Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt. Teil III. Erhard Heckmann
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Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Zucht nahezu zum Erliegen, denn die gesamte Herde wurde aufgelöst, ein Großteil des Pferdebestandes als Kriegsbeute nach Russland und Polen abtransportiert, und der 15-jährige Alchimist erschossen, weil er sich nicht einspannen ließ oder einen Reiter verweigerte. Der 28 Jahre alte Herold hatte das gleiche Schicksal schon beim Einmarsch der Russen erlitten, womit das vorläufige Ende von Graditz gekommen war. Das weltbekannte Preußische Staatsgestüt, das 56 klassische Sieger absattelte, im Schnitt 40 bis 45 Zuchtstuten unterhielt, jährlich zehn bis 15 Pferde aller Altersgruppen versteigerte, die keinesfalls Ladenhüter sondern begehrt waren, dessen Hengste dank staatlicher Subventionen zu günstigen Taxen auch den Stuten privater Züchtern zur Verfügung standen, und das auch die Kavallerie mit Vollblütern versorgte, um in die Landespferdezucht die nötige Härte und Ausdauer zu bringen, hatte aufgehört zu existieren.
Der Neubeginn war nicht nur in Graditz schwierig, doch begannen die Rennen in Mitteldeutschland 1945 schon ein Jahr früher als in Westdeutschland. 1948 gab es durch den aus Leipzig angereisten Birkhahn eine erste „Gemeinsamkeit“, als der Hoppegartener Derbysieger auch das „Blaue Band“ zu Hamburg gewann. Ein Jahr später meldete sich auch das Gestüt Schlenderhan eindrucksvoll zurück, als es mit Asterblüte und Aubergine alle klassischen Rennen gewann: Schwarzgold Rennen, Diana, Union und Derby gingen an Erstere, St. Ledger und Henckel Rennen an ihre Stallgefährdin. Dass jedoch schon 1951 ein Pferd wie Neckar zur Verfügung stand, das war nicht zu erwarten.
Wenn die deutsche Vollblutzucht heute weltweit geachtet ist, so hat auch Graditz einen Meilenstein dazu beigetragen, diente der Gemeinnützigkeit und wurde dieser gerecht. Über Generationen spielte es neben großen Privatzuchten eine wichtige Rolle und schrieb eines der bedeutendsten Kapitel der deutschen Vollblutzucht. Graditz war aber nicht nur eine Macht, sondern auch eine „Weltanschauung“, und die ganz große Bedeutung dieses Gestüts war die Tatsache, dass es auch privaten Züchtern hervorragende Hengste zur Verfügung stellte, denn der private Beschäler-Erwerb vom Format eines Galtee More (Sieger der englischen Triple Crown), Ard Patrick oder gar eines Dark Ronald, der ein Glücksfall gewesen sein mag, war kaum möglich. Mit Graditz, dessen Rennstall sich nicht am Nützlichkeitssport beteiligte, hat der Staat damals bewiesen, dass er um die Bedeutung der Vollblutzucht wusste, denn auch die Decktaxen (1937 kosteten Alchimist und Herold jeweils 300 Mark) kamen kleinen Züchtern entgegen. Aber auch große Privatzuchten wie Waldfried oder Schlenderhahn zogen von den Graditzer Aktivitäten großen Nutzen. So stammte Oleanders Mutter Orchidee von Galte Moore, und der Vater des großartigen Schlenderhaners, Prunus, war ein Sohn von Dark Ronald.
Bis Graditz seinen ersten Derbysieger, den Charmant-Sohn Potrimpos, absatteln konnte, schrieb man bereits das Jahr 1886, doch als die Schwarz-Weißen Farben fünf Jahre später die deutsche Gewinnstatistik mit rund 250.000 Mark anführten, gab es bereits „Aufregung“. Damals unterzeichneten achtzehn Besitzer eine Resolution an die Rennvereine, um die Graditzer von bestimmten Rennen auszuschließen und Pferden in Privatbesitz in anderen Prüfungen Gewichtserlaubnisse einzuräumen. Welch eine Anerkennung für eine Zucht!
In unserer heutigen Zeit rücken die damaligen Namen wie Abendfrieden, Alchimist, Arjaman, Agamemnon, Aditi, Herold oder Dark Ronald in den Pedigrees der aktiven deutschen Vaterpferde und Zuchtstuten in immer weiter zurückliegende Pferde-Generationen, sodass nur noch verantwortliche Züchter und Gestütsleiter ihre Bedeutung kennen, und der durchschnittliche Turffreund kaum noch beurteilen kann, wie die Graditzer die eine oder andere Zucht beeinflussten. Denkt man allein an Alchimist und Arjaman, dann muss man für die unmittelbaren Nachkriegsjahre nur Adlon, Akari, Alarich, Alpenkönig, Birkhahn, Blauer Reiter, Literat, Priamos, Tajo, Kaiseradler, Kronzeuge, Basalt, Norfolk oder Obermaat und Zank oder andere nennen, um die Leistung dieser Hengste richtig einzuschätzen. Und alles, was mit dem großen Ticino zu tun hat – und das sind außer dem neunfachen Beschäler-Champion beispielsweise Hengste wie Neckar und Orsini – führt den Dark Ronald-Sohn Aditi.
„Ganz früher“ war der Spruch geläufig: „Was wäre Graditz ohne Antwort (1907; Ard Patrick), die Hanielsche Zucht ohne Tay (1895: Bend Or), Schlenderhan ohne Danubia (1902: Saphir), Waldfried ohne Festa (1893: St. Simon)?“ Später gab es eine Abwandlung: Was wäre Graditz ohne Alchimist, Zoppenbruch ohne den Stutenerzeuger Arjaman (als starker Überbeißer heute wohl chancenlos?), oder Schlenderhan nach 1960/70 ohne Birkhahn? Bis 1959 wirkte dieser im Nachkriegs-Graditz, das vorher als Lieferant und Vermittler von Deckhengsten eine ganz besondere Bedeutung erlangt hatte. Andererseits war es auch ein Glücksfall, dass so international anerkannte Fachmänner wie Georg Graf Lehndorff und, als Nachfolger, sein Sohn Siegfried 56 Jahre lang die Geschicke des Gestüts leiteten.
Graditz hatte bei seinen Qualitätsankäufen auch keinerlei Kosten gescheut und, als Oberlandstallmeister Burchard von Öttingen Dark Ronald importierte, tief in die Tasche gegriffen. Für den die Eclipse-Hengstlinie vertretenden, 1905 in Irland geborenen Bay Ronald-Sohn waren das 25.000 Pfund, oder, nach damaligem Wechselkurs, 500.000 Goldmark. Auch der Epsom Derbysieger von 1902, Ard Patrick, ein St. Simon-Enkel, der an der 1907 geborenen Antwort eine der größten deutschen Stammstuten zeugte und von 1904 bis 1923 in Graditz wirkte, war, wie auch der 1894 geborene Galtee Moore, der von 1906 bis 1916 seine Dienste an der Elbe erfüllte, keine Billigware. Ein weiterer Import war der Franzose Nuage, Derby-Sieger, St. Simon-Enkel und 1907 geboren. Der bis 1930 in Graditz stehende Hengst, den Siegfried Graf Lehndorf 1910 für 240.000 Mark kaufte, erwies sich als dreifacher Beschäler-Champion und Erzeuger der großartigen Graditzer Stute Aversion (1914), die Mutter von Aditi und Alchimist, als glänzende Erwerbung. Mit deren Mutter, der Ard Patrick-Tochter Antwort, hatte Nuage bereits in den beiden Vorjahren Anschluss (u. a. Großer Preis von Berlin) und Adresse (Diana, St. Ledger; Mutter von Abendfrieden) geliefert, womit die Stute innerhalb von drei Jahren drei Spitzenprodukte gefohlt hatte. Damit wurde Antwort, die 1928 einging, eine der größten Stammstuten in der deutschen Vollblutzucht. Zwischen 1915 und 1935 gewannen ihre Kinder und Enkel serienweise klassische Rennen, wodurch Graditz oftmals eine beherrschende Rolle im deutschen Rennsport einnahm. Auf der Rennbahn war die Stute als Zweijährige in vier Rennen ungeschlagen, absolvierte aber ein Jahr später nur einen Start und ging ins Gestüt.
Zu den ersten, etwa 40 Hengsten, die bis kurz nach 1900 in Graditz wirkten, gehörten auch St. Gatien (1881; Roterhill), Hannibal (1891; Trachenberg), Manners (1896; St. Simon), und danach waren es hauptsächlich Dark Ronal (1905; Bay Ronald), seins Söhne Herold (1917) und Aditi (1922), Ferro (1923; Landgraf) und Alchimist (1930; Herold), die die Akzente setzten.
Dark Ronald, den Mr. E. Kennedy in Irland zog und auf der Doncaster-Jährlingsauktion für 1.300 Pfund an Sir Abe Bailey verkaufte, gewann als Zweijähriger und brach vor dem Derby nieder, sodass er als Dreijähriger nicht lief. Im Juni 1909 gewann der vierjährige Dark Ronald gegen 22 Kontrahenten den Royal Hunt Cup im Stil überlegener Klasse. Bei seiner nächsten Aufgabe, den Princess of Wales Stakes über 2.400 Meter zu Newmarket, traf er auch auf vier Gegner, die im Derby 1908 gelaufen waren. Primer (St. Simon), der im Derby zwei Längen hinter Signorinetta (Chaleureux) eingekommen war, wurde auch hinter Dark Ronald Zweiter, doch gab der Bay Ronald-Sohn ihm in weit überlegener Manier das Nachsehen, als es die Derbysiegerin getan hatte, obwohl Primer zwei Wochen vorher die Hardwicke Stakes beherrscht hatte und somit in Top-Form angetreten war. Den letzten seiner sieben Starts (4 Siege; 2 Plätze) erledigte Dark Ronald im Doncaster Cup, wo er als Favorit mit einer halben Länge geschlagen blieb und Dritter wurde. Er blieb in diesem Rennen zwar nicht ganz heil, doch waren ihm 3.600 Meter auch zu weit. Danach bezog er im Tickford Park Stud von Mr. Donald Fraser eine Beschälerbox, bis er an Graditz verkauft wurde.
Dark Ronalds Vater Bay Ronald (1872; Hampton) war vier Jahre im Training, gewann u. a. die Hardwicke Stakes zu Ascot, das City and Suburban Handicap, als Fünfjähriger den Epsom Cup und insgesamt fünf von 26 Starts. Ehe seine Vererbungskraft richtig bewiesen war, stand er, verkauft für 5.000 Pfund, bereits in Frankreich. Dort zeugte der Handicapper u. a. Teddys Mutter Rondeau, deren Sohn in Frankreich, Italien, Großbritannien und den