Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt. Teil III. Erhard Heckmann
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Die Gründung von Graditz ist nicht genau feststellbar, aber sie fällt in die Zeit des Kurfürsten Johann Georg III von Sachsen um das Jahr 1686 auf dem rechten Elbufer, während die Vorwerke Döhlen und Neubleesern etwa fünf Kilometer östlich von Torgau lagen. Insgesamt umfasste die Gestütsanlage 1.336 Hektar, und bis auf 536, die Ackerland waren, handelte es sich beim Rest um Weidegebiet. Auf Anordnung des Kurfürsten wurde zunächst Repitz, vier Jahre später Döhlen entwickelt, und bereits 1630 erwähnt der Kurfürst in einem Brief an Oberstallmeister von Tauben das „Stutterey-Vorwerk Graditz“. Als der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) zu Ende ging, war Graditz ein verpachtetes Kammergut, das Pferde für den Dresdener Marstall zu liefern hatte, und 1665 berichtete der Verwalter Ketterlein, dass in Graditz noch 34 Pferde standen: 19 alte Stuten, vier Vierjährige, je zwei Zweijährige und Jährlinge, vier Fohlen, zwei Deckhengste und ein Wallach. 1681 wurde die Landwirtschaft von Graditz mit dem erwähnten Döhlen, das schon 1597 als „Vorwerk Graditz mit dem Gute Döhlen“ erwähnt wurde, verpachtet. Im Frühjahr 1686 kaufte der Kurfürst die „Mark Rewitz“ nördlich von Torgau auf dem linken Elbufer (später als Gestüts-Vorwerk Repitz bezeichnet), und richtete dort eine „Stutterly“ ein. Über dem Eingangstor zu diesem Gestütshof steht, im Gegensatz zu den Döhler-Bauten mit 1690, die Jahreszahl 1686. 1691 kamen durch Kauf auch Ländereien des Dorfes Werdau hinzu.
1718 beschloss August der Starke die Errichtung der Gestüte Graditz und Kreyschau, deren Ausbau 1722 und 1723 erfolgte, während gleichzeitig mehrere andere Gestüte aufgelöst oder nach „Graditz“ verlagert wurden, sodass damals in den Stallungen 545 Pferde, darunter 60 englische und orientalische Stuten, gestanden haben sollen. 1723 wurde das Graditzer Barockschloss, das später der Wohnsitz des Landstallmeisters war, nach den Zeichnungen des Hofbaumeisters M. D. Pöppelmann mit den zugehörigen Gebäuden für den sächsischen Kurfürsten und König von Polen, August den Starken, gebaut. Als der Meister des Dresdner Barock, dessen Handschrift auch der weltberühmten Zwinger, Schloss Pillnitz oder das Jagdschloss und Marstall Moritzburg tragen, seine Pläne verwirklicht hatte, war ein hochherrschaftlicher Bau um einen ebensolchen Innenhof mit Schloss und großzügigen Stallungen entstanden.
Am Ende des Napoleonischen Krieges und dem Wiener Kongress 1815, als Sachsen an Preußen ging, fiel auch Graditz mit einem Bestand von 186 Stuten, 179 Fohlen und acht Hengsten an die neuen Herren, und die Warmblutzucht wurde wieder aufgenommen, weil Preußen leichte, zähe, wendige und flinke Pferde für das Heer brauchte. Die dafür notwendigen Veredlertypen mussten jedoch erst eingeführt oder gezüchtet werden. „Veredlungs-Material“ kam einige Jahre später auch aus Neustadt an der Dosse, das 1787 von König Friedrich Wilhelm II. als Gestüt gegründet worden war.
Das Graditzer Schloss am Tag der offenen Tür „300 Jahre Graditz“am 11.10.1986 – inzwischen hat der Freistaat Sachsen die Gestütsanlage in altem Glanz wiederhergestellt – (Foto: Siegfried Müller, Leipzig)
Hier traf 1790 auch die erste vom Staat angekaufte Vollblutstute, die Godolphin Arabian-Urenkelin Gentle Kitty (1774; Silvio) ein, deren Familie später in der österreichisch- ungarischen Zucht eine wichtige Rolle spielte. 1787 war in Neustadt auch der erste nachweisbar importierte Vollblutbeschäler aus England ausgeladen worden, doch deckte der von dem Cade-Sohn Matchem stammende Alfred (1970), dessen Mutter Snap Mare eine Flying Childers Urenkelin war, hier nur ein Jahr. 1805 folgte ihm der 1800 geborene Saxony, der von dem Highflyer-Sohn Delphini stammte, und den Stallmeister C. J. Stubberg im gleichen Jahr auf der Insel gekauft hatte. Im Oktober 1806 musste der Hengst, zusammen mit weiteren 45 Gestütspferden und unter der Führung des „Pferdearztes“ G. Gottlieb Ammon aus Neustadt zu Fuß vor Napoleon fliehen. Zunächst ging es nach Trakehnen, wo sich der dortige Bestand dem Tross anschloss, um gemeinsam in das Gebiet von Szawlen nach Russland zu ziehen. Auf der Rückreise deckte der Vollblüter als Hauptbeschäler einige Jahre in Trakehnen, später wieder in Neustadt.
An dieser Stelle sei auch ein kurzer Blick auf das einstige Trakehnen gerichtet, das der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. 1732 mit mehr als 1.100 Pferden als das „Königliche Stutamt Trakehnen“ im Osten seines Reiches gründete, um die Kavalleriepferde selbst zu züchten. Das Land um den Gründungsort „Trakischken“ – zwischen Gumbinnen und Stallupönen – wurde gerodet und trocken gelegt. Die Gestütsanlagen wurden parkähnlich gestaltet, und im Laufe der Zeit entstand ein Staat im Staate, der sich selbst versorgen konnte, und in dem 1940 etwa 1.000 Menschen Arbeit fanden. Auf den 10.000 Hektar verteilten sich 16 Zuchthöfe mit großer Landwirtschaft, eigenen Handwerksbetrieben, mehreren Schulen, Krankenhaus, Apotheke, Post, einer damals hochmodernen Mühle mit angeschlossenem Speicher, Verwaltung, Wohnungen, dem zentral gelegenem, bekannten Hotel Elch und Friedhöfen. Am Ende des zweiten Weltkrieges mussten die Trakehner aus Ostpreußen fliehen, und eine kleine Population, die den Treck in den Westen schaffte, sicherte den Fortbestand dieser traditionsreichen und ältesten Reitpferdrasse Deutschlands, die auch international als Ursprungszucht längst anerkannt ist. Logisch auch, dass sich die Trakehner Zucht genetisch lückenlos auf die Gründung des Hauptgestüts Trakehnen zurückführen lässt. 1947 wurde in Hamburg der Trakehner Verband gegründet, der heute in Neumünster seinen Sitz hat, und 2007, anlässlich des Trakehner Hengstmarktes, „275 Jahre Trakehner“ mit einer eindrucksvollen Gala feierte.
Als Hofgestüt gegründet, ging das Hauptgestüt 1786 nach dem Tod Friedrich II., mangels privater testamentarischer Verfügung, in das Eigentum des Staates über. Der Aufbau der Zucht wurde durch Kriege und Evakuierungen – 1806/7 nach Russland; 1812/13 nach Schlesien oder durch den Ersten Weltkrieg (1914/1918) – erschwert. Die Hauptaufgabe des Gestüts bestand für etwa 200 Jahre darin, Hengste für die Landespferdezucht zu liefern, während nach dem Ersten Weltkrieg Militär und Landwirtschaft ganz konkrete Anforderungen an die Trakehner stellten, wobei die Landstallmeister Graf Siegfried von Lehndorff, der mit 143 Siegen (495 Starts) im Rennsattel drei mehr notierte als sein Vater Georg, und Dr. Ehlert sich ganz besonders engagierten. Und bis heute werden die Trakehner als einzige Reitpferderasse nach den Prinzipien der Reinzucht mit hohen genetischen Anteilen des englischen und arabischen Vollblüters, des Shagya- und Anglo-Arabers unter Berücksichtigung vorgegebener Selektionskriterien gezüchtet. Und als Hauptaufgabe dazu sieht der Verband „diese Ursprungszucht in ihrer besonderen trakehnerspezifischen Ausprägung zu fördern und durch geeignete Maßnahmen einen bestmöglichen Zuchtfortschritt sicherzustellen,“ um ein „im Trakehnertyp stehendes, rittiges und vielseitig veranlagtes Reit- und Sportpferd mit gutem Exterieur und Charakter zu erhalten.“ Als berühmtester Trakehner gilt bisher Tempelhüter, dessen Vater Perfectionist ein von Lord Wolwerton 1899 gezogener Vollblüter war, der Persimmon zum Vater hatte. Und dieser St. Simon-Sohn zählte zu seinen größten Rennerfolgen das Englische Derby, das Doncaster St. Ledger und einen zweifachen Sieg im Ascot Gold Cup. Tempelhüter war zunächst Landbeschäler in Braunsberg, danach, von 1916-1931, Hauptbeschäler in Trakehnen. Dort deckte er 495 Stuten, die 333 lebende Fohlen hinterließen. 59 davon wurden Trakehner-Mutterstuten, 65 Beschäler.
Heute befindet sich das frühere Trakehnen im russischen Teil des ehemaligen Ostpreußens und heißt Jasnaja Poljana. Pferde gibt es dort nicht mehr, doch der „Mythos der Elchschaufel“ der einstigen Pferdehochburg hat noch viele Freunde. Und so gelang es auch dem „Verein der Freunde und Förderer des ehemaligen Hauptgestüts Trakehnen“, dessen Ziel es ist, „Trakehnen“ mit Spenden als Kulturgut vor dem Verfall zu retten. Der Anfang ist längst gemacht, und im Einvernehmen mit der örtlichen Bevölkerung und den russischen Behörden konnte von den verfallenden Gebäuden