Maritime Erzählungen - Wahrheit und Dichtung. Detlev Sakautzky
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„Beim nächsten Hol werden wir die Rutschen umsetzen“ antwortete Martin keuchend und vereiste von der Bühne aus den über die Rutschen einlaufenden Fisch.
Martin verteilte mit der Schaufel die Eisstücke. Fisch und Eisstücke wurden mit langen Schiebern bis unter die isolierte Raumdecke geschoben und bildeten einen festen gekühlten Verband.
Derbe Segeltuchhosen, dicke Pullover, gummierte Ärmelschoner, lange Seestiefel, Gummihandschuhe, Segeltuchhandschuhe schützten beide vor der Nässe und Kälte der Raumluft sowie gegen Verletzungen, besonders durch Rotbarschstachel.
Das Vereisen des Fisches war eine körperlich sehr anstrengende Tätigkeit. Schweiß lief beiden, trotz der Kälte des Eisraumes, übers Gesicht. In kürzester Zeit schaufelte Chris sehr große Mengen an Eisstücke, teils rückwärts über den Kopf, auf die Bühne, die Martin über den Fisch in der Hocke verteilte.
Martin und Chris kannten sich schon aus der Schulzeit. Sie kamen aus einem kleinen Dorf am Saaler Bodden. Dort waren sie als Kinder in dieselbe Schule gegangen und hatten nach dem Schulabschluss den Beruf des Hochseefischers erlernt. Martin, der Ältere und Größere von beiden, besuchte nach längerer Fahrzeit auf verschiedenen Loggern und Trawlern die Seefahrtschule in Wustrow. Dort erwarb er das nautische Patent zum Führen eines Schiffes der Großen Hochseefischerei. Seit einem Jahr fuhr er als Zweiter Steuermann auf der „Anna“. Die qualitätsgerechte Einlagerung des bearbeiteten Fisches gehörte unter anderem zu seinen Aufgaben.
Darüber hinaus erfüllte Martin die Aufgaben des Gesundheitsschutzes an Bord. Er behandelte Wundverletzungen, wie Rotbarschvergiftungen, Abschürfungen an der Hand, Fingerbrüche, Prellungen, Verstauchungen, Zahnschmerzen, Erfrierungen, Verbrühungen, Verbrennungen und Entzündungen. Ein Medizinschrank, ausgerüstet mit Verbandsmaterial, Medikamenten sowie medizinischen Hilfsmitteln befand sich in der Krankenkammer auf der Steuerbordseite der Aufbauten des Hauptdecks. Eine eingebaute Schlingerkoje gehörte auch zur Ausrüstung, die bei starken Schlinger- und Stampfbewegungen den Genesungsprozess von Schwerkranken erträglicher machte.
*
Die guten Fänge der letzten Tage sicherten eine hohe Fangprämie. Auf dieser Reise wurde viel Geld verdient. Chris benötigte dringend einen größeren Geldbetrag. Er hatte mit dem Dachdecker seines Dorfes die Erneuerung des Reetdaches, des kleinen Hauses seiner Mutter, das er mit ihr gemeinsam bewohnte, vereinbart.
Das Haus war Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut worden und stand unter Denkmalschutz. Er beabsichtigte das Haus Schritt für Schritt zu erneuern.
Chris Vorfahren waren Boddenfischer und Bauern, die das Haus mit einem kleinen Grundstück über Jahrzehnte in der Familie weiter vererbt hatten. Er war bestrebt das alte Familienerbe zu erhalten.
Kleines Haus mit Reetdach.
„Nach deiner Heimkehr möchte ich das Grundstück auf deinen Namen in das Grundbuch eintragen lassen“, hatte die sorgende Mutter ihm liebevoll beim Abschied mitgeteilt.
Sie wollte alles rechtzeitig regeln. Bei den letzten schweren Kampfhandlungen am Ende des Krieges hatte sie ihren Mann verloren. Chris war ihr einziges Kind. Den Lebensunterhalt verdiente sie für sich als Arbeiterin beim Dünenschutz. Wiederholt hatte sie ihren Sohn aufgefordert, die schwere Arbeit in der Hochseefischerei aufzugeben.
„Bleib an Land, im Fischereihafen werden noch Decksleute für den Dienst auf den Schleppern gesucht. Die Arbeit wird dir auch Spaß machen. Unser Nachbar, Herr Trost, arbeitet auch dort“, redete sie eindringlich auf ihn ein.
„Der Verdienst in der Hochseefischerei ist gut, der Beruf gefällt mir, mit den Kollegen an Bord komme ich gut zurecht, später möchte ich wie Martin die Seefahrtsschule besuchen“, hatte er ihr immer stolz und beruhigend erklärt. Einen schöneren Beruf gab es für Chris nicht.
„Geld ist nicht alles im Leben“, entgegnete die Mutter und war sehr traurig über die Einstellung ihres Sohnes. Gern hätte sie Chris umgestimmt. Alle Bemühungen waren ohne Erfolg geblieben. Sie hatte Angst, dass er eines Tages nicht mehr von See zurückkam und sie den Sohn verlieren würde, auf den sie ihre ganze Hoffnung setzte.
Häufig dachte Chris an Linda, die Schwester von Martin, mit der er sich in der Freizeit heimlich verlobt hatte. Chris und Linda wollten es der Mutter und ihren Eltern nach dieser Reise mitteilen. Martin sollte es noch auf dieser Reise erfahren.
*
Der letzte Korb mit Kabeljau war unter Deck gebracht und vereist worden. Martin beauftragte Chris mit der Kontrolle und Reinigung der Bilge und des Lenzbrunnens. Beide wussten, dass eine Verstopfung des Lenzbrunnens eine Qualitätsminderung des Fisches durch nicht ablaufendes, tauendes Eiswasser zur Folge hatte.
„Alles in Ordnung, Lenzbrunnen und Bilge sind frei!“, rief Chris aus der Tiefe des Raumes.
Beide verließen über eine transportable Holzleiter den Eisraum, deckten die Luke mit einem schweren Thermodeckel und der Lukenpersenning ab, um den Eintritt von überkommendem Spritzwasser zu verhindern und die Kühlraumtemperatur zu halten.
Die Arbeit an Deck war beendet. Die Decksleute hatten das Deck gereinigt verlassen und sich in die Messe, im Achterschiff, zur Mittagsmahlzeit begeben.
Martin und Chris gingen auch in die Messe, um Mittag zu essen. Vorher hatten sie ihre Schutzbekleidung ausgezogen und im Trockenraum abgelegt. Der Kochsmaat reichte beiden eine Schüssel Erbsensuppe mit Speck. Chris setzte sich an die lange Back neben Fritz. Es wurde eilig gegessen. „In einer halben Stunde will der „Alte“ hieven lassen“, sagte Fritz.
„Es bleibt noch Zeit für eine Tasse Kaffee“, meinte Chris.
„Komm zu mir auf die Kammer, ich „werfe“ den Wasserkocher an“, sagte Fritz, verließ die Messe und ging zu seiner Kammer ins Vorschiff.
Martin, der sich auch mit dem Essen beeilt hatte, ging auf die Brücke, um den Kapitän für die Einnahme der Mittagsmahlzeit abzulösen. Die Sicht hatte sich verbessert. Zwei in der Nähe schleppende Trawler wurden in einer Meile an Steuerbord querab gesichtet.
„In einer halben Stunde will ich hieven“, sagte der Kapitän zu Martin.
„Halte die Wassertiefe! Auf dem Echographenpapier sind noch einige Fischanzeigen zu sehen“, sagte der Kapitän, bevor er eilig den Brückenraum verließ.
Der Funker brachte den Wetterbericht.
„Zunehmendes Treibpackeis, Wind aus Nordwest, Stärke sechs, gute Sicht, gutes Fischwetter“, informierte er den Zweiten Steuermann. „Das Eis behindert aber mehr und mehr das Aussetzen und Hieven“, erwiderte Martin mit sorgenvoller Miene.
Eilig kam der Kapitän wieder zurück. „Er hat die Erbsensuppe wahrscheinlich ungekaut geschluckt“, flüsterte Martin zum Funker.
Kapitän Bering übernahm wieder die Wache und beauftragte Martin die Mittagsposition zu bestimmen. Martin ermittelte mit einer Funkstandlinie und der aktuellen Wassertiefe den Schiffsort. Er trug die ermittelte Position in das Schiffstagebuch und in die Seekarte ein.
*
„Strom an die Winde!“, befahl der Kapitän über das Bordtelefon