Schwarzes Gold. Dominique Manotti
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Während der Fahrt schweifen seine Gedanken umher. Gemischte Tagesbilanz. Positiv die Reaktionen von Grimbert und Delmas. Das Team ist im Begriff, sich zu bilden, ich kann es regelrecht spüren. Passabel das Treffen mit Bonino. Verheerend die Unterredung mit Staatsanwalt Coulon. Er liefert die »offizielle« Version, will sagen, seine eigene, nicht die von Bonino: Exekution durch das Milieu. Wie sagte Grimbert? »Ich stelle gewaltige Ungereimtheiten fest.« Und schloss die Möglichkeit einer Inszenierung nicht aus. Der ist der geborene Bulle. Und aus mir unbekannten Gründen zählt Staatsanwalt Coulon auf mich, den Jungspund, um die These einer Abrechnung im Milieu zügig zu bestätigen und den Fall zu begraben. Deutlicher konnte er es nicht sagen. Und wenn ich nicht die offizielle Linie verfolge, werde ich aufs Abstellgleis geschoben und habe nichts zu erwarten, weder vom Direktor noch vom Staatsanwalt, niemand wird mich unterstützen. Gut. Ich werde mich nicht abschieben lassen. Einzige Möglichkeit, dem zu entgehen: die Mörder finden, oder zumindest Fährten auftun, Fakten, Beweise. Coulons Blockadehaltung ist zu verbohrt, um haltbar zu sein, wenn ich vorankomme, und sei es nur wenige Schritte. Ohne ein bisschen Glück, viel Glück, werde ich es nicht schaffen. Nach draußen gehen, Witterung aufnehmen, herumlaufen, viele Gelegenheiten schaffen, um meinem Glück zu begegnen, und wenn ich ihm begegne, werde ich es zu ergreifen wissen. Bis dahin lege ich mich auf die Lauer, Geduld ist eine Tugend. Schon möglich, aber wir haben nur fünfzehn Tage. Keine ausgemachte Sache. Aufregend.
Marseille, Vorfreude auf die Wohnung hoch über dem Getriebe, dem Lärm und den Gerüchen des Vieux-Port. Der Plan für heute Abend: Cognac auf der Loggia. Allein. Das Vergnügen, allein zu sein. Das ganze Jahr in Beirut ist er das nie gewesen, allein. Und das hat ihm am Ende zu schaffen gemacht. Beirut, eine Idee von Lenglet. Als Daquin Lenglet begegnet ist, war er sechzehn Jahre alt. Seine selbstmordgefährdete Mutter hatte sich schließlich mit Alkohol und Medikamenten umgebracht und war seit drei Jahren tot. Er hegte eine Vorliebe für Jungs, von der er nicht recht wusste, wie er sie leben sollte, und befand sich im offenen Krieg gegen seinen Vater. Lenglet brachte ihm bei, ohne Komplexe zu vögeln. Eine weder zur Schau gestellte noch versteckte Sexualität, ganz normal. Dabei haben sie nie eine sexuelle Beziehung gehabt oder in Liebesdingen konkurriert, was ihnen eine stabile und dauerhafte Freundschaft ermöglicht. Sie haben zusammen Politologie studiert, beide mit glänzendem Abschluss, und derselben Neigung zu geistigen und körperlichen Abenteuern folgend hat Lenglet sich dem diplomatischen Dienst in seiner geheimdienstnahen Variante zugewandt und Daquin der Polizei, eine Revolte gegen seinen Vater, für den der diplomatische Dienst denkbar war, die Polizei – ein Bettlerberuf – dagegen nicht, er hat einen Juraabschluss gemacht und ist dann in die Kommissarsschule eingetreten. Danach Beirut, Sicherheitsdienst der französischen Botschaft, wo Lenglet seit zwei Jahren arbeitete, die Begegnung mit Paul Sawiri, einem fünfundvierzigjährigen Libanesen, Mitarbeiter von Lenglet, intelligent, kultiviert. Seine erste dauerhafte Beziehung, ein Jahr, eine Ewigkeit. Erdrückend mit der Zeit, wie übrigens auch die ständige Gegenwart Lenglets. Eine noch nicht abgeschlossene Trennung. Und jetzt Marseille, Cognac, Vieux-Port und Alleinsein.
Als er ankommt, stellt er den Wagen im Évêché ab und geht zu Fuß. Abstecher zur Kaffeerösterei auf der Canebière, wo er einen elektrischen Espressokocher und ein Kilo gemahlenen Kaffee aus Italien kauft. Zu Hause hat er kaum geduscht, als das Telefon klingelt. Vincent Royer, ein Kommilitone von der Jurafakultät.
»Porticcio rief an, um mir zu sagen, dass du eine Weile in Marseille bist und er dir seine Wohnung geliehen hat. Du hättest es schlechter treffen können!«
»Sagen wir, ich beschwere mich nicht.«
»Weißt du, dass ich nach Marseille zurück bin, um mich als Anwalt niederzulassen?«
»Porticcio erzählte davon. Gefällt es dir hier?«
»Ja, ich liebe meine Heimatstadt. Und ich habe großes Glück. Ich bin Partner von Maître Lombardino, wir haben beim bevorstehenden Riesenprozess um die Zerschlagung der berüchtigten French Connection die Verteidigung einiger Angeklagter übernommen, insgesamt über dreißig Beschuldigte. Ich vermute, du hast im Évêché davon reden hören?« Daquin brummt etwas. »Ich bin zuständig für das Dossier der Ehefrau des Hauptangeklagten. Das ist faszinierend, in beruflicher Hinsicht.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Wir könnten uns vielleicht treffen …«
»Morgen, komm zum Abendessen zu mir, besser gesagt zu Porticcio, am Quai du Port. Du kennst die Adresse, wenn ich recht verstanden habe. Etwas später, gegen neun, ich weiß nicht, um wie viel Uhr ich im Évêché fertig bin …«
»Abgemacht. Sehr gern.«
Vincent, Mitglied der kleinen Clique an der Jurafakultät. Vage Erinnerung … Ich denke morgen darüber nach.
Heute Abend macht sich Daquin daran, die Plattensammlung seines Freundes, überwiegend Klassik, nach Jazz zu durchstöbern, und setzt sich mit seinem Cognac in einen Liegestuhl auf der Loggia. Die Lichter des Vieux-Port blinken in der Nacht. Es ist kühl. Morgen ist ein anderer Tag.
Mittwoch, Marseille
Die großen nationalen Tageszeitungen melden Pieris Ermordung auf einer Spalte im Innenteil, Rubrik Vermischtes:
MARSEILLER REEDER AUF DER PROMENADE DES ANGLAIS IN NIZZA ERSCHOSSEN
Maxime Pieri, ein Akteur bei der wirtschaftlichen Umstrukturierung des Hafens von Marseille, scheint mit einigen Jahren Verspätung für seine anrüchigen Verbindungen zum Guérini-Clan in der unmittelbaren Nachkriegszeit gebüßt zu haben.
Gleich am Morgen versammeln sich Daquin und seine beiden Inspektoren in ihrem Büro. Grimbert kommt allen anderen zuvor.
»Wie von Ihnen beauftragt, habe ich einen Bullen gesucht, der Pieri gut kannte. Ich war gestern bei einem meiner alten Freunde, der beim Marseiller Drogendezernat arbeitet. Sie müssen wissen, Commissaire, dass die Beziehungen zwischen dem Drogendezernat und dem Rest der Kriminalpolizei miserabel sind. Vor weniger als zwei Jahren hat der Minister persönlich den Marseiller Drogenfahndern vorgeworfen, sie seien faul und unfähig und alle mehr oder weniger korrupt. Letztes Jahr sind sie deshalb allesamt entlassen worden und als Ersatz ist ein fertig zusammengestelltes Team aus Paris gekommen, mit einem Chef, der aus den Großen Brigaden im Quai des Orfèvres stammt. Die Regionalpresse schrieb, sie seien hier, um die ›Korsen-Polizei zu bekämpfen‹. Die Atmosphäre können Sie sich vorstellen … Um die Sache zu verschärfen, verlangten die Pariser, von der Marseiller Kriminalpolizei unabhängig zu sein, verließen den Évêché und quartierten sich in irgendwelchen Wohnungen in der Stadt ein. Eine echte Ohrfeige. Die gesamte Marseiller Kriminalpolizei fühlte sich angegriffen und stellte die Kommunikation mit dem Drogendezernat ein. Tja, auf der Suche nach Unterstützung setzten die Pariser ganz auf die Zusammenarbeit mit den Amerikanern, die, um die French zu zerschlagen, angebliche Spitzenkräfte der CIA ins amerikanische Konsulat von Marseille versetzt haben und den Drogenfahndern Kohle, Autos und Funkgeräte zuschanzten. Und dann merkten die Pariser irgendwann, dass Karteien ohne Ortskenntnisse tot sind und dass die Amis sie in Sackgassen führen. Ich erzähle Ihnen nicht, was für Böcke sie geschossen haben. Ein Ding: