Das Grimmingtor. Paula Grogger
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Doch Hansei rührte sich nicht. Die Kinder, im Bewußtsein ihrer Unschuld, stunden wie Steinklötz. Endlich sagte eines: »Er hat sein Herz auf die gefehlte Seite geschupft und bringt es nimmer zurück.«
Etliche Weiber huben zu kichern an. Halbwüchsige Burschen stießen einen Lacher aus. Sie wurden jedoch bald stille, weil der Bader und der Torbäck erschienen. Der Torbäck brachte zufolge seiner amtmännischen Befugnis schon den Schlüssel zur Totenkammer, sagend, daß solche Missetat mit dem Galgen bestraft werde. Der Kramer warf sich in die Knie. Etliche Weiber jammerten laut. Und das Kindsgevölk überbot alles an Geschrei und beteuerte unabläßlich:
Dem Hansei wäre nur das Herz steckengeblieben. Aber Met gestohlen habe er keinen nicht.
Seltsam! Als der Bader sich neigte und dem Buben die magere Brust abhorchte, mußte er zugeben, daß rechts von der Magengrube ein taktes Klopfen vernehmlich sei.
»Leib und Seele wären annoch beisammen«, sagte er, stund auf und holte sein Schröpfmesser.
Der Kramer schlotterte noch. Aber der Mut und der Zorn wuchsen ihm bei diesem tröstlichen Worte. Er zeterte schäumend:
»Und gewesen ist er’s doch!«
»Alsdann rait zusammen«, sagte Vater Stralz plötzlich. »Wieviel ist die Schuldigkeit? Fünfzig Lebzeltwützel, ein Fassel Met. Und ein Hönigbacht für den Gaukler … wann er sich erhebt.«
Kleine schmutzige Kinderhände tatzten ungeduldig und keck durcheinander. Viele Küßlein schnalzten über den breiten Siegelring des Herrn Wohltäters. Der Kramer selbsten schob das Hönigbacht dem Hansei vor das starre Gesicht. Ein Weib sprengte Essig, eines Brunnenwasser. Half alles nichts, der Hansei lag stumm … wie gestorben.
Nachdem das letzte Schulkind abgespeist war, drängte sich die Kindsmagd mit dem Matthäus zum Stand, einmal weil sie sich auch einen Zelten verhoffte, in der Hauptsache aber, weil sie den Herrn Vater schon zwei Stunden lang mit einer wichtigen Botschaft verfolgte. Sie hatte aber kaum den Mund geöffnet, als sein linkes Auge gleichsam einen Blitzstrahl über den Stammhalter warf.
»Der hat’s tan!« sagte er und haute der Kindsmagd eine Dachtel herunter und seinem Blasengel auch eine.
O Mirakel! Da rutschte das Herz des Bäckenhansei jählings auf den richtigen Ort. Essigbauschen, Wasserkrug und Hönigbacht flogen hintan. Als der Bader mit dem Schröpfmesser anrückte, sah er gerade den Hansei mit langen knieweichen Hüpfern aus dem Zelt entrinnen.
Andreas Stralz zog den Hut grüßend gegen die Herren und Bauern und ging, wie es seine tägliche Gepflogenheit war, bis zum Zwölfuhrgeläut spazieren. Als er heimkam, eilte ihm die Buglmüllerin entgegen und brachte endlich die Botschaft an, welche die Kindsmagd aus begreiflichen Gründen vergessen hatte. Item, Mutter Constantia hatte ihr zweites Kind geboren. Es war wieder ein Sohn, zehn Pfund im Gewicht, fest und stämmig, nicht ganz dem Bruder gleich, aber auch recht eigen. Er lag stundenlang beschaulich, machte die Fäuste und den Mund nicht auf, duldete kein Federbett, kein Wiegengeschaukel und bewog seinen Göden, den Herrn Matthäus Ennshofer, zu dem Glauben, daß er einen künftigen Mann Gottes vor sich habe. So fuhr er den Säugling zweispännig in die Kirche, und Pater Laurentius Perger hat ihn alsbald getauft und mit einem ausgiebigen Gusse Weihbrunn dem Schutz des Evangelisten Markus anheimgegeben, dessen Tag über seiner Geburt gestanden hatte, und dessen nomen sonder Zweifel ein omen war.
Alldieweil gingen die Zeitläufte weiter, nahmen wenig Bedacht auf den Willen und Wunsch des einzelnen Menschen. Die alten Leute meisterten eigensinnig an den jungen herum, aber die jungen wurden doch so, wie ihre natürlichen Anlagen es bedingten. Die Bauern stopften Rüben; doch ein Jahr gerieten sie; im andern wurden sie faul. Und die großen Herren, Kaiser und Könige, schlugen sich Karten auf, aber es stunden die Bilder selten nach ihrem Sinn; es deckte oft die Hochzeit ein Todesfall und den Geldsack der Krieg. Es ist in jedem Dinge, das wir in der Hand halten, ein unerforschliches, vielleicht unbarmherziges Gesetz. Das gebietet und macht unsere Weisheit zuschanden.
Solches mußte auch die junge rundliche Kindsmagd gespüren, die beim Stralzen diente. Sie hatte an dem dickschädligen Buben drei Jahre lang ihre Kunst probiert, hatte zwanzig Gulden erspart und wollte nun selbsten einen Hausstand gründen. Da brachen die Franzosen über die Grenz, und der Schulmeister Joseph Hatzy legte sich im Neumarkter Feldlazarett zum Absterben. Das war ein großer Herzenskummer für die Dirn. Auch die Öblinger Kinder flennten. Allein noch am selben Tage, dawo Pater Laurentius Perger die betrübliche Nachricht von der Kanzel aus bestätigte, schmissen sie ihre Federspatel, Tafel und Schreibtheke in den Walchenbach und vermeinten, daß sie nun in alle Ewigkeit nichts mehr zu lernen brauchten.
Es verging auch wirklich der halbe Frühling, ohne daß der Admonter Prälat einen Nachfolger schickte. Pater Laurentius schrieb einen dringlichen Brief nach dem andern und wurde zuletzt in eigener Person beim Stifte bittlich.
Als nun Anfang Maien die Mutter Stralzen sich zum drittenmal ins Himmelbett legte und zum drittenmal einem starken Söhnlein das Leben gab, hatte es mit der heiligen Taufe seine Schwierigkeiten, weil benebst dem Mesner der Pfarrer fehlte. Und benebst dem Pfarrer der Göd.
Man möge nicht glauben, daß Herr Matthäus Ennshofer leichtsinnig seine Christenpflicht verabsäumte. O nein! Kaum daß er die Post von dem lebfrischen Zuwachs erhalten hatte, zog er schnaufend den grünen Frack an, putzte die Griesentaler und kutschierte nach Öblarn. Er greinte nicht einmal, daß er durch die Abwesenheit des Pfarrherrn formaliter der Gefoppte war, sondern erbot sich fürmehr, mit dem Täufling vierspännig nach Gröbming zu fahren. Nur einzig wegen des heiligen Evangelisten Lukas kam er mit der ganzen Stralzischen Freundschaft in Zwietracht.
Sie saßen im Tafelzimmer um den ovalen Tisch und hatten noch die schweren Weisetkörbe beiseit stehn. Da war auf dem Kanapee also der Ennshofer, rechts der Kurschmied Zedler und links Johannes Sorger, diemals schon Bergverweser. Andreas Stralz stund am Gartenfenster, das von blühenden Baumkronen fast verhangen war, und hatte ein so merkwürdiges Lächeln im strengen Gesicht, als ob er lediglich seinen Spaß wolle bei diesem eifrigen Disput.
»Alsdann«, sagte Sebastian Zedler und wichste mit seiner Schmiedepratze drein, »gibt es sonst gar keine Heiligen im Himmelreich als vier Evangelisten?«
Und der Verweser, welcher sich nirgends mehr zu Haus fühlte, seit er aus dem finstern Grubenloch in die helle Luft versetzt war, der Verweser sagte mit einem erschreckten aschgrauen Lächeln:
»Jawohl, so mein ich auch. Gefallt dem verehrlichen Herrn Göden vielleicht der Namen Andreas? Der Namen Franz Xaver? Oder Josephus? Oder Johannes? Sind bereits in der Stralzischen Freundschaft der Brauch.«
»Johannes heißt nachher der viert«, bemerkte der Ennshofer kurz. »Der da heißt Lukas … der Erleuchtete!«
Zedler kicherte, tunkte sein Kipfel in den Wein und rührte, daß die Krumen tanzten. Hienach zermummelte er das Brot auf einen Stumpen und spie die Zibeben weit von sich.
»Hiaz beim Kriag«, sagte er, »brauchen wir keine Bibelschreiber, fürmehr Soldaten, Pionier, Tamboure, Wachtmeister, Reiter und Feldherren!«
»Jawohl«, sprach bescheiden der Verweser.
Plötzlich schrie der Zedler:
»Nennts ihn Karl!«
»Oder Napoleon!« sagte Andreas Stralz launig.
Der Moar von Stainach, ein guter Patriot, wurde dunkel