Das Grimmingtor. Paula Grogger

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Das Grimmingtor - Paula Grogger

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      Früher als bei den andern Söhnlein stund die Mutter auf und siedelte mit ihm in die ehliche Schlafstube. Sie konnte das Blühgeflimmer nicht mehr ertragen und fürchtete sich vor jedem Abend, dawo aus dem himmlischen Bild ein kleiner Teufel spitzte. Als sie in den nächsten Tagen schon rührig in Haus und Wirtschaft ging, mußte sie manches Mal hinhorchen oder die Dachstiege hinaufschleichen und von der Luke gegen Gstatt spähen, ob der Ennshofer nicht käme. Einmal sagte sie zu ihrem Eheliebsten:

      »Mir scheint, der Vetter laßt sich nimmer blicken.«

      Er in seinem bockbeinigen Bauerntrutze schwieg.

      »Mag nit der Torbäck Göd werden? Oder fahrst du auf Stainach? Oder soll ich?«

      »Warum denn?« frug er kalt.

      Sie gab keine Antwort. Erst am nächsten Abend hub sie neuerlich an:

      »Ich hab auf Stainach einen Brief geschrieben.«

      »So?«

      »Kümmert’s dich nit?«

      »Was denn?«

      »Heut ist der Bua drei Wochen alt.«

      »So.«

      »Und noch allweil nit tauft. Die Leut fragen schon; häufig nehmen Ärgernis.«

      Da wunderte er sich, um wieviel weicher ihr Naturell geworden war. Item, weil sie gestern vom Bitten geredet hatte und anheut bereits auf die Meinung der Nachbarn horchte; alles ihrem Kinde zulieb.

      Ihre Augen bekamen einen feuchten, bänglichen Glanz. Sie regte ein paarmal die Lippen, brachte es aber zu keinem Wort. Sie zündete eine Kerze an und blies sie aus. Plötzlich ging sie aus dem Zimmer. Im Vorhaus war es dusend, über dem Hofe leuchtete noch wassergrün das Firmament. Kinder spielten auf der Gasse. Beim Veitkramer auf der Hausbank saßen etliche Nachbarinnen mit dem Strickzeug.

      Es sei schade um den milden Abend, sagte Constantia Stralzin und blieb bei ihnen stehn.

      Sie sprachen von vielen kleinen Dingen, auch von Sorgen und Pflichten sprachen sie, welche zwar wenig unterschiedlich waren. Aber wie Frauen eben sind, jede hielt ihr eigenes Teil für besonders wichtig. So geschah es, daß auch die Mutter die Geschichte vom Göden erzählte und manche Bitterkeit abtat und manche Seligkeit leise verriet, welche sie in den sechs Jahren ihres Ehestandes empfangen hatte. Als sie heimging, ziemte ihr, es sei frostig geworden. Sie mußte gegen ein neues, ungutes Gefühl kämpfen, denn es war das erstemal, daß sie ihr Herz fremden Menschen geöffnet hatte.

      Die Gaststube war leer. Frau Constantia riegelte die beiden Haustore zu und eilte in den Oberstock. Ihr Eheliebster saß völlig in seine Zeitung vertieft und blickte nicht auf, als sie in die Schlafkammer trat. Die Zugluft bog das Kerzenflämmchen und löschte es aus. Feinklingend schwangen die Fensterflügel. Von draußen schwebte ein maimilder Hauch. Aber durch ihren Körper rann immer noch die Kälte. Sie ging mit harten Schritten und nicht zu nahe am Stralzen fürbei. Er packte sie auf einmal bei der Hand und zog sie an sich. Er sagte kein einziges Wort; er hielt sie nur in Armen … so zäh … so lang … bis sie seine heimliche Liebe spürte.

      Viele Stunden lag sie wach, hatte die Finger an die Herzgrube gedrückt, die Augen groß und ruhig. Zähren brachen langsam von den Wimpern. Manchmal hauchte die nächtliche Mailuft in ihr Haar. Der Geruch von Flieder schwamm herein. Aus dem finstern Mauerwinkel blinkte weiß das elfenbeinerne Kreuz von Jerusalem. Viele Stunden hing ihr Blick daran, ganz verloren. Und oft sprach sie zu dem in der Todespein:

      »Mein Gott, mein Gott, wie schön ist das Leben.«

      Das wunderbare Lenzwetter und ihre eigene Glückseligkeit, fürnehmlich die Ruhe des Stralzen, ließen sie immer neu verhoffen, daß der Göd doch endlich kommen müsse. Sie verwahrte jeden Morgen den dicksten Rahm im Speisbehältnis; sie hub an zu backen, zu sieden und zu braten, daß der Dampf aus dem Küchenfenster qualmte und oft ein Bettelmann riechend stehenblieb. Ihr Halbbruder, der Kurschmied Zedler, leistete ihr in diesen Zeiten gerne Gesellschaft. Er lupfte fürwitzig jeden Hafendeckel, stupfte mit dem Finger in jedes Gewürz und brachte auf seinem Gaumen alle süßen, sauern, scharfen und milden Geschmäcker zusammen.

      »Sehr guat«, sprach er alsdann befriedigt. »Hiaz därf er bald daherreisen, der Göd.«

      »Meinst, er kommt?« frug die Stralzin.

      »Freilich wird er kömmen.«

      Es war kaum glaublich; allein sie glaubte es doch. Sie stieg wiederum fleißig auf den Dachboden und suchte, mit der Hand die Augen beschattend, die Straße zwischen Gstatt und Strimitzen ab. Richtig! Am Dienstag in der letzten Maiwoche sah sie dortselbsten ein Kalesch fahren. Ganz in den beharrlichen Wunsch verstrickt, es müsse der Moar von Stainach einmal kömmen, bemerkte sie nicht, daß es nur ein simpler Einspänner war. Sie lief ins Tafelzimmer und riß die Fenster auf, zog den schönsten Damast und das silberne Eßbesteck aus dem Kasten. Die Zinnkrüge füllte sie mit Wein und die Kupferkrüge mit Bier. Die mürben Brote, die Krapfen und Butterzelten, Schinken und Würste holte sie aus dem Speisbehältnis und trug sie auf. Und das beste Spanferkel, was rosenrot und zart in der Schlagbrucke hing, mußte die Kucheldirn auf den Spieß tun und braten. Hundertmal hatte Frau Constantia diese Überraschung in ihrer Phantasei durchlebt, und so ging ihr jeder Handgriff flink vonstatten. Sie fand neben den vielen Geschäften noch Zeit, ein frisches Fürtuch umzubinden, sie kämmte das wellige Haar zurück, putzte ihren drei Söhnlein sauber die Nase und bat ihren Eheherrn, nach Gstatt zu gehen, um bei der Wegscheid den Göd zu erwarten.

      Andreas Stralz setzte den Hut auf und ging; vielleicht, weil er seinem Weib die Freude nicht ausreden wollt, vielleicht, weil er durch ihren festen Glauben auch überzeugt war.

      Zwischen der Torschneider und der Torschuster Keusche traf er bereits den Wagen. Es saß darin ein schmächtiger Mann im braunen Frack sowie eine junge Frau und ein sehr kleines Mädchen. Der Knecht auf dem Bocke hielt gerade den steifen Gaul an und schrie: Hieneben wäre der Pfarrhof.

      »Nein«, antwortete der Mann. »Wir essen im Wirtshaus.«

      Dann fuhren sie weiter. Andreas Stralz ging, ihnen langsam folgend, heim. Vor dem Torbäck hielten sie wieder. Der Mann trat ins Haus; erschien alsbald, finster sagend:

      Da sei schon abgekocht.

      Weiter rumpelte das Kalesch, beim Roppel und beim Bader fürbei, über die Walchenbrücke zum Stralzen. Diesorts stand es zum dritten Male still. Frau Constantia trat hoch errötet, doch mit einer sehr adretten Haltung auf die Straße; hatte rechts den Matthäus, links den Markus … jeder trug ein Bukett. Den Gruß freilich verschlug ihr der unverhoffte Anblick. Da kam ihr Eheliebster herzu und hatte sein besonderes Lachen im strengen Gesicht, was sie allemal zittrig und willig machte.

      »Stanzi«, sagte er, »der Göd ist nit kömmen, wohl aber die neuen Schulmeisterleut. Möchten ein Mittagessen. Führ sie ins Tafelzimmer, ist eh schon aufgedeckt.«

      »Ja«, bestätigte der zugereiste Mann. Er sei der Schulgehilfe Raimund Winkler aus St. Gallen, welchen Seine Gnaden der Admonter Prälat mit dem selbständigen Posten in der Pfarre Öblarn betraut habe.

      Er reichte sodann dem Roßknecht zehn Kreuzer Trinkgeld, langte um das kleine Mädchen, welches seiner Frau schlafend auf dem Schoße lag, und trug es ins Haus. Oben im Tafelzimmer wollte er jedoch stante pede umkehren, zumal er das kostspielige Geschirr und die vielen Gerichte sah. Die Stralzin kam indessen schon mit dem Suppentopf, und der Stralz sagte, die Stühle rückend:

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