Stoner McTavish. Sarah Dreher
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Читать онлайн книгу Stoner McTavish - Sarah Dreher страница 4

Eines Abends wusste Stoner, dass sie genug hatte. Wenn deine Mutter dir ununterbrochen erklärt, dass du sie krank machst, musst du es entweder irgendwann glauben, oder gehen, oder lernen, es zu ignorieren. Und Stoner war noch nie gut darin gewesen, irgendetwas zu ignorieren. Besonders nicht, wenn es etwas Unangenehmes war – was Dr. Kesselbaum ihr gegenüber ungefähr so ausdrückte, ›das soll keine Kritik sein, Stoner, Liebes‹, aber sie täte gut daran, dafür zu sorgen, dass sie sich in einer wohltuenden Umgebung und unter ihr zugetanen Menschen aufhalte. Doch in jener Nacht knisterte und qualmte die Luft vor Gewalt und nutzlosen Tränen, und Stoner hatte das Einzige getan, was ihr einfiel, ohne zu wagen, darüber nachzudenken. Sie war zu Tante Hermione geflohen.
Sie stopfte in einen alten Rucksack, so viel hineinpasste, und wartete, bis es im Haus still wurde. Starr vor Angst schlich sie die Treppe hinunter, stahl fünfzig Dollar aus dem Portemonnaie ihrer Mutter und stieg in den Bus nach Boston.
An der Bushaltestelle Park Square verließ sie der Mut. Tante Hermione würde sie hassen. Sie war feige, verantwortungslos und undankbar. Sie würde hinausgeworfen oder, noch schlimmer, zurückgeschickt werden. Sie konnte Tante Hermione nicht ins Gesicht sehen.
Zwei Tage lang drückte sie sich in der Stadt herum, schlief auf dem Busbahnhof, starrte durch den herbstgelichteten Park auf die Backsteinfestung ihrer Tante, und der Ausdruck verständnislosen Schmerzes in den Augen ihres kleinen Hundes, als sie ihn sanft ins Haus zurückschob und die Tür zuzog, verfolgte sie. Zu guter Letzt schleppte sie sich hungrig, erschöpft und zermürbt die Stufen hoch und klingelte.
»So«, sagte Tante Hermione. »Na, das wird aber auch Zeit!«
Stoner sah hoch in das weiche, runde Gesicht ihrer Tante, das von wuscheligen grauen Haaren umkränzt war, und brach zusammen. »Bitte, schick mich nicht zurück«, murmelte sie.
Tante Hermione zog sie in eine lavendelduftende Umarmung.
»Sei kein Esel«, sagte sie und wischte mit ihrem Ärmel die Tränen von Stoners Gesicht. »Komm in die Küche. Ich mache uns eine Kanne Tee.«
Stoner kauerte sich im Schneidersitz auf das verschlissene Plaudersofa, das eine Ecke der Küche zierte. Die Morgensonne fiel durch die Spitzengardinen in den Raum und zeichnete feine Licht- und Schattenmuster auf den polierten Dielenboden. Prismen in jedem Fenster warfen Regenbögen an die eierschalfarbenen Wände. Weidengeflochtene Vogelkäfige voller Hängepflanzen hingen an den Türen und über Tisch und Spüle.
»Meine Schwester ist schon immer ein widerliches Aas gewesen.« Tante Hermione wirtschaftete herum und knallte Schubladen und Schranktüren. Sie fand ein paar Dänische Pasteten und schob sie in den Backofen. »Wahrscheinlich ein bisschen altbacken, aber es wird schon gehen. Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?«
»Was? Oh … ich weiß nicht so genau.«
»Zweifellos irgendetwas Ekliges in einem Lokal. Ich sage dir, Stoner, die Zivilisation hat sich von diesem Teil Bostons verabschiedet. Ich erinnere mich noch an die Zeiten, wo du, egal ob Tag oder Nacht, ein vollendetes Mahl bekommen konntest. Und mit Stil serviert, verstehst du? Sieh dich doch nur mal um. Blechschüsseln, Pappteller, McDonald’s. Nicht mal ein leidlicher Imbiss. Das Parker’sche Gasthaus ist eine Katastrophe. Kein Wunder, dass die Leute ihr Essen wie Schweine herunterschlingen. Ich habe seit Jahren kein akzeptables Omelette mehr bekommen.«
»Hast du schon mit ihnen gesprochen?«, fragte Stoner ängstlich.
»Ich versichere dir, ich habe mich laut und deutlich und ausgiebig beschwert, mit dem heutzutage üblichen Ergebnis.«
»Was?«
»Ich habe beim Büro des Bürgermeisters angerufen, bei der Kulturbehörde, im Gericht, sogar beim Gouverneur. Ich hätte auch im Schlaf sprechen können, der Effekt wäre derselbe gewesen.« Sie warf einen Seitenblick auf Stoner. »Ach, deine Eltern. Ich sagte, du seist nicht hier. Warst du ja auch nicht, oder?«
»Was haben sie gesagt?«
Tante Hermione stemmte ihre Hände in die Hüften. »Meine Liebe, selbst in meinem Alter sollte niemandem zugemutet werden, was die zu mir gesagt haben. Bitte, erwarte nicht, dass ich es vor deinen zarten Ohren wiederhole!«
Obwohl ihr nicht danach zumute war, musste Stoner lächeln. Ihr stieg der Muskatnussduft der Pasteten in die Nase.
»Soo!« Tante Hermione stürmte zum Backofen und holte die Pastetenröllchen heraus. »Auf geht’s.«
Sie reichte Stoner einen Teller, ein Töpfchen mit Butter und ein Messer. »Tee in einer Minute. Sie sind köstlich. Von einer Klientin. Wunderbare Köchin. Sie bezahlt mich in Kalorien.«
»Wie läuft das Geschäft, Tante Hermione?«, fragte Stoner höflich und versuchte, ihr Essen nicht wie ein Schwein herunterzuschlingen.
»Es boomt. Okkultismus liegt im Trend, deshalb. Plötzlich ist es schick, sich seine Handlinien deuten zu lassen. Ich für meinen Teil bevorzuge seriöse Schüler der Mysterien, nicht diese Eintagsfliegen. Nächstes Jahr wenden sie sich dann wieder ihren fetten Sparkonten zu und wählen die Republikaner. Mein Vater pflegte in solchen Fällen immer zu raten: Schmiede das Eisen, solange es heiß ist.«
Der Kupferkessel begann zu pfeifen. Tante Hermione schippte löffelweise losen Tee in eine vorgewärmte Kanne und goss heißes Wasser hinzu.
»Erdbeer, Minze und Kamille. Du brauchst etwas, was dich kräftigt.«
Stoner errötete. »Ich habe mich seit drei Tagen nicht gewaschen.«
»Schäme dich niemals des Drecks, der dir ehrlich zuteil wurde«, sagte Tante Hermione. Sie musterte Stoner von oben bis unten. »Ein bisschen Schlaf könnte dir auch nicht gerade schaden.« Sie stützte ihre Ellbogen auf den Tisch und nahm ihr Kinn in die Hände. Ihre Augen blickten wachsam wie die eines Spatzes durch die mit Strass verzierte Plastikgestellbrille. »So, nun hast du es also endlich getan. Stoner, ich bin stolz auf dich.«
»Wirklich?«
»Schließlich hat es lange genug gedauert. Selbst ein Hund hätte gemerkt, dass er dieses Horrorhaus verlassen muss. Ich habe Helen nie verstanden, und bestimmt nicht, weil sie zehn Jahre jünger ist als ich. Vermutlich hat sie dich glauben lassen, ich sei ungefähr hundert Jahre älter und sie das Wunder der Menopause. Alles musste immer nach ihrem Kopf gehen, alle um sie herum hatten sich gefälligst danach zu richten, wie es ihr genehm war.«
»Das trifft es in etwa«, sagte Stoner bitter.
»Fieser als Katzenpisse. Ich will gern zugeben, dass es mir Angst gemacht hat, dich zur Frau heranreifen zu sehen. Sie setzte alle Hebel in Bewegung, aus dir eine exakte Kopie ihrer selbst zu machen.« Tante Hermione schüttelte sich. »Ich hab versucht, mit ihr zu reden. ›Helen, wenn du dich so sehr liebst, häng dir das Haus mit Spiegeln voll. Aber lass das Kind in Ruhe!‹«
Sie goss Tee ein und reichte Stoner eine Tasse. »Und dieser Vater, den du da hast. Um es vornehm zu sagen, er würde sich nicht mal trauen, ›Scheiße‹ zu sagen, wenn er den Mund damit voll hätte. Der alte Angus muss sonst wo gewesen sein, als er ihn zeugte.«
Stoner rollte sich in einer Ecke des Plaudersofas zusammen und fühlte sich – versuchsweise – sicher. Tante Hermione reichte ihr ein weiteres Pastetchen.
»Hab ich dir je erzählt«, fragte sie, »wie ich dich mal beim Kartenspiel von