Schlacht um Sina. Matthias Falke

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Schlacht um Sina - Matthias Falke

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Jupiterraum, wo die Flotte sich sammeln und den Sprung durchführen sollte. Das hatte zum einen praktische Gründe. Dort war jetzt genügend Platz. Das innere Sonnensystem war einfach zu kleinräumig, um die Warpreaktoren zu aktivieren. Wir mussten auch an die vielen Piloten denken, die über keinerlei fliegerische Erfahrung unter Echt-Bedingungen verfügten. Zum anderen lag darin ein psychologisches Moment. Zum Racheschwur traf man sich am besten am Grab dessen, dessen Tod man rächen wollte.

      Auf der Höhe der Marsbahn und dann des Asteroidengürtels stießen weitere gewichtige Verbände zu uns. Es waren vor allem die sekundären Kapazitäten, die die Marsbasen und die Asteroidenwerften zur Verfügung stellten. Tank-, Munitions-, Versorgungs- und Lazarettschiffe. Gefechtsschiffe; das waren fliegende Feuerleitzentralen, denen im Gefecht die Aufgabe zukam, die vielen hundert Einzelmaschinen zu koordinieren und gleichzeitig ebenso viele feindliche Flugkörper im Auge zu behalten. Torpedoschiffe, die mit Ionensonden bestückt waren, die wiederum schwere Antimateriesprengköpfe trugen. Schließlich die versprochenen Truppentransporter: ihre Spanten aus gehärtetem Titanstahl bargen eigene Landungsschiffe, um Mannschaften auf fremden Welten absetzen zu können, und mehrere Divisionen an Infanteristen; sowie das schwere Schlachtschiff, ein Gigatonnenkreuzer, den man in weniger als zwei Jahren hier oben aus dem Erz der Planetoiden gestampft und auf den Namen EREBUS getauft hatte.

      Hatte ich am Morgen mit starker Übelkeit kämpfen müssen, so überkam mich nun ein Gefühl der Unbesiegbarkeit. Welche Macht konnte dieser Armada standhalten?!

      Wir näherten uns dem Jupiterraum. Ich ließ mich mit dem Kommandanten des Schlachtschiffes verbinden. Es war ein General Andresen; an den Namen glaubte ich mich vage aus der Akademiezeit zu erinnern. Ohne überflüssiges Vorgeplänkel kam er sofort zur Sache.

      »Haben Sie sie auf dem Schirm?«

      Jennifer ging online auf den großen Monitor und zeigte mir, was er meinte. Ich erkannte eine HoloKarte der völlig verwüsteten Jupiterregion. Einige der ehemaligen Monde des Monarchen hatten seinen Thronsturz überdauert. Gemeinsam mit einigen kleineren Bruchstücken und Trümmern, die aus Kollisionen der einstigen Trabanten hervorgegangen waren, bildeten sie eine instabile Wolke, die einen Radius von mehr als einer Million Kilometern einnahm und trudelnd um den gemeinsamen Schwerpunkt kreiste. Es waren nur noch wenige größere Körper, zwischen einigen Dutzend und über tausend Kilometern Durchmesser, aber mehrere Millionen Fragmente, vom Meter- bis zum Mikrometerbereich. Das ganze sah eher aus wie ein vorsintflutliches Atommodell, das die Verteilung der Elektronenwolken darstellte, als wie ein Planetensystem. Es konnte auch schön als Illustrierung davon herhalten, was geschah, wenn jemandem die Mitte abhanden kam und er des notwendigen Zusammenhaltes verlustig ging. Jedenfalls war es ein tödliches Gebiet, in das einzufliegen nicht ratsam schien. Nahe bei seinem Zentrum, den beiden Schwerpunkten einer Ellipse ähnlich, hob die Automatik zwei grüne Symbole hervor, in die sie das Hohheitszeichen der Sineser eintrug.

      »Nur zwei?«, fragte ich ungläubig.

      Jennifer hob die Achseln, ohne sich nach mir umzusehen. Aber sie hatte das Deepfield zurate gezogen und den gesamten Raum diesseits der Oort’schen Wolke hochauflösend gescannt. Anscheinend hatte sie keine weiteren Anzeichen auf die Anwesenheit feindlicher Schnüffler entdecken können.

      Andresen antwortete wie aus der Pistole geschossen. »Gegenwärtig sind es nur zwei, und sie haben sich, was ungewöhnlich genug ist, auf einen sehr engen Raum zurückgezogen. Rein statistisch gesehen, dürfte in den nächsten Stunden wenigstens eine weitere hier eintreffen, und kurz danach wird vermutlich mindestens eine von diesen beiden Richtung Sina verschwinden.«

      Jennifer hatte sich jetzt in ihrem gravimetrischen Pilotensessel zu mir umgedreht. Sie schnitt ein ironisches Gesicht. Der geschäftsmäßige, knorrige Ton des Generals schien sie über die Maßen zu amüsieren.

      »Dann sollten wir es nicht so weit kommen lassen“, sagte ich. »Sie die linke, wir die rechte!«

      Und da rechts und links im offenen Raum relative Begriffe sind, zeigte ich Jennifer auf der Konsole, welche der Sonden ich meinte. Sie markierte sie auf dem Schirm und schickte die entsprechenden Koordinaten an die EREBUS.

      Ich befahl dem Rest der Flotte, zurückzubleiben und sich auf den Sprung vorzubereiten. Dann pirschten wir uns näher an den Jupiterraum heran. Die EREBUS und die ENTHYMESIS rückten einige hunderttausend Kilometer auseinander, um eine breitere Gefechtsbasis zu schaffen. Aber wir blieben dicht genug beieinander, um Kommunikation in Echtzeit zu gewährleisten. Bald sahen wir den Trümmerreigen mit bloßen Augen. Die großen, halbwegs unversehrten Monde standen abseits. Wie Schäferhunde eine Herde voller herumtollender Lämmer umkreisten sie in gemessenem Abstand das Chaos aus umeinandertrudelnden Felsbrocken und Gesteinstrümmern. Wir schoben uns bis an den Rand der instabilen Region heran, die immer noch von Gezeitenschocks und höherdimensionalen Entladungen durchtobt wurde. Der Volumendefekt, den die sinesische Annihilationssonde verursacht hatte, war noch immer nicht völlig ausgeglichen. Der Raum selbst konnte nicht gedehnt werden, um die Lücke innerhalb der Leere zu schließen. Hinzu kam, dass durch den Sturz des Jupiter und das Verschwinden seines Schwerefeldes ein weiterer Faktor, der den Raum komprimiert hatte, aus der Region abhanden gekommen war. Der Effekt war eine zusätzliche Dehnung der Raumzeitlinien, die der Überwindung des Defekts zusätzlich entgegenarbeitete. Eine Stauchung des Raumzeitkontinuums wäre nötig gewesen, um einige Milliarden Kubikkilometer schieren Volumens in die Lücke hineinzupressen. Am Ende, überlegte ich, musste man Dunkle Materie, wie sie sich an den ungleich größeren Dehnungsbrüchen der intergalaktischen Korridore bildete, heranschaffen, um das Loch zu kitten. Aber es war jetzt nicht der Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen.

      Fest stand, dass ein extrem instabiles Gebiet vor uns lag, von massiven Partikeln aller Art durchkreuzt und von Verwerfungen der Raumzeit durchtost. Und tief im Inneren, im schwarzen Auge dieses Orkans aus Geschossen und Energie, funkelten zwei Lichtpunkte, dort hockten die beiden sinesischen Überwachungssonden.

      »Glauben Sie, sie sind gefährlich?«, wandte ich mich an General Andresen.

      Jennifer äffte mich lautlos nach. Ihr missfiel es, dass ich mir die Blöße gab, einen Rat einzuholen. Aber auf derlei Spielchen war ich noch nie versessen. Wenn man etwas nicht wusste, sollte man danach fragen. Der Kommandant hatte jedenfalls mehr Erfahrung mit diesen Dingern als wir.

      »Man muss damit rechnen«, hörte ich. »Jedenfalls agieren sie selbständiger, als wir das bisher von ihnen gewohnt sind. Sie verfügen über volle KI-Fähigkeit.«

      Ich tauschte einige Blicke mit meinem Copiloten und den Adjutanten, die auf den rückwärtigen Plätzen der Brücke saßen. Sie alle hatten sich seit Jahren mit den Spähern beschäftigt. In dieser Zeit war keine der Sonden einer menschlichen Einrichtung nahegekommen. Aber sie waren auch nicht mit einem Akt der Aggression konfrontiert worden, wie ihn unser Ausrücken in ihren Augen ohne Zweifel darstellen musste.

      »Knipsen wir sie aus«, entschied Jennifer, und in den Mienen der anderen las ich Zustimmung. Natürlich musste jedem klar sein, was das bedeutete: ein offener Affront, der das sinesische Imperium herausforderte! Im Grunde konnte ich froh sein, in Andresen einen so entschlossenen Kommandanten zur Seite zu haben. Er würde nicht zimperlich reagieren, wenn ich den Feuerbefehl gab.

      »Bringen wir’ hinter uns.«

      Jennifer gab Energie auf die Feldgeneratoren. Das Schiff erzitterte, blieb aber noch an seiner Position. Sie hatte unaufgefordert gehandelt. Das belustigte mich. Hatte sie sich eben noch um meine Autorität gesorgt, trug sie nun selbst dazu bei, sie zu untergraben.

      »Andresen«, rief ich in die Kommunikation. »Sie gehört Ihnen!«

      Die EREBUS war zu weit entfernt, als dass sie mit bloßem Auge sichtbar gewesen wäre, aber wir hatten das Schiff auf einem unserer Schirme.

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