in ihre Abteilung kommt, wovon ich stark ausgehe, dürfen Sie ihm das eröffnen, auch wenn das jetzt ein völlig falscher Zeitpunkt ist. Aber der Mann braucht genau jetzt in diesem Moment eine kleine Stütze.«
Menschenkenntnis eben. Ich gehe mit Herbert ein paar Schritte zur Seite.
»Mein lieber, guter Herbert, dass uns so was vor die Füße fallen muss. Ich habe bei der Feier schon mit Cem und Harald gesprochen, wegen der neuen Abteilung. Du bist doch dabei, oder? Ich kann da einen erfahrenen Hauptkommissar gut gebrauchen.«
»No klor, Wolff. Do mach ich selbstverständlich mit. Aber du host a weng vill drunk’n. Ich bin immer no Oberkommissar, leider.«
»Ab Montag nicht mehr, Herbert. Der Chef hat mich gebeten, dir das heute noch zu sagen, weil am Montag im Kommissariat der Teufel los sein wird. Deine Beförderung zum Hauptkommissar ist bewilligt und liegt am Montag bei dir auf dem Tisch.«
Herbert sieht mich lange an, dann bemerke ich seine feuchten Augen. Er zieht mich zu sich und umarmt mich.
»Dass des doch noch geklappt hot. Des iss schee. Des gibt dann halt doch a weng a bessere Rent’n.«
»Bedank’ dich beim Chef, der hat sich für dich eingesetzt. Wir können froh sein, dass der zu uns gekommen ist.«
Kapitel 2 – Jungblut
Es ist gegen acht Uhr in der Früh, als Ilse und ich dann doch einschlafen. Im Wohnzimmer auf dem Sofa. Die Stadt regt sich nicht. Sie kann sich nicht regen, weil der gesamte Bereich innerhalb der früheren Stadtmauern noch immer abgeriegelt ist. Der Chef hat alles mobilisiert, was zu verantworten war. Die Busse der Einsatzkommandos stehen rings um die Altstadt. Keiner kommt hinein und keiner geht hinaus, ohne dass die Identität der Person zweifelsfrei feststeht und dokumentiert ist.
Und was da für Zufallsfunde ins Netz gingen. Fleißige Drogenhändler, die ihre Arbeit in den Nachtclubs getan hatten und auf dem Nachhauseweg waren, völlig Betrunkene, die ihr Mütchen mit allerlei Sachbeschädigungen kühlten und natürlich Minderjährige, die um diese Zeit hier sowieso nichts mehr zu suchen hatten.
»Wenn schon ein Fußballderby Tausende von Polizisten in Beschlag nimmt, dann rechtfertigt dieser Mord erst recht einen solchen Einsatz«, meinte der Chef, als er am Telefon lautstark immer und immer wieder neue Leute forderte.
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