Das Grimmingtor. Paula Grogger
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Beim Herrentisch saß der Stralz und betrachtete gleichmütig das lebfrische Gevölk, um das der Tabaksqualm dick wie gezupfte Schafwolle flog. Der Stralz verzog keine Falte. Er sah seinem Eheweib also kühl nach wie den andern, doch er wußte zu jeder Sekunde, wo sie sich befand und wer sie aufführte. Gegen Mitternacht sprach er sie um einen Tanz an. Sie waren aber noch nicht zweimal rund um den Söller gekommen, als sie zittrig seinen Arm preßte und heimlich sagte:
»Tu mich heim.«
Constantia Stralzin mußte ihr kostbares Sonntagsgewand alsbald in die Truhe legen. Die Kuhdirn wurde eilends in die Buglmühle geschickt. Er, der Buglmüller, war Gemeindewächter zu Öblarn, schlief wie ein Ratz auf seiner Hausbank; die Buglmüllerin aber saß in Unterkittel und Nachtjacke wach beim glosenden Herdfeuer und sagte, sie habe die Botschaft erwartet. Hierauf nahm sie ihre wichsleinerne Tasche und die Mutter Gottes von Filzmoos, berief ihren Ehekonsorten ins Haus und zog seinen Wettermantel an. Es schlug zwölf Uhren, als die beiden Weibsleute zu Frau Constantia ans Himmelbett traten. Die Musikanten pfiffen und geigten die ganze Nacht. Immer lauter krakeelten die besoffenen Knappen auf der Gasse. Die Unschlittkerze wurde kleiner. Die Flamme wurde blässer und fast unsichtbar, als die Dämmerung grau in die Fenster schillerte. Die Liebe Frau von Filzmoos, welche die Helferin der Mütter ist, schaute wächsern aus dem Glassturz. Über den warmen Schweiß der jungen Stralzin legte sich warm das erste Morgenrot, gerade als ihr Kind auf die Welt kam … Es war ein Knab’, zehn Pfund schwer, so fest und stämmig, daß es nur zu billigen ist, wann die Stralzischen Eheleut auch einen vielvermöglichen Göden ausersehen hatten, nämlich den Herrn Matthäus Ennshofer, Moar zu Stainach. Derselbige also führte den Täufling in einem hochnoblen Kalesch zweispännig in die Kirche und wußte hienach zu erzählen, daß der neugeborene Heid’ nur widerwillig und mit gottesjämmerlichem Geschrei sich ins Christentum geschickt habe, daß er, obwohl bis zum Halse eingepackt, die Fäuste aus dem Polster gereckt und das Genick gesteift habe, bis seine Wänglein prall und blau geworden wären wie ein gebratener Lederapfel. Und er wußte zu erzählen, daß der hochwürdige Pfarrer Laurentius Perger merklich den Kopf gebeutelt und ein ausgiebig Brünnlein Weihwasser über den flaumigen Schädel gegossen habe, damit im Namen des Evangelisten Matthäus auch dessen Kräfte sammentlich auf den Täufling überflössen.
»Nomen est omen; es werde sich die Wirkung sonder Zweifel bald zeigen«, behauptete der Ennshofer. Er war ein steifer, ehrsamer Mann, der viel auf seine eigenen Aussprüche hielt, der jedes Jahr ein Dutzend Kinder zur Tauf oder zur Firmung brachte, der den Dechanten, den Prälaten, ja selbst den Bischof beherbergte, und, obschon er in der Jugend noch robotpflichtig und hörig gewest, öfter dazu ausgezeichnet ward, mit dem Grafen von Stainach zu tafeln und zu jagen. Durch diesen ersprießlichen Umgang mit gelehrten und edelgeborenen Herren lernte er ihre Manieren ab und gab sie bei einfachen Leuten wieder zum besten. Zugestanden, daß er in vielen Dingen recht behielt; bei diesem Taufkinde irrte er sich gänzlich.
Im Stralzen Matthäus kam keine der gottgefälligen Eigenschaften auf, wie ein Bibelschreiber sie haben sollte. Schon inwährend Constantia Stralzin ihn säugte, wechselten fünf Kinderfrauen den Platz. Mit elf Monaten brannte er auf allen vieren kriechend durch und kam letztlich beim Fluderrechen wieder zum Vorschein … bockstarr, die Härlein voll Eiszapfen, todesbleich, aber lebendig. Mit zwei Jahren stahl er ein Endstrumm Hönigzelten vom Stande weg und ließ ein Fassel Met auslaufen, indes der Kramer mit entblößtem Haupte vor seinem Zeltdach stand und die drei Prozessionen andächtig vorüberzogen, welche von St. Martin, von Gröbming und der Sölk sich einfanden zur Verehrung des heiligen Markus. Die Kirchenväter prangten in scharlachfarbenen Mänteln, starken Windlichtern vergleichbar. Nebenher trippelten die Ministranten in ihren feingefältelten Chorhemden wie putzige Wachsstöck. Im Fenstergeviert des Turmes war der Dorfrichter und zog, seines hohen Alters nicht achtend, wacker das daumendicke Glockenseil. Und der Mesner Joseph Hatzy holte aus dem Torbäckenhause bereits Glut für das Rauchfaß.
Dies alles, fürnehmlich das letztgenannte Mannsbild, war Anlaß genug, daß sich die Kindsmagd mit kugelrunden Augen verschaute, alldieweilen der Stralzenbub vergnüglich den Zelten fraß und in der Metlache auf und nieder hüpfte. Die Kindsmagd blickte immer den Mesner an und der Mesner das Bübel. Und sintemalen Joseph Hatzy in seiner freien Zeit auch als Schullehrer fungierte, zog er gewohnheitsmäßig den Spanischen aus seinem Bratenfrack und. fuchtelte nach der Bude. Nun verging der Dirn das Liebäugeln. Aber sie war nicht dumm, sie packte den Matthäus, noch ehe der Kramer den Schaden gewahrte, und trug ihn durch die Weiberpforte zum Hochamt.
In der nämlichen Zeit zaschte der Bäckenhansei vom innern Dörfel heraus, guckte mit den blauen Augen in die blaue Luft und stieß mit den Füßen läppisch an jeden Schotterbühel. Hinter ihm her liefen, quiekten und bellten wie besessen die Kinder und der Hund. Es hatte mit dem Hansei eine merkwürdige Bewandtnis. Daß er mit vierzehn Jahren schon das Waldhorn besser anpackte wie ein Böhm den Dudelsack, war noch das Geringste. Er konnte einen Hund mit Brosamen derart verzaubern, daß er acht Tage auf das Futter vergaß und in der Geisterstunde der neunten Nacht unfehlbar einen Feuerruch meldete. Er lockte die scheuen Bergvögel auf seine Schulter und hielt mit ihnen närrische Zwiesprach. Er spielte Kaspar und Teufel, indem er das Weiße seiner Augäpfel aufquellte und mit seiner Bauchredekunst bald aus der Himmelshöhe, bald aus der Höllentiefe schrie. Er band nach dem Vollmond die Warzen ab. Er verschenkte das Brot, was sein Lehrmeister in den Korb schmiß, und erwarb sich mit allen diesen Geschäften einen großen Anhang … Am Feste des heiligen Markus versprach er, das Herz auf die andere Seite zu tun.
Die Kinder zählten eben vor dem Irdninger Stand ihre Kreuzer zusammen, weil sie sich für das rare Spektakel mit einem Lebzelten erkenntlich zeigen wollten, da sah der Kramer, hinter den Tisch tretend, daß die Pipe das letzte Brünnlein Met vertropfte. Er fragte nicht lange, legte den schmalen, krummbeinigen Buben überzwerch und prügelte mit der harten Faust auf den Hosenboden. Hansei gab keinen Laut; rutschte steif wie ein Toter zur Erde. Baß entsetzt drehte ihm der Kramer das Gesicht nach oben, zwängte die Finger in den bleichen Mund, verhieß ihm Wachsstöcke, Butterkrapfen, Hönigwecken, Bärendreck und wächserne Tauber … Hansei rührte sich nicht.
Als die Hausmütter nach Opfergang und Kommunion heimeilten, hörten sie ein lästerliches Geschimpf. Und als der Mesner vor dem letzten Segen abermals beim Bäcken um glühende Kohlen zusprach, hörte er den bedauernswerten Mann schelten, als wäre er kein Wachszieher, sondern der leibhaftige Antichrist. Immer mehr Kirchleute scharten sich um den Stand. Die Kinder gafften mit Maul und Augen. Die rundliche Stralzendirn blieb auch stehen, schaute dumm und scheinheilig; und Matthäus auf ihrem Arme glich einem Blasengel, was vor einer Viertelstunde erst vom Himmel gefallen.
Also traf Herr Andreas Stralz, aus dem Freithof kommend, den Irdninger Lebzelter von einem Menschenschock völlig umzingelt, dieweilen der Gröbminger Zuckerlkramer, jeglicher Kundschaft bar, trübsinnig aus seinem Stande spähte.
»Seind schlechte Geschäften«, bemerkte Andreas Stralz, im Glauben, die Bauern mieden den Mann, weil er ein französischer Emigrant war. Derselbige nickte, haspelte nach Worten und brachte endlich in gebrochenem Deutsch die Mitteilung zustand, daß der Nachbar auch nicht zu beneiden sei. Er habe ebenitzt einem Kinde die Wirbelsäule eingeschmettert.
Vater Stralz lächelte, denn es war bekannt, daß der Franzose sich an der steirischen Mundart oft ganz ergötzlich verhörte. Alsdann zog er den Geldbeutel und rief nach den Schulkindern, um sie, wie stets an hohen Kirchenfesten, mit einer Näscherei zu beschenken. Allein weder Bub noch Dirnlein folgte. Vielmehr öffnete sich langsam der Menschenkreis und schlang ihn ein, bis er wie von selbst unter das Irdninger Zeltdach kam und sehen mußte, daß der Bäckenhansei de facto stumm auf dem Boden lag. Über ihn geneigt, krebsrot im Gesicht und heiser vom Schelten, bemühte sich der Kramer aus Leibeskräften, den Hansei als Spitzbuben anzuklagen, an dem er gerechte Justiz