Schlacht um Sina. Matthias Falke
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Als die Ladeklappen sich surrend schlossen und mit hydraulischem Schmatzen verriegelten, drückten wir Kauffmann die Hand und verabschiedeten uns von ihm. Ich hatte diesen korrekten, karrierebewussten Beamten, der so auf seine gewienerten Schuhe, den Sitz seiner Krawatten und die manikürten Fingernägel bedacht war, liebgewonnen. Beinahe hätte ich ihm vorgeschlagen, uns zu begleiten. Was er wohl gesagt hätte, wenn wir jenseits der Milchstraße aus dem Warpkorridor herauskamen? Aber er passte weder auf ein militärisches Schiff, als das wir die ENTHYMESIS jetzt wohl oder übel ansehen mussten, noch unter die raubeinigen Kolonisatoren der Eschata-Region. Sein Platz und seine Aufgabe war hier, in der Zivilverwaltung, wo er seine Fäden ziehen und seine Intrigen spinnen konnte. Es kamen größere Herausforderungen auf ihn zu, als er selbst zu diesem Zeitpunkt ahnte. Er war der Meinung, im Augenblick unseres Starts sei er uns los und aller von uns verursachten Probleme ledig; und wir sahen nicht ein, weshalb wir ihn nicht in diesem Glauben lassen sollten. Mit einem letzten Nicken wandte er sich ab und ging mit seinen weichen Schultern und seinem irgendwie femininen Gang zum Elevatorschacht zurück. Wir stapften die Backbordrampe hinauf und gingen an Bord.
Als alle Systeme hochgefahren waren und grünes Licht zeigten und als Jennifer mir über die Schulter hinweg das Good-to-go-Zeichen machte, fragte ich die Staffelführer ab. Die ganze Flotte war in Geschwader untergliedert und diese wiederum in Staffeln. Jede Staffel bestand aus zwölf bis fünfzehn Maschinen und unterstand einem Staffelführer. In rascher Folge gingen deren Okays bei mir ein. Ausnahmslos alle Maschinen waren bemannt, munitioniert, betankt und startklar. Es bereitete mir ein archaisches Vergnügen, die Außenmikrophone auf Automatik zu schalten und über einen offenen Kanal dem gewaltigen Dröhnen zu lauschen, das die kilometerlange, kreuzförmige Halle erbeben ließ. Hunderte starker Feldgeneratoren liefen heulend an. Reaktoren wurden angefahren, Ionentriebwerke waren zur Zündung bereit. Warpspulen warteten darauf, dass die Plasmakammern ihnen die nötige Energie zuführten, um lichtjahrweite Korridore auszureißen und, auf über tausend Hertz oszillierend, die Galaxis zu durcheilen. Die letzten Serviceroboter flitzten zwischen den warmlaufenden Maschinen hin und her. Hier wurde noch ein Tankschlauch entfernt, dort ein Druckausgleich hergestellt. Dann zogen die Mechanikerteams sich zurück. Die Luft in der Halle brodelte und kochte. Die Schmiede der Titanen war zum Leben erwacht, wo Hephaist und seine Gesellen die Waffen für einen neuen troianischen Krieg in ihren unterirdischen Essen härteten.
Als ich mich von der Einsatzbereitschaft der Flotte überzeugt hatte, ließ ich mich mit dem Tower verbinden, der wie ein Schwalbennest über uns unter der Decke der gewaltigen Felskonstruktion hing. Ich verspürte ein letztes Zögern. Noch war nichts geschehen. Aber schon in wenigen Minuten war alles unumkehrbar. Jennifer sah sich fragend nach mir um. Ihre Finger flatterten nervös über dem Hauptbedienpult, wie Kolibris, die darauf warteten, ihre Saugrüssel in die goldenen Nektarkelche einer prächtigen südamerikanischen Heliconia zu tauchen. Sie selbst schien ein einziger menschlicher Feldgenerator zu sein, der Funken sprühte, blaue Lichtbögen auswarf und reines Plasma aus allen Fugen schwitzte. Draußen donnerten tausend startbereite Maschinen. Die Herzen von mehreren tausend auf mich persönlich vereidigten Männern und Frauen schlugen höher im herrlichen Tumult dieses unerwarteten Morgens.
»Hangartor öffnen!«, befahl ich.
Ein vielstimmiger Jubel brach sich in der riesigen Halle. Die Piloten ließen ihre Turbinen aufheulen. Die Staffelführer riefen einzeln ihre Mannschaften und tauschten ritualisierte und verschlüsselte Anfeuerungen aus. Das Licht der großen Strahler, die die Halle bisher in ein hartes Weiß getaucht hatten, erlosch. Der grüne Widerschein der Bedienfelder und Armaturen war für einen Moment das einzig Sichtbare. Noch zweihundert Meter entfernt wurde ein schmaler Spalt erkennbar, der rasch zu einem breiten Rechteck in die Höhe wuchs. Die Jäger und Kampfbomber der ersten Reihe hoben ab und flogen in den sonnigen Morgen hinaus. Ihnen folgte nun Welle auf Welle. Noch während das riesige Hangartor nach oben wegglitt und den Blick auf die vorfrühlingshafte Gebirgslandschaft freigab, katapultierten die Maschinen sich in Dreier- und Fünferreihen über das Hochtal hinweg, drehten scharf bei und verschwanden am krokusfarbenen Himmel.
Als die Reihe an uns kam, musste Jennifer die ENTHYMESIS zunächst behutsam aus ihrer Parkposition lösen, die um neunzig Grad gegen die Längsachse der Halle verdreht war. Zentimeterweise schob sie das bullige Schiff um die Biegung des Kuppelkreuzes. Natürlich hätte sie das Park-Off auch dem Ersten Piloten oder der Automatik überlassen können, aber das kam für sie nicht infrage. Zu lange schon hatte sie den geliebten Explorer vermissen müssen. Selbst wenn man die ENTHYMESIS II mit einbezog, die uns seit der Nacht von Pensacola als Ersatz hatte dienen müssen, waren viele Monate vergangen, seit sie am Hauptbedienplatz eines großen Schiffes gesessen hatte. Und dieses Schiff, die erste und einzige ENTHYMESIS, hatte sie seit mehreren Jahren nicht mehr fliegen können.
Sie richtete uns auf die Hauptachse der großen Halle aus und beschleunigte rasch zum Hangartor. Wir jagten über das Gebirgstal hinaus und stiegen dann schnell weiter auf, während die Felsgipfel der Teton-Range und die in sie eingemauerte Bunkerstadt steil zurückfielen. An unserem Heck folgte Staffel nach Staffel. In dichten, deltaförmig gespreizten Wellen fluteten die Geschwader aus der unterirdischen Festung und steuerten im Formationsflug den erdnahen Orbit an. Was für ein Anblick! Hunderte von Maschinen, nur wenige Meter Luft zwischen den Flügelspitzen, donnerten über die friedliche Landschaft. Dort unten musste der Himmel sich verdunkeln und in einem stählernen Gewitter grollen, als er von Turbinenlärm gepflügt und vom Tosen der Feldgeneratoren umgewühlt wurde. Wir gewannen rasch an Höhe. Die Atmosphäre lichtete sich um uns, als die letzten streifigen Zirrostratus, die auf einen klaren, aber kalten Tag hindeuteten, unter uns zerflockten. Am Horizont zeichneten sich, wie weit entfernte Schwärme von Zugvögeln, weitere Geschwader ab. Sie stiegen von anderen Bunkerstädten und unterirdischen Werften in den Anden, den europäischen Alpen, den Massiven Zentralasiens auf. Und all diese Maschinen vereinigten sich mit uns zu einer einzigen stahlgrauen Wolke, die sich am Firmament verflüchtigte und in die ewige Nacht des Alls eintauchte.
Wir passierten die Ringe. Myriaden im Sonnenlicht funkelnder Brocken und Splitter, die kleinsten feiner als Staub, die größten von den Ausmaßen einer Stadt. An einem der großen Trümmer kamen wir dicht vorbei. Wir sahen die Station, die in seine sich träge drehenden sandfarbenen Massen eingebaut war. Die Besatzung stand an den Fenstern und jubelte uns zu. Der Richtkanonier winkte mit den Läufen seines schweren Zwillingsgeschützes. Die ganze Batterie bestand aus zehn solcher Kanonen, die wie die Stacheln eines riesigen Igels aus der unregelmäßig geformten Felsmasse hervorstarrten. Ein thermischer Reaktor im Inneren des einstigen Asteroiden versorgte sie mit Energie. Sie war Teil des äußeren Sperrgürtels, der, dem Verlauf der Ringe über dem Äquator folgend, die Aufgabe hatte, eine Invasion noch oberhalb der Atmosphäre abzuwehren.
Wir beschleunigten auf Fluchtgeschwindigkeit und verließen das Schwerefeld der Erde. Der blaue Planet mit dem silbernen Ring um die Taille fiel rasch zurück und wurde zu einem punktförmigen Saphir auf dem schwarzen Samt des Raumes. Die Flotte zog sich über mehrere tausend Kilometer auseinander. Ich hatte Funkstille angeordnet, um die Aufmerksamkeit der sinesischen Sonden nicht auf uns zu ziehen. Die Instrumente der ENTHYMESIS hatten die Späher übrigens längst geortet und die Koordinaten an den restlichen Verband weitergegeben. Zwar ging ich nicht davon aus, dass die Sonden per se gefährlich waren, aber man konnte es nicht wissen. Bei den Sinesern musste man auf alles gefasst sein.