Fleischbrücke. Gerd Hans Schmidt
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Aber es ergab sich keine Spur, die auch nur annähernd mit dem Mord zu tun haben könnte und so wurde das Sperrgebiet am Sonntagvormittag aufgehoben. Nur die Fleischbrücke blieb weiter abgeriegelt und man sah die Spuren des schrecklichen Verbrechens noch deutlich. Auf jeder Seite der Brücke standen Polizeibeamte, die niemanden näher herantreten ließen. Der Rechtsmediziner hatte das angeordnet, falls noch weitere Untersuchungen vor Ort nötig wären.
Es ist Montag, 11.15 Uhr im Präsidium. Meine an meinem Hochzeitstag gebildete Sondereinheit kommt im großen Besprechungsraum zusammen. Dr. Ruschka und Staatsanwalt Gastner sind ebenfalls zugegen. Dr. Ruschka eröffnet die Besprechung.
»Meine Damen und Herren, in Nürnbergs Kriminalgeschichte ist ein neues Kapitel aufgeschlagen worden. Ich habe mich erkundigt. So ein grausames Verbrechen gab es in den letzten siebzig Jahren nicht. Von der Zeit davor möchte ich nicht sprechen. Die Statistik berichtet zwar von einer ganzen Reihe brutaler Morde, aber so ein irrsinniges, menschenverachtendes Schlachten hat es noch nie gegeben, entschuldigen Sie bitte meine Ausdrucksweise. Der Vorfall von Samstagmorgen übersteigt jede Vorstellungskraft. Und was mich am meisten beunruhigt, ist der Gedanke, dass dieser Wahnsinnige da draußen herumläuft und sein nächstes Opfer suchen könnte.«
Ein Raunen geht durch den Raum.
»Aus Sicht der Polizei gibt es derzeit weder Spuren noch Anhaltspunkte, die auf einen bestimmten Täter hinweisen. Die Spurensicherung arbeitet noch und die Rechtsmedizin ist auch noch nicht so weit. Wochenende halt. Herr Schmitt, Sie leiten in der neuen Abteilung die Ermittlungen. Wie sollen wir vorgehen?«
»Nun, ich habe mir das folgendermaßen gedacht. Wonach müssen wir suchen? War es ein Täter oder waren es mehrere? Das ist meiner Meinung nach der erste Ansatzpunkt. Und, ihr Kriminologen, meine Kenntnisse auf diesem Gebiet sagen mir, dass es nur ein Täter gewesen sein kann. Ich kenne keinen Fall in der Kriminalgeschichte, wo mehrere Täter gemeinsam ein solches Schlachtfest veranstaltet haben.«
»Tschäck, der Ribber.«
»Herbert, du hast ausnahmsweise recht. Nur so kann ich mir das vorstellen. Wobei es natürlich keine nachfolgende Tat geben muss. Hoffe ich jedenfalls. Wenn nicht, kommt ein Albtraum auf uns zu. Da wir im Moment keine greifbaren Ansatzpunkte haben, schlage ich folgende Aufteilung vor. Ilse, du recherchierst europaweit nach ähnlichen Fällen, wenn es die überhaupt gibt. Ich denke, du musst da schon bis zu 35 Jahre zurückgehen. Harald, du überprüfst alle Gewalttäter, die derzeit einsitzen. In Haft und in der Psychiatrie. Nicht, dass es einer von denen gewesen sein könnte, sonst hätten wir die Fahndungsmeldung spätestens heute Morgen hier gehabt. Aber ich will mir ein Bild machen können.«
»Und einer aus dem Ausland? Der ehemalige Ostblock und der Balkan strömen geradezu herein!«
»Gut, dass du das erwähnst, Cem. Das wird deine Aufgabe sein. Da hast du dich beim letzten Mal schon bewährt.«
»Danke Chef.«
»Ich darf an dieser Stelle unsere neue Kollegin Hannah de Fries begrüßen.«
Alle klopfen auf den Tisch.
»Frau de Fries ...«
»Nennen Sie mich bitte Hannah. Und das gilt für alle hier. Ich möchte nicht die einzige sein, die gesiezt wird.«
Es folgt zustimmendes Klopfen.
»Also Hannah. Wir beide fahren morgen nach Erlangen in die Rechtsmedizin und unterhalten uns mit Professor Dr. Rosser, um erste Erkenntnisse noch vor seinem schriftlichen Bericht zu bekommen. Ich würde Sie ..., also dich dann bitten, dass du dich mit den Motiven solcher Taten anhand der Kriminalgeschichte befasst.«
Ilse wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Und schließlich Hauptkommissar Herbert Wagner. Ja, Kollegen, es hat doch noch geklappt!«
Lautes Klopfen folgt.
»Herbert, du ziehst durch die Innenstadt rund um den Tatort. Du befragst in deiner leutseligen Art alle, die du erwischen kannst. Da konnte vielleicht einer nicht schlafen, hat aus dem Fenster gesehen und etwas für ihn Harmloses, aber für uns ungemein Wertvolles gesehen oder gehört. Da ging einer Zigaretten holen und wurde vom Täter angerempelt und so weiter. Du weißt, was ich meine.«
»Scho, Wolff. Des iss mei’ Spezialität!«
»Also Herrschaften. Dann los und in zwei Tagen um die gleiche Uhrzeit treffen wir uns hier. Außer es ergibt sich vorher etwas. Ich gebe Dr. Ruschka recht. Die Sache eilt. Ich will nicht hoffen, dass da ein Psychopath rumläuft, der so weitermacht.«
»Und eine Frau als Täterin?«
»Ilse, nein. Du hast dieses Opfer nicht gesehen. Ich halte das für ausgeschlossen. Wahrscheinlichkeit bei ein Prozent.«
»Wirklich?«
»Möglich ist alles. Dann fassen wir die Möglichkeit mit ins Auge.«
Auf dem Flur.
»Wolff, wieso du und diese Hannah. Du hättest auch mich mitnehmen können.«
»Ist das die erste Eifersuchtsszene? Ilse, ich muss sehen, woran wir mit ihr sind. Es gibt zwar nur Lob, aber ich will mir selbst ein Bild machen. Wenn es darauf ankommt, muss ich mich, oder müssen wir uns auf sie verlassen können!«
Zugegeben. Hannah de Fries ist 27 und eine sehr attraktive junge Frau. Ihre fast schwarzen, seidig glänzenden Haare trägt sie nach hinten zu einem Zopf gebunden. Ihr schönes Gesicht mit den großen, runden, dunkelbraunen Rehaugen und zarten femininen Zügen kommt dadurch noch besser zur Geltung. Sie hat einen kleinen Mund, aber volle Lippen. Und irgendwie hat sie einen dunklen Teint. Sie ist sehr schlank, nicht sehr groß, aber ihre weiblichen Formen sind bestens betont. Ich habe sie bislang nur in ganz engen, glänzend schwarzen Hosen und einer ebenso engen schwarzen Lederjacke gesehen. Darunter trägt sie stets nur ein dunkles T-Shirt, das den Blick auf ihren Bauchnabel zulässt, wenn sie sich aufrichtet oder nach hinten streckt. Also es gibt sicher nur wenige Männer, denen das alles entgeht und ich kann Ilse verstehen.
Mir ist nur aufgefallen, dass sie nie richtig lächelt, sie hat so etwas Verletzliches in ihrem Ausdruck.
Am nächsten Tag gegen 9.30 Uhr in Erlangen. Hannah de Fries und ich betreten den weiß-schwarzen, quaderförmigen Bau in der Universitätsstraße. Dr. Rosser ruft uns in den Sezierraum.
Auf dem Tisch aus Edelstahl liegt dieser traurige menschliche Rest, den ich in der Nacht von Freitag auf Samstag auf der Fleischbrücke gefunden hatte. Hannah zeigt keine Reaktion auf diesen entsetzlichen Anblick. Ihr Blick ist ernst und konzentriert auf den Tisch gerichtet.
Der Rumpf ist zwar vom Blut gereinigt und der entsetzliche Gestank verflogen, aber der Anblick ist immer noch grauenvoll.