Maritime Erzählungen - Wahrheit und Dichtung. Detlev Sakautzky
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Hans hatte vorher das Fangtau am Schanzkleid, in einen Bauchschäkel, einer dort angebrachten starken, steglosen Kette, eingehakt.
Der Steert wurde mit Gefühl über das Schanzkleid gehievt, als der Trawler nach Steuerbord überholte. Dadurch wurde die hohe Belastung des Steertblocks und Läufers beim Überhieven des vollen Stertes etwas vermindert. Das Abfangen des vollen, vertikal hängenden Steertes im eingehängten Fangtau führte immer zu einer besonders starken Belastung des Auges des Steertblockes. In dem Moment des Abfangens des Steertes brach unerwartet das Auge des Blocks.
Block und Läufer schleuderten in Richtung des „Toten Mannes“ und trafen den dort stehenden Chris am Kopf und Hals. Alle Decksleute sahen erschrocken den fürchterlichen Unfall.
„Holt die Krankentrage und das Verbandsmaterial!“, schrie Martin aufgeregt.
Björn und Sörn holten beides sofort aus der Krankenkammer.
Vorsichtig wurde der schwer verletzte Chris durch Martin und zwei Decksleuten waagerecht auf der Krankentrage abgelegt, gesichert und von Deck getragen. Im trockenen, warmen Vorraum hinter der Kurrleinenwinde wurde mit den Erste-Hilfe-Maßnahmen begonnen.
Der Kapitän, der den Unfall aus dem vorderen Brückenfenster wahrnahm, ließ unverzüglich den Ersten Steuermann wecken, der wachfrei hatte.
Abgefangener Stert
Er informierte über UKW-Sprechfunk die Wachhabenden der fischenden Fahrzeuge über den schweren Unfall und bat diese um ärztliche Hilfe.
„Kein Arzt an Bord“, bedauerten die angesprochenen Wachhabenden der anwesenden Fischtrawler und boten andere mögliche Hilfen an.
Nach der Wachübergabe an den Ersten Steuermann eilte der Kapitän an Deck und unterstützte Martin bei der „Ersten Hilfe“. Chris hatte das Bewusstsein verloren. Sichtbar waren am Kopf Riss- und Platzwunden, Schädelverformungen, Austritt von Blut aus Nase, Mund, Ohren und Hals. Durch Martin wurden schnell keimfreie Kompressen vorgelegt und durch breite Binden festgehalten. Die stark blutenden Verletzungen im Halsbereich wurden durch Pressverbände verbunden. Der Kapitän und Martin unterstützten sich bei den „Ersten Hilfe“-Maßnahmen. Der Puls von Chris war sehr schwach, setzte aus, es wurde kein Atem und Herzschlag mehr festgestellt. Beide führten unverzüglich die Herzdruckmassage durch. Bering legte den Ballen der rechten Hand auf die Mitte der Brust, den Ballen der linken Hand darüber, drückte mit gestreckten Armen und geradem Rücken den Brustkorb fünf bis sechs Zentimeter tief ein. Nach jedem Druck entlastete er den Brustkorb vollständig. Nach häufigen Drücken, überstreckte er den Kopf, um die Atemwege freizumachen. Martin beatmete gleichmäßig die Nase. Nach einigen Beatmungen setzte der Kapitän die Herzdruckmassage fort. Sie wechselten sich ab. Die Körperwärme von Chris wurde durch Decken, die Martin über den leblosen Körper legte, erhalten.
Auf Weisung des Kapitäns hatte der Funker in der Zwischenzeit Kontakt zu einer kanadischen Landfunkstelle aufgenommen und um medizinische Beratung gebeten. Der Arzt der gewählten Landfunkstelle empfahl eine medizinische Behandlung in einem Krankenhaus in Halifax, einem kanadischen Hafen.
Der Transport durch einen Hubschrauber oder das Anlaufen eines Hafens war aber aufgrund der großen Entfernung, den Wetterbedingungen und Eisverhältnissen nicht machbar.
Herzdruckmassage und Beatmung wurden lange Zeit weiter fortgesetzt. Ohne Erfolg.
Es wurde kein Lebenszeichen bei Chris mehr festgestellt. Keine Atmung, kein Herzschlag, der Kapitän stellte den Tod fest. Chris war verstorben.
Der Kapitän beauftragte den Netzmacher, bei Chris bis auf Abruf zu verbleiben. Der Kapitän und Martin begaben sich in den Brückenraum, um über das weiteres Vorgehen zu beraten.
Der Funker hatte inzwischen auf Weisung des Kapitäns die Reederei telegrafisch über den Unfalltod von Chris Kleinke informiert.
Es musste eine Entscheidung zur Bestattung getroffen werden. Die meteorologischen Bedingungen, Treibpackeisfelder bis an die Küste, ermöglichten nicht das Anlaufen der kanadischen Häfen Halifax oder St. Johns und damit eine Landbestattung. Der Transport der Leiche in die Heimat über eine Fluggesellschaft war somit nicht möglich. Der Kapitän entschied sich nach Beratung mit seinen Schiffsoffizieren und den Reedereiverantwortlichen für eine Bestattung auf hoher See.
Ein Verantwortlicher aus dem Personalbüro der Reederei fuhr am gleichen Tag zu Frau Kleinke, teilte ihr den Unfalltod ihres Sohnes mit und informierte sie über die geplante Seebestattung.
*
Die Nachricht über den Tod des Sohnes verursachte bei Frau Kleinke einen Schockzustand. Sie weinte und schrie. Durch die Nachbarin wurden die Gemeindeschwester und die Pastorin des Ortes benachrichtigt. Beide Frauen standen ihr in den schweren Stunden bei, spendeten Trost und linderten ihr Leid durch ihre persönliche Nähe und Zusprache. Die Vorstellung, Bestattung ihres einzigen Sohnes, weit weg von zu Hause, im kalten und tiefen Wasser des Atlantiks, schmerzte sie bis zur Bewusstlosigkeit. Durch die Nähe und Hilfe beider Frauen fand sie nach Stunden langsam in die Realität zurück.
*
„Wir gehen heute noch auf Heimreise und werden morgen Chris auf hoher See bestatten. Die Eisverhältnisse ermöglichen nicht das Anlaufen eines Hafens“, informierte der Kapitän die in der Messe versammelte Besatzung.
„Hans, Du hast den Beruf eines Tischlers erlernt. Fertige einen Sarg aus den neuen Raumschotten und eine Sarghülle aus Segeltuch. Morgen früh musst Du damit fertig sein.“
„Fritz, du hilfst Hans dabei. Martin du übernimmst mit den Brüdern Kessel die Einsargung, sobald Hans den Sarg gefertigt hat. Ab heute Abend gehen wir wieder geregelten Brücken- und Tagesdienst. Die Totenwache erfolgt heute durch den Tagesdienst“, bestimmte der Kapitän weiter und verlies die Messe.
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Der Trawler trieb quer zur See, der Wind und die See kamen von Steuerbord. Der Bestmann organisierte das Auskippen des noch nicht geleerten Stertes und die Bearbeitung des Fanges. Der „Unfallblock“, einschließlich Läufer, wurden in der Lampenlast für die Ermittlung der Ursache des Bruches durch die Klassifikationsgesellschaft und Arbeitsschutzbehörde im Heimathafen zwischengelagert.
Die großen Seitenscherbretter und „Ponnybretter“ wurden zwischen den Galgen und das Schanzkleid gesetzt. Das Netz wurde vom Rollengeschirr abgeschlagen, gereinigt und in der Backbordhocke zwischengelagert. Die Decksschotten wurden aus den Halterungsstützen entfernt, mit Seewasser gereinigt und auf der Backbordseite des Decks gesichert. Die Lukensülle wurden mit Eis aufgefüllt, die Thermodeckel und Holzdeckel eingesetzt. Den Abschluss bildeten schwere eiserne Lukendeckel, die durch starke Bügel gesichert wurden. Zuletzt wurde das Deck mit Seewasser gereinigt. Die Tagesarbeit war getan. Die Decksleute zogen ihr Ölzeug aus und gingen in ihre Kammern. Gespräche untereinander kamen nicht mehr zustande. Alle waren in sich gekehrt.
*
In seinen Gedanken sah Martin den Eintritt des schweren Unfalls, die schweren Verletzungen und die starren Augen von Chris, die ihm noch etwas sagen wollten.
Unfassbar, sein Schulfreund und Arbeitskollege war tot. Was sollte er der Mutter sagen? Hatte er alles getan, um den Unfalleintritt zu verhindern? Wie sollte er das Geschehene der Mutter erklären? Er dachte an den Stein, den Chris in der Nähe des Mastes aufbewahrt hatte.
Der