Tödliche Offenbarung. Cornelia Kuhnert
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Beckmanns neues Zuhause ist ein in den siebziger Jahren ausgebauter Wäscheboden in der Wedekindstraße. Dass die Wärmedämmung eines Daches nicht nur im Winter von Nutzen ist, daran hatte beim Ausbau niemand gedacht; er selbst bei der Besichtigung der Wohnung auch nicht. Die redegewandte Maklerin überzeugte ihn schnell von den unübersehbaren Vorteilen: »Ein so großzügiges Loft mitten in der List müssen Sie mit der Lupe suchen.«
Loft? Na ja. Die Wände zwischen den Zimmern und zur Küche fehlen, einzig das Badezimmer ist mit einer dünnen Sperrholzwand abgetrennt, durch die man alle Geräusche hört, sogar die, die man am Küchentisch nicht hören möchte. Vor sechs Wochen hatte ihn das nicht weiter gestört, da wollte er nur noch weg aus Burgdorf, dieser Kleinstadt, wo |13|jeder jeden kennt und ihm die Luft zum Atmen fehlte. Nein, das stimmt nicht. Er fängt schon wieder an, sich etwas vorzumachen, die Dinge so zu verdrehen, wie sie ihm passen. Eigentlich hatte Beckmann sich zum Schluss ganz wohl dort gefühlt. Mit seinen Kollegen Borgfeld und Streuwald war er bestens klargekommen – und auch sonst: der Biergarten auf dem Spittaplatz, die Abende mit Martha im Dorfkrug. Martha. Genau das war der Haken.
Sofort sieht er sie vor sich: Dunkle, halblange Haare, volle, geschwungene Lippen, grüne Augen, ihr Grübchen in der rechten Wange, wenn sie lacht. Dieses Lächeln, diese Stimme. Schluss. Er hat es vermasselt. Keine Entschuldigung, die hat er nicht verdient. Aber ein bisschen Nachsicht. Er zieht das Handy aus der Hosentasche und tippt unter Favoriten auf »M«.
Nach dem dritten Klingeln springt die Mailbox an.
2
Uwe Zwingel sieht auf die Uhr. Viertel nach acht. Gleich hat er diese Schnupperkursstunde hinter sich gebracht.
»Ganz locker schwingen. Die Augen sind nach unten gerichtet. Die Füße stehen fest, die Schulter dreht sich, dann die Hüfte … und nun mit Schwung durch den Ball ziehen.«
Marthas Arm schwingt mit dem siebener Eisen nach oben, verweilt einen Augenblick in Schulterhöhe, saust kraftvoll nach unten und – bleibt in der Grasnarbe stecken. Verdammt. Sie reibt sich das schmerzende Schultergelenk. Wäre sie bloß im Bett geblieben.
|14|Der Golftrainer verzieht angesichts des Golfschlags den Mund und rümpft seine gerötete Nase.
»Schwingen, nicht hacken.« Anfänger zu unterrichten, ist eine Strafe Gottes. Kaum können es die einen, werden sie durch Neue ersetzt. Am schlimmsten sind die völlig Untalentierten wie diese hier.
»Und jetzt Sie.« Er wirft Beatrix Wacker, von allen nur Trixi genannt, einen deutlich wohlwollenderen Blick zu. Trixi, heute in kurzem weißen Rock und engem Poloshirt, holt aus und schwingt mit Hüftdrehung nach vorne. Ihr Ball fliegt gerade und weit.
»Das ist Golf.« Der Hauch eines Lächelns huscht über das Gesicht des Trainers.
Auch die Dritte im Anfängerkurs macht ihre Sache ordentlich, obwohl Roswitha Neumann alles andere als sportlich aussieht. Die kräftige Mittdreißigerin steht mit leicht gebeugten Knien vor Martha, holt aus und befördert den Golfball mit Schwung in die Luft, allerdings landet er weit rechts im undurchdringlichen Buschwerk.
»Das wird schon.« Zwingel wirft einen Blick auf die Uhr. Noch fünf Minuten, dann hat er es geschafft.
»So, nächster Versuch.«
Zum hundertsten Mal fragt Martha sich, warum sie sich von ihrer Kollegin Trixi zu diesem Golfkurs hat überreden lassen und findet nur stereotype Antworten: Sport bringt auf andere Gedanken, Bewegung vertreibt Trübsinn. Kraft durch Freude.
Martha spannt ihren Körper an und fixiert den Golfball zwischen ihren Füßen. Wie von alleine heben und senken sich ihre Arme, gleitet der Schläger mit sattem Schmatzen |15|über den Rasen und nimmt den Ball mit. Als Martha nach der Drehung den Kopf hebt, sieht sie ihn nach wie vor in der Luft, erst an der 100 Meter Marke landet er und hoppelt auf der mit weißen Übungsbällen übersäten Driving Range noch ein Stück weiter.
»Na, geht doch.« Zwingel pfeift durch die Zähne. »Den Schlag speichern Sie jetzt im Gedächtnis ab. Wir machen Schluss für heute.«
»Ich geh schon vor.« Trixi hat es eilig, ihre Blase drückt.
Die beiden anderen packen in aller Ruhe ihre Eisen ein, danach schieben auch sie die Golfbags über den schmalen Weg zum Clubhaus.
»Was für ein herrliches Wetter. Ich glaube, ich gehe noch eine Runde schwimmen«, verkündet Roswitha. »Hast du Lust mitzukommen?«
Martha schüttelt den Kopf. Ihre weitere Tagesplanung steht fest: Noch eine Tasse Kaffee und dann ab an den Schreibtisch.
»Gestern hatte ich Besuch von einem etwas verhuschten Typen aus Celle. Seine Großmutter ist vor Kurzem gestorben und er löst zurzeit ihren Haushalt auf. Dabei hat er eine Interviewsammlung aus den fünfziger Jahren gefunden. Er meint, dass der Text Sprengstoff enthält. Vielleicht könntest du mal einen Blick …«
Weiter kommt Martha nicht. Kreidebleich stolpert ihnen Trixi entgegen. Die Hand vor den Mund gepresst, stottert sie: »Ddda … «
Trixi dreht sich um und zeigt zu dem Holzhaus, in dem die Golfgerätschaften abgestellt und eingeschlossen werden.
»Da hinten«, bringt sie endlich heraus.
|16|Martha kann dort nichts Besonderes entdecken. Der steinerne Waschtrog zum Säubern der Schläger ist mit Wasser gefüllt, die robusten Bürsten zum Abputzen der Schuhe stehen daneben. Alles ist wie immer. Die Luftdruckpistole hängt ordnungsgemäß an der Wand, nur Trixis umgefallenes Golfbag stört die normale Ordnung – ihre Golfbälle sind in alle Richtungen gerollt.
»Was soll da sein?« Martha verdreht die Augen. Typisch Trixi, nie zieht sie die Reißverschlüsse ihrer Taschen zu.
»Um die Ecke«, presst Trixi hervor. Ihr ausgestreckter Zeigefinger weist zum Caddyhaus.
Martha geht zu dem mit feinem Grasschnitt übersäten Reinigungsplatz. Von dort aus kann sie um die Ecke gucken. Vor dem Schuppen steht eine Holzbank. Darauf lümmelt ein Mann in schwarzer Lederjacke, den Kopf in den Nacken gelegt. Aus einem unerfindlichen Grund bleiben Marthas Augen an seinen Cowboystiefeln hängen, weiße, spitze Exemplare mit schwarzen Streifen und breitem Absatz. Martha starrt die Stiefel an, als wenn die ihr die Antwort geben könnten, warum der Mann mit den weit von sich gestreckten Beinen auf der Bank sitzt. Vielleicht kann sie den Blick auch nicht von ihnen lösen, weil die Füße so weit weg sind von dem Gesicht, vor dem sie Angst hat, es näher zu betrachten.
»Ist da was?« Roswithas Ruf rüttelt sie aus ihrer Starre.
Marthas Augen wandern hoch. Sie registriert die dunkel verfärbte Gesichtshaut, sieht die leblosen Pupillen, die anklagend Richtung Himmel starren und den weit geöffneten Mund.
|17|3
Die Stille des Großen Moors wird durch einen klagenden Schrei eines Raben durchbrochen. Felix Rinsing zuckt erschrocken zusammen. Sein Herz schlägt vor Angst bis zum Hals. Er hätte nicht allein kommen sollen, das spürt er genau. Was ist, wenn sie ihn entdecken?
Über ihm raschelt das Laub der Birken, einzelne gelbe Blätter segeln im sanften Luftzug auf ihn herab. Die anhaltende Trockenheit im August setzt den Bäumen zu. Erneutes Kreischen. Er lauscht. Das ist direkt über ihm. Felix hebt langsam den Kopf und entdeckt den Greifvogel, der seine Bahnen oben am Himmel