Das Grimmingtor. Paula Grogger
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»Nomen est omen. Beliebt es der Frau Muhm alsdann, daß wir taufen fahren?«
»Bitt schön, Herr Vetter«, sprach die Stralzin und nickte, wiederum in ihrer herben, unnahbaren Art, daß Johannes Sorger heimlich erschrak und sich baß verwunderte, wie eine arme Knappentochter in diesem reputierlichen Hause und in Gegenwart dieser ehrgeachteten Männer dermaßen stolz sein durfte. Da sie nicht mehr sprach und der Vater noch immer belustigt durch das Fenster in den Garten sah, schlich der Großvater sachte fort und holte die Buglmüllerin, die seit einer Stunde mit der zuckerweißen Fatschdecke auf diese Einladung wartete. Niemand wußte recht, was von dem Ausgang zu halten war. Der Kurschmied nutzte schlau die Zeit und trank den Wein aus, der annoch in den Gläsern und in der Flasche geblieben, und Matthäus Ennshofer promenierte mit schweren Schritten vor dem Täufling hin und her, bedenkend, daß sich einem reichen und einflußreichen Manne die Leute zu guter Letzt doch immer subordinierten.
Es erschien alles in bester Ordnung. Das Griesengeld lag auf dem Tisch. Die Roß vor dem Tore stampften und wieherten schon. Die Wehmutter kam im teuern Seidenkittel dahergelaufen und fiel in ihrer Eilfertigkeit und Ehrerbietung dem Herrn Göden fast zu Füßen. Und der Herr Göd reichte ihr wohlmeinend die Hand zum Gruß und Kuß.
Da gellte ein unbeschreibliches Geheul über die Stiege. Die Tür prallte krachend an den Ofensims. Matthäus bumste herein, stracks gegen das Himmelbett … Markus ihm nach. Langsam folgte der Hansei.
Alle heiligen Nothelfer! Die zwei Buben sahen schön aus! Der Frau Mutter entglitt vor Schrecken das Wiegenband. Und die Buglmüllerin tat einen grausigen Schrei. Auch Matthäus Ennshofer war auf einen solchen Anblick keineswegs gefaßt. Die vier Mannsleut nun fuhren mit barschen Reden her und wurden um nichts gescheiter. Erst wie die Mutter fragte, was den Kindern in Gottes Namen alles weh täte, da wetzten sie hinterrücks an den Hosen und wollten flennend zu ihr ins Bett. Der Hansei errötete fiebrisch. Das Kröpfel, was sich auch schon angesetzt hatte, trotzdem er kein gebürtiger Steirer war, das Kröpfel kreißte. Jäh fing er in seiner mondscheinigen Art zu reden an:
»Ihr habt wieder ein Kindl, weiß und rot. Will’s nit verschreien. God Vater, God Sohn, God Heiliger Geischt soll’s behüaten … Wie geht’s der Stralzin?«
»Dank schön«, sprach die Mutter und funkelte ihn mit ihren braunen Augen hitzig an. »Hast du meine Buam aso geschlagen?«
»Ich?« fragte der Bäckenbursch. »Kaspar und Teufel haben wir gespielt. Der Herr Vater hat ohnedem auf uns herabgeluget. Euer Kleiner ischt der Kaspar gewescht. Und Euer Großer der Teufel.«
Andreas Stralz griff dem Hansei unters Kinn und sagte voll Heiterkeit:
»Einen schicklichen Ort hast gefunden für die Abrichtung; zu Häupten ein Paradeis, Vögel und blühende Wipfel … zu Füßen ein Misthaufen!«
Das frühreife, magere Jünglingsgesicht blieb völlig starr.
»Allweil im Lenz ischt die beschte Zeit. Da muß die frumme Kraft den Dreck durch die Baumadern emporziehen, bis der Gestank sich in Wohlgeruch verwandelt. Die Kinder haben’s nit begriffen. Kaum sitzet der Kaspar auf dem weißen Ast, packt ihn der Teufel beim Hosenzipf und schmeißt ihn gröbbisch in die Mistlacke.«
Herr Matthäus Ennshofer beugte sich zum Zedler hin und frug, seinen Groll vergessend, ob der Bursch vielleicht wahnwitzig oder unsinnig sei.
Der Kurschmied, der in der Arzneikunst zwischen Mensch und Vieh keinen besonderen Unterschied fand, antwortete ernsthaft:
»Hat Würm im Kopf, der arme Kerl.«
Dann nahm er aus dem Weisetkorb ein mürbes Bacht und lockte damit die zwei Schweinigel von der Mutter weg. Sie bissen gleich wacker zu, lachten und weinten, und die Tränen kugelten über die Farbenglori wie Seifenblasen über ein scheckiges Blumenfeld.
»Jawohl«, sprach Hansei. »Der Kleine hat einen Charakter in sich. Hat stad und stumm seinen Schädel wieder aufgereckt. Wird bald nervig sein und das Herz auf die andere Seiten tun; so gespürt er keinen Stock und keinen Rutenstreich. Aber der Große!«
»Geweinet hat der Markus auch«, trutzte die Mutter zurück.
»Einzig aus brüderlicher Erbarmnis. Weil nachbei ich den Kaspar gespielt hätt … Weil ich dem Teufel die Flachsen und Beiner liniert hätt … damit sie den frummen Kräften willig werden.«
»Lüg nit, Hansei!« rief Frau Constantia, »auf deutsch gesagt, du hast ihn eh geschlagen!«
Der Bäckenbub hob ihr das Wiegenband auf. Gab zur Antwort: »Wundersamlich. Weiß und rot, zwischen Mutter und God ischt so ein unschuldig Kindel. Wie tut Ihr’s taufen?« Andreas Stralz legte dem Spintisierer die Hand auf die schiefe Achsel.
»Er hat ihn nicht geschlagen. Item, der Lausbub hat sich mit der Mistgabel gewehrt. Hat geflennt und geflucht. Ist letztlich wütend davongeloffen. Was meint der Herr Göd, stünd das Bibelhandwerk nit besser dem Hansei zu wie meinem Sohn?« Matthäus Ennshofer, der dem Humor des Stralzen bislang mit Anstand begegnet war, hörte nun seine selbeigene Person, mehr noch den heiligen Fürsprech beschimpft, von dem er die deutliche Vorstellung in sich barg, daß er mit dem lieben Herrgott bei der Mahlzeit säße, Ihm das Brot reiche, Ihm den Wein schänke und tatsächlich ein Moar und Freisaß des himmlischen Königreiches sei. Der Ennshofer nahm also sein blaues Parapluie, setzte den Hut mit dem kostspieligen Gamskranzel auf, sagte:
»Pfüat Gott!«
Und ging. Ledig das Griesengeld beließ er auf dem Tische.
Da mußte die Buglmüllerin das Kind aus der zuckerweißen Fatsche wickeln. Der Zedler hielt eine stille Betrachtung hierüber; erinnerte sich nebenbei an den grünen Tuchfrack, den modischen Filzhut und das noble Kalesch des Herrn Göden. Er kam zur Erkenntnis, daß sie einen hochvermöglichen Mann beleidigt hatten, und sagte kleinmütig:
»Recht hat er gehabt. Warum sollt der Bua nit Lukas heißen! Schaut eh schon hiaza zinnliacht in die Welt.«
»Jawohl«, sprach der Bergverweser sänftlich beim Abschied.
»Recht hat er gehabt. Du hättest ihn mehr ästimieren sollen, Stanzi.«
Leise tickte die Uhr mit dem Schäferknaben …
Die Mutter hob ihre schweren tiefblonden Zöpf und legte sich ermüdet auf die andere Seite. Ihr Stiefbruder, der Zedler, blieb noch die längste Weil und unterhielt sich, indem er voll Neubegier den Gläserkasten aufsperrte und die Wachsstöcke, den künstlichen Blumenschmuck, die Hochzeitsbänder, den Hochzeitsteller, die Bibel und noch manches andere Stück in die Hand nahm und alsdann an den gefehlten Platz rückte. Er zog auch an den Kupferbeschlägen der Kommode, probierte die sieben Pfeifen durch, welche sich Andreas Stralz für die sieben Wochentage zugelegt hatte, und frug letztlich, wie teuer die zwei Ölbilder von der Spinnstube und der Werkstatt zu Nazareth gewesen, die Johann Zechmeister gemalet.
Frau Constantia überhörte es, daß er ging. Vor dem Fenster nach dem Obstgarten schaukelte ein blühender Aprikosenzweig. Dahinter rauschten in der Dämmerung die Birnbäume ganz weiß. Und die lange helle Nacht, in der sie nicht schlief, war der flockige Schleier vor ihren Augen, er nahm sich aus wie lauter wehende Federbetten, darin ihre Kinder lagen. Dann wurden es Wolken mit holdseligen Engeln wie in der Wallfahrtskirche